Am Unfalltag startete das Ultraleichtflugzeug (UL) gegen 14:05 Uhr vom UL-Fluggelände Reiskirchen zu einem Ausbildungsflug. An Bord befanden sich der Fluglehrer und ein Flugschüler, der auch Miteigentümer des ULs war. Der Start erfolgte auf der Graspiste 22. Augenzeugen berichteten zuvor von einer Betankung aus einem Kanister durch den Flugschüler und einer anschließend durchgeführten Vorflugkontrolle.
Identifikation
- Art des Ereignisses: Unfall
- Datum: 12. September 2010
- Ort: Ettinghausen
- Luftfahrzeug: Ultraleichtflugzeug
- Hersteller / Muster: Comco GmbH / Ikarus C22
- Personenschaden: Fluglehrer schwer verletzt
- Flugschüler leicht verletzt
- Sachschaden: Luftfahrzeug schwer beschädigt
- Drittschaden: Flurschaden
- Informationsquelle: Untersuchung durch BFU
- Aktenzeichen: BFU 3X133-10
Ereignisse und Flugverlauf
Beide Insassen gaben übereinstimmend an, dass es nach dem Start in ca. 60 – 70 m Höhe über Grund während des Steigfluges im Querabflug zu einem Leistungsverlust und anschließenden Triebwerkausfall gekommen sei.
Der Fluglehrer gab an, die Steuerung übernommen zu haben, um eine Notlandung östlich des Flugplatzes auf einem Acker durchzuführen. Aufgrund der verbliebenen Höhe sei es ihm nicht gelungen, genügend Geschwindigkeit aufzubauen, um ein Abfangmanöver einzuleiten. Das UL sei mit dem Bugrad zuerst hart auf dem Boden aufgekommen und habe sich dann überschlagen. Der Fluglehrer wurde beim Aufprall auf dem Acker schwer verletzt. Er wurde von dem leicht verletzten Flugschüler geborgen.
Angaben zu Personen
Der 69-jährige Fluglehrer war seit 1992 im Besitz eines Luftfahrerscheins für Luftsportgeräteführer, gültig bis 15.04.2012, ausgestellt vom Luftsportgeräte-Büro im Deutschen Aero Club e.V. (DAeC), mit der Berechtigung für Passagierflug und Ausbildung von Luftsportgeräteführern, gültig bis 15.04.2013. Seine Gesamtflugerfahrung betrug ca. 1.500 Stunden. Das Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war mit der Auflage eine Sehhilfe zu tragen (VML) bis zum 16.03.2011 gültig. Der Fluglehrer war Referent für Ultraleichtflug im Hessischen Luftsportbund e.V. und Landesausbildungsleiter für UL. Er hatte als Prüfer Klasse 5 die Nachprüfungen am betroffenen Ultraleichtflugzeug vorgenommen.
Der 50-jährige Flugschüler war seit dem 16.09.2009 in Ausbildung im Ausbildungsbetrieb des Hessischen Luftsportbundes e.V. gemeldet. Seine Gesamtflugzeit betrug ca. sechs Stunden. Das Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war mit der Auflage eine Sehhilfe zu tragen (VML) bis zum 20.10.2010 gültig.
Angaben zum Luftfahrzeug
Das Ultraleichtflugzeug Ikarus C 22 ist ein dreiachsgesteuerter abgestrebter Hochdecker mit bespanntem Aluminium-Rohrrahmen. Es hat eine Mittelsteuerung und zwei nebeneinanderliegende Sitze.
- Hersteller: Comco GmbH
- Muster: Ikarus C22
- Werknummer: 9209-3431
- Baujahr: 1992
- MTOM: 400 kg
- Triebwerk: Rotax 582
- Werknummer: 4017148
- Betriebsstunden: 652 Stunden
- Rettungsgerät: Rescue 450S
Das Ultraleichtflugzeug war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und befand sich seit 2009 im Besitz einer Haltergemeinschaft. Die letzte Jahresnachprüfung fand am 31.08.2010 durch einen Prüfer Klasse 5 statt. Danach wurde das UL sieben Stunden geflogen. Die Wartung wurde durch den Halter durchgeführt. Wartungsaufzeichnungen vor dem Halterwechsel im Jahr 2009 waren nicht vorhanden.
Das UL wurde im August 2009 als Ausbildungsflugzeug in der Ultraleichtflugschule des Hessischen Luftsportbundes e.V. gemeldet. Beim Nachwiegen des UL wurde ein Leergewicht von 233,4 kg festgestellt. Laut Wägebericht vom 29.08.2007 betrug das Leergewicht 234 kg mit dem Hinweis, dass mit 25 l Kraftstoff gewogen wurde.
Nach eigenen Angaben wogen Fluglehrer und Flugschüler zusammen 149 kg. Nach Angaben des Halters befanden sich ca. 30 Liter Kraftstoff im Kraftstoffbehälter. Der Motor hatte eine Betriebszeit von 652 Stunden. Das Überholungsintervall (TBO) für das Triebwerkmuster betrug nach den Vorgaben des Herstellers 300 Stunden.
Meteorologische Informationen
Nach Zeugenaussagen kam der Wind aus südlichen Richtungen mit 5-10 kt. Die Wolkenuntergrenze betrug über 5.000 ft mit 3/8 Bedeckung. Die Temperatur betrug 17 °C.
Angaben zum Flugplatz
Der Sonderlandeplatz Reiskirchen liegt 214 m über Normalnull (NN). Der Flugplatz verfügt über eine 440 m lange Graspiste mit der Ausrichtung 22/04. Zur Unfallzeit war die Piste 22 in Betrieb.
Der Flugplatzhaltergemeinschaft wurde durch das Regierungspräsidium Kassel der Flugbetrieb ohne Flugleiter mit Auflagen genehmigt. Laut Auflagen waren Ausbildungsflüge ohne Flugleiter nicht gestattet. Die Flugplatzgenehmigung untersagte Alleinflüge von Flugschülern. Der Sonderlandeplatz Reiskirchen war nicht als Haupt- oder Nebenausbildungsgelände im Ausbildungsbetrieb gemeldet worden.
Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Die Unfallstelle befand sich ca. 800 m östlich des Sonderlandeplatzes Reiskirchen auf einem Feld. Das UL war in einem Längsneigungswinkel von ca. 35° aufgeprallt und hatte sich nach der Landung überschlagen. Es wurde in Rückenlage gefunden. Die erste Bodenberührung erfolgte mit dem Bugrad und Rumpfbug. Das rechte Fahrwerk war abgerissen und steckte im Ackerboden.
Ein Propellerblatt war abgebrochen und lag abgeknickt unter der Motorverkleidung. Der Rumpf war gestaucht und im Cockpitbereich zerstört. Die Cockpitverglasung war zerbrochen. Aus dem Kraftstoffsystem lief Kraftstoff aus. Ein Brand entstand nicht. Die vorgefundenen Markierungen am Fahrtmesser und an der Temperaturanzeige entsprachen nicht den Vorgaben. Das Rettungssystem war nicht ausgelöst. Das Triebwerk wurde zur weiteren Untersuchung ausgebaut.
Triebwerkuntersuchung
Nach der Demontage der Zylinder wurden am Kolben der Vergaser-Abtriebsseite (AS) ein Abbrand am Feuersteg und Klemmspuren festgestellt. Die Klemmspuren verliefen diagonal um den Kolben.
Der Kolben an der Magnetseite (MS) zeigte keinerlei Beschädigungen oder Klemmspuren. Die Kolbenringe waren an einer Stelle in den Kolbennuten festgebacken. An den Vergasern wurde ein geknickter Schwimmerkammer-Belüftungsschlauch festgestellt.
Die Vergaser wurden zerlegt, dabei fiel ein massiver Geruch nach altem Kraftstoff auf, der auch in der pneumatischen Kraftstoffpumpe wahrgenommen wurde. Ölige Rückstände waren am Boden der Schwimmerkammer zu finden. Am Vergaser an der Magnetseite waren Kraftstoffreste vorhanden, während der Vergaser an der Abtriebsseite nahezu leer war.
Es waren neue Zündkerzen (NGK BR8ES) in Verbindung mit Metallkerzensteckern verbaut. Die Abdeckkappen an den Kerzensteckern waren porös und mit einem Isolierband überzogen. Nach Angaben des Motorenherstellers sind in Verbindung mit Metallkerzensteckern die Zündkerzen mit der Bezeichnung NGK B8ES vorgeschrieben.
Bei der Demontage der Mikuni-Kraftstoffpumpe wurde festgestellt, dass die Impulsleitung vom Kurbelwellengehäuse zur Kraftstoffpumpe lose auf den Ansaugnippel gesteckt war. Die Schlauchschelle war nicht den Vorgaben entsprechend befestigt. Es war ein Papierfilter als Kraftstofffilter eingebaut. Nach Vorgaben des Herstellers war ein Kraftstofffilter mit einer Maschenweite von 0,15 mm zwischen der Kraftstoffpumpe und dem Vergaser einzubauen.
Organisationen und deren Verfahren
Die Ausbildung erfolgte über den Ausbildungsbetrieb des Hessischen Luftsportverbandes e.V. (HLV) im Rahmen einer Globalausbildungsgenehmigung für die Ausbildung von Luftsportgeräteführern. Diese Genehmigung hatte das Luftsportgeräte- Büro im DAeC erteilt. Erlaubnisinhaber war der HLV, vertreten durch den Vorstand. Als Ausbildungsleiter der Flugschule war beim HLV der Landesausbildungsleiter bestimmt. Die Aufgabenbereiche waren im Ausbildungshandbuch (AHB) des DAeC für Luftfahrerschulen zur Ausbildung von Luftsportgeräteführern festgelegt.
Entsprechend den im AHB zugewiesenen Aufgaben war der Erlaubnisinhaber (Vorstand) unter anderem für die verwendeten Luftfahrzeuge und die Überwachung des Ausbildungsleiters verantwortlich.
Der Ausbildungsleiter war verpflichtet, in angemessenen Zeitabständen innerbetriebliche Audits und Ausbildungspersonalgespräche zu führen. Die Verwaltungsaufsicht über die Flugschule führte das Luftsportgeräte-Büro im DAeC.
Es hatte eine Empfehlung herausgegeben, nach der bei den zur Ausbildung eingesetzten Ultraleichtflugzeugen die TBO des Triebwerkherstellers zu beachten ist. Der Landesausbildungsleiter gab bei der Befragung an, dass er diese Empfehlung kenne, sie jedoch nicht umgesetzt habe. Ein Audit nach den Vorgaben des AHB wurde in der Ausbildungseinrichtung des HLV nicht durchgeführt.
Zusätzliche Informationen
Zum Unfallzeitpunkt befand sich kein Flugleiter am Flugplatz. Einer der Miteigentümer des UL bediente das Funkgerät. Wegen der nicht konformen Kennzeichnung der Instrumente wurde vom Luftsportgeräte-Büro des DAeC als Sofortmaßnahme eine Information an ihre Prüfer Klasse 5 bezüglich der Einhaltung der Lufttüchtigkeitsanweisung (LTA) LSG 05-008 "Fahrtmesser Farbmarkierung" verschickt.
Allen Haltern von ULs wurde mit der Anmeldung zur Jahresnachprüfung (JNP) eine Kopie der LTA zugeschickt. Der Hessische Landesverband e.V. löste den Ausbildungsbetrieb während der laufenden Flugunfalluntersuchung auf.
Beurteilung
Der Fluglehrer hatte die für den Flug erforderliche Lizenz und die Berechtigungen. Seine Flugerfahrung allgemein und auf dem Muster war ausreichend. Das Ultraleichtflugzeug war in Deutschland zum Betrieb zugelassen. Die geforderten Markierungen an den Instrumenten entsprachen nicht den Vorgaben. Die LTA LSG 05-008 "Fahrtmesser Farbmarkierung" war nicht durchgeführt.
Die Empfehlung des Luftsportgeräte-Büros im DAeC zur Beachtung der TBO von Triebwerken im Ausbildungseinsatz war zwar bekannt, jedoch nicht umgesetzt worden. Die Vorgaben im Ausbildungshandbuch im Hinblick auf die Überwachung des Ausbildungsbetriebes und eingesetzter Luftfahrzeuge waren nur unzureichend erfüllt.
Die Mehrfachfunktion des Fluglehrers als Ultraleichtflug-Referent, Landesausbildungsleiter, Fluglehrer und Prüfer Klasse 5 innerhalb des Ausbildungsbetriebes beinhaltete nach Meinung der BFU mehrere Interessenskonflikte. Die Beaufsichtigung und Überwachung seiner verschiedenen Tätigkeiten in der Organisation waren nicht gewährleistet.
Das Wetter hatte keinen Einfluss auf den Flugunfall. Die Flugsichten waren gut und schränkten den geplanten Flug nach Sicht nicht ein. Besondere Wettererscheinungen lagen nicht vor.
Als Ursache für einen Triebwerkstillstand bzw. Leistungsabfall im Flug wurde bei der Zerlegeprüfung des Motors ein Kolbenreiben (Kolbenfresser) am abtriebsseitigen Zylinder (AS) festgestellt. Der Kolbenabrieb in diagonaler Anordnung ist ein Indiz für eine zu heiße Verbrennung wegen Kraftstoffmangels infolge eines mageren Gemisches. Das magere Gemisch war nach Meinung der BFU auf die lockere Impulsleitung vom Kurbelgehäuse zur Kraftstoffpumpe zurückzuführen. Durch die fehlende Impulsstärke war die Funktion der Kraftstoffpumpe gemindert und der Kraftstoffdruck reduziert.
Nach der Triebwerksstörung übernahm der Fluglehrer die Steuerung des Ultraleichtflugzeuges. Bei der anschließend durchgeführten Notlandung gelang es dem Fluglehrer nicht, eine ausreichende Geschwindigkeit aufzubauen, um eine Abfangmanöver mit der C22 zu fliegen.
Schlussfolgerungen
Der Flugunfall ist auf eine Triebwerkstörung im Steigflug zurückzuführen, in deren Folge eine Notlandung auf freiem Feld erforderlich wurde. Der Fluglehrer übernahm dazu die Steuerführung. Beim Landevorgang kam es zum Bodenkontakt mit dem Bugfahrwerk. Begünstigt wurde der Unfall dadurch, dass nach der Triebwerkstörung versäumt wurde, rechtzeitig die Fluggeschwindigkeit und den Gleitwinkel anzupassen.
Alle Zeiten in Ortszeit, soweit nicht anders bezeichnet. Quelle: BFU