Einem deutschen Team aus Piloten des Mountain Wave Project (MWP) und Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Luft– und Raumfahrt (DLR) ist eine Premiere am höchsten Berg der Welt gelungen. Erstmals flogen sie in einem Motorsegler am 8.848 Meter hohen Mount Everest entlang – mit an Bord eine 3D-Spezialkamera.
Eineinhalb Stunden Anflug benötigten MWP-Rekordpilot Klaus Ohlmann und Copilot Jona Keimer. Am 28. Januar 2014 flogen sie vom Basislager der Expedition am Flughafen von Pokhara in Nepal entlang des Himalaya bis zum Mount Everest.
Aufstieg auf Schwerewellen bis über 8.000 Meter
Dort nutzten sie atmosphärische Schwerewellen, sogenannte Mountain Waves, um schrittweise an Höhe zu gewinnen: „Trotz Windgeschwindigkeiten am Everestgipfel um 100 Kilometer pro Stunde waren die Bedingungen ideal“, berichtet Pilot Klaus Ohlmann. „Ausgeprägte und an diesem Tag nahezu turbulenzfreie Hangaufwinde halfen uns schnell aufzusteigen.“ In einem Behälter unter der Tragfläche leistete die DLR-Spezialkamera MACS (Modular Aerial Camera System) ihre wissenschaftliche Arbeit über dem Dach der Welt.
Das im DLR-Schwerpunkt Sicherheitsforschung entwickelte neuartige Kamerasystem liefert die Grundlage für ein hochgenaues 3D-Modell der nepalesischen Everest Region mit einer Auflösung von bis zu 15 Zentimetern. Hangrutschungen und Überflutungen durch Gletscherseeausbrüche können mit den Aufnahmen besser vorhergesagt werden. DLR-Projektleiter Jörg Brauchle freut sich über die einwandfreie Funktion des 3D-Kamerasystems in Höhen über 8000 Meter: „Die Piloten haben großartige Arbeit geleistet. Wir konnten in eineinhalb Stunden alle geplanten Bereiche der nepalesischen Everestregion befliegen, darunter die berühmte Rettungsroute zwischen Lukla und dem Mount Everest“.
Brauchle und seine Kollegen vom DLR-Institut für Optische Sensorsysteme können nun an den heimischen Rechnern das Khumbu-Tal sowie angrenzende Gletscher Schritt für Schritt modellieren. „Das Khumbu-Tal ist für uns wissenschaftlich besonders interessant, weil hier unsere internationalen Partner von ICIMOD Testfelder betreiben und die Hänge und Gletscher der Gegend bereits seit vielen Jahren untersuchen.“ Auf diese Weise liegen wertvolle Vergleichsmessungen für die jetzt gewonnen 3D-Aufnahmen vor. Die neuen hochpräzisen 3D-Daten ermöglichen es den Gletscherforschern, umfassende und präzise Analysen für den Katastrophenschutz zu erstellen.
Kamerasystem für eisige Temperaturen speziell gestestet
Die im DLR entwickelte und gebaute 3D-Spezialkamera MACS ist in einem eigens angefertigten druckfreien Instrumentenbehälter unter der Tragfläche eines Motorseglers Stemme S10VTX montiert. Mit dem Forschungsflugzeug hat sich der Fachbereich Luft– und Raumfahrttechnik der FH Aachen maßgeblich an der Expedition beteiligt. Die Kamera muss die extrem kalten Temperaturen über den Gipfeln des Himalaya ohne Funktionseinbußen aushalten, beim aktuellen Flug unter minus 35 Grad Celsius.
Deshalb hat die DLR-Spezialkamera schon vor dem Einsatz einige Härteprüfungen bestehen müssen, wie etwa Tests in der Unterdruckkammer, in mittleren Höhen über den Alpen und unter außergewöhnlichen Beleuchtungsbedingungen. Die Aufnahmetechnik des Kamerasystems ist speziell auf die Besonderheiten von Hochgebirgsregionen ausgelegt. Drei seitlich zueinander geneigte Kameraköpfe ergeben einen Sichtbereich von 120 Grad und ermöglichen es, steile Hangstrukturen hoch aufgelöst aufzunehmen.
Mit den Aufnahmen entstehen am Computer detaillierte farbige 3D-Modelle der überflogenen Gebirgsregion. Dabei kommt eine DLR-eigene Software zum Einsatz, welche ebenfalls zur Auswertung von satellitenbasierten Erdbeobachtungsdaten genutzt wird. „Steile Bergflanken stellen die größte Herausforderung in der Datenprozessierung dar“, erklärt Jörg Brauchle.
Modellierung und Analyse der Gletscherregionen möglich
Das 3D-Modell erlaubt die Einbettung in ein Geografisches Informationssystem (GIS). Das sind Programme, die Bilddaten mit Georeferenzierung verarbeiten, aber nicht nur als „Landkarte“ anzeigen, sondern auch analysieren und Simulationen wie etwa Hochwasserbewegungen simulieren können. Mit den gewonnenen Daten sind jetzt Analysen und Bewertungen unter Berücksichtigung von geologischen, hydrologischen sowie meteorologischen Daten über das Gefährdungspotenzial steiler Hänge und ausgedehnter Gletscher in schwer zugänglichen Gebirgsregionen möglich.
Bereits kurz nach dem geglückten Forschungsflug am Mount Everest wurden zusammen mit der Wissenschaftsorganisation der Himalaya-Anrainerstaaten ICIMOD erste Ergebnisse sowie Ideen zur Fortführung der gelungenen Kooperation besprochen. Der Forschungsflug für das MWP erforderte umfangreiche Planungen. „Trotz der enormen organisatorischen und logistischen Herausforderungen ist es innerhalb eines sehr schmalen Zeitfensters gelungen, das Projekt zu einem Erfolg zu führen“, freut sich der Leiter des Mountain Wave Project (MWP) René Heise. „Die Piloten und unsere Ausrüstung sind wohlbehalten.“ Für Flüge im Bereich der höchsten Gipfel der Welt hatten die Piloten eine erprobte Sauerstoffanlage an Bord. In einigen Wochen werden die ersten 3D-Modelle der überflogenen Region am Mount Everest vorliegen. Die DLR-Piloten haben auch ein kurzes Video vom Himalaya-Flug im Motorsegler erstellt, das online einsehbar ist.
Die Bilder zeigen in Reihenfolge
- 300 Kilometer Fernsicht über den Himalaya. In der Bildmitte der Mount Everest (8.848 Meter). Rechts der Lhotse (8516 Meter). Die DLR-Spezialkamera MACS (Modular Aerial Camera System) ist in einem Kamerabehälter unter der Tragfläche einer Stemme S10 VTX montiert.
- Die Stemme S10 VTX verfügt über einen versenkbaren Propeller vor dem Cockpit. Das Flugzeug wurde von der FH Aachen für die Expedition bereitgestellt.
- Das Team, von links nach rechts: Jörg Brauchle, René Heise, Klaus Ohlmann, Jona Keimer, Heiderose Häsler, Daniel Hein
- Im Anflug auf den Mount Everest (8.848 Meter, Mitte). Davor der Nuptse (7.861 Meter).