Boeing 737 im Notsinkflug: Kabinendruck-Controller

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Während eines Passagierfluges einer 737 von Bergamo () nach East Midlands (Großbritannien) kam es im Steigflug auf die Reiseflughöhe im schweizerischen Luftraum zu einem Druckverlust. Die Besatzung führte einen Notsinkflug durch und landete das Flugzeug auf dem Flughafen Frankfurt-Hahn. 13 Passagiere wurden leicht verletzt.

Die Untersuchung des Ereignisses wurde von der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (SUST) an die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) delegiert.

Identifikation

Art des Ereignisses: Schwere Störung

Datum: 04. April 2012

Ort: nahe Lugano (Schweiz)

Luftfahrzeug(e): Flugzeug

Hersteller / Muster: Boeing / 737-800

Personenschaden: 13 Personen leicht verletzt

Sachschaden: keiner

Drittschaden: keiner

Ereignisse und und weiterer Flugverlauf 

Das Flugzeug war um 10:56 Uhr vom Flughafen Bergamo (LIME) zu einem Linienflug nach East Midlands (EGNX) gestartet. An Bord befanden sich sechs Besatzungsmitglieder und 134 Passagiere.

Etwa 13 Minuten nach dem Start, das Flugzeug befand sich über den Alpen im Steigflug, etwa 30 nautische Meilen (NM) nördlich von Lugano im schweizerischen Luftraum, bemerkte die Besatzung eine plötzliche Änderung des Kabinendrucks. Sie berichtete, dass diese sich durch Luftzug, Temperaturabfall und Druck auf den Ohren geäußert habe. Die Anzeige für die Kabinendruckänderung habe beim Maximum von 4.000 ft/min gelegen und die Anzeige für die Kabinenhöhe habe 10.000 ft überschritten.

Die Besatzung setzte die Sauerstoffmasken auf und der verantwortliche Pilot forderte, die Cabin Altitude Warning/Rapid Depressurization Checklist abzuarbeiten. Laut der Daten des Flugdatenschreibers (FDR) wurde um 11:08:40 Uhr eine Master Caution und etwa 20 Sekunden später das Warnsignal (Kabinenhöhe > 10.000 ft) ausgelöst. Das Warnsignal endete ca. zwei Minuten später.

Aus den Aufzeichnungen des Cockpit Voice Recorders ging hervor, dass der Copilot sagte: „So, master caution, air-conditioning […] climb.“ Der verantwortliche Pilot (PIC) antwortete: „I think this is air-conditioning, four thousand feet a minute […] I think I call rapid […] cabin altitude pressurization check list.“ Die Piloten setzten anschließend die Sauerstoffmasken auf, überprüften die Verständigung und begannen mit der Abarbeitung der Checkliste.

Maday: Notsinkflug wurde eingeleitet

Um 11:09:47 Uhr sagte der Copilot: „… set manual […] close.“ Siebzehn Sekunden später sagte der PIC: „Okay and oxygen masks […] passenger oxygen system on, please.“ Um 11:10:14 Uhr sagte er: „Okay it’s not controlling, it’s not controlling, right to emergency desc… do you agree? It’s not controlling, it’s above ten thousand feet, right to emergency descent checklist.“

Die Besatzung leitete einen Notsinkflug ein. Um 11:11:19 Uhr meldete der Copilot über Funk: „Mayday, mayday, mayday […], we have a rapid depressurization. Emergency descent. Descending to […] next would be flight level one hundred, turning left on heading two eight five.“ Der Lotse antwortete: „[…] roger, mayday is observed.“ Unmittelbar danach ging das Flugzeug in den Sinkflug über und kurvte in nordwestliche Richtung. Die Sinkrate erreichte zunächst mehr als 6.000 ft/min und wurde etwa 20 Sekunden nach Beginn des Sinkens auf ca. 4 000 ft/min verringert. Die wurde auf Flugfläche (FL) 130 und dann bis auf FL100 verringert. Laut Radardaten hatte sich das Luftfahrzeug in Flugfläche FL308 befunden, als der Sinkflug eingeleitet wurde.

Zu Beginn des Notsinkfluges der B737-800 kam es kurzzeitig zu einer Annäherung (4,5 NM horizontal bzw. 325 ft vertikal) an einen unterhalb in FL300 ebenfalls in nördlicher Richtung vorausfliegenden A319. Um 11:16 Uhr hatte das Flugzeug den Sinkflug in FL100 beendet. Die Besatzung entschloss sich, den Flughafen Frankfurt-Hahn anzufliegen. Das Flugzeug landete dort ohne weitere Probleme.

Die leitende Flugbegleiterin sagte zu ihren Wahrnehmungen in der Kabine aus, dass sie plötzlich eine Druckänderung und einen Temperaturabfall verspürt habe. Zehn bis zwanzig Sekunden später seien in der Kabine die Sauerstoffmasken herausgefallen. Einige wenige Passagiere hätten kurzzeitig Schwierigkeiten beim Aufsetzen der Sauerstoffmasken gehabt.

Nach den Informationen der hatte ein Passagier ein gerissenes Trommelfell, die zwölf anderen Passagiere wurden aufgrund von Ohrenbeschwerden behandelt.

Angaben zu Personen

Verantwortlicher Luftfahrzeugführer

Der 31-jährige verantwortliche Pilot war britischer Staatsangehöriger und im Besitz einer durch die irische Luftfahrtbehörde in Übereinstimmung mit und JAR-FCL Standards erstmalig am 29.08.2009 ausgestellten, bis 28.08.2014 gültigen Lizenz für Verkehrsflugzeugführer ATP. Die Musterberechtigung für das Muster B737-300-900 war bis 31.12.2012 gültig.

Das medizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 war bis zum 08.05.2013 gültig. Seine Gesamtflugerfahrung lag bei ca. 6.000 Stunden, davon 5.800 Stunden auf dem Muster.

Copilot

Der 30 Jahre alte Copilot hatte die britische Staatsangehörigkeit und besaß eine Lizenz für Berufsflugzeugführer CPL, ausgestellt am 09.01.2012 durch die irische Luftfahrtbehörde, gültig bis 08.01.2017.

Er hatte seit dem 06.12.2011 die Musterberechtigung für das Muster B737-800, gültig bis 31.12.2012. Sein medizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 war bis 30.05.2012 gültig. Die Gesamtflugerfahrung des Copiloten betrug 820 Stunden, davon 120 Stunden auf dem Muster.

Leitende Flugbegleiterin

Die Flugbegleiterin hatte im Mai 2007 ihre Ausbildung (Initial Safety Training) für das Muster B737-800 absolviert. Ihre Flugerfahrung betrug ca. 4.500 Stunden.

Angaben zum Luftfahrzeug

  • Hersteller: Boeing
  • Muster: B737-8AS
  • Werknummer: 33546
  • Baujahr: 2003
  • MTOM: 66 900 kg
  • Triebwerke: CFM International, CFM56-7B

Das Flugzeug war in Irland zum Verkehr zugelassen und wurde von einem irischen Luftfahrtunternehmen betrieben.

Zum Zeitpunkt des Ereignisses hatte das Flugzeug eine Gesamtbetriebszeit von 31.180 Stunden bei 20.000 Zyklen absolviert. Die Druckkabine des Flugzeuges besteht aus den Hauptbaugruppen Flugzeugzelle, den Airconditioning Packs, einem Druckablassventil (Outflow Valve), einem Überdruckablassventil Overpressure Relief Valve sowie einem Negative Pressure Relief Valve. Zur Regelung und Überwachung des Kabinendrucks verfügte das Flugzeug über zwei Cabin Pressure Controller (CPC), von denen einer jeweils aktiv das Outflow Valve ansteuerte. Der zweite CPC diente der Redundanz.

Im Cockpit des Flugzeuges befand sich am Overhead Panel das Bedien- und Anzeigefeld des Digital Cabin Pressure Control System. Dort waren Anzeigen für die Kabinenhöhe (Cabin Altitude) und den Differenzdruck (Differential Pressure), eine Anzeige für das Steigen bzw. Sinken bis maximal 4.000 ft/min (Cabin Rate of Climb Indicator) sowie für den Öffnungswinkel des Auslassventils (Outflow Valve Position Indicator) eingebaut. Das Titelbild zeigt das Digital Cabin Pressure Control System.

Das Quick Reference Handbook (QRH) enthielt unter anderem die Checkliste Cabin Altitude Warning/ Rapid Depressurization mit folgenden Anweisungen:

1 Don oxygen masks and set regulators to 100 Prozent.

2 Establish crew communications.

3 Pressurization mode selector . . . . . . . MAN

4 Outflow VALVE switch . . . . . . . . . Hold in CLOSE until the outflow VALVE

indication shows fully closed

5 If cabin altitude is not controllable:

Passenger signs . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..ON

If the cabin altitude exceeds or is expected to exceed 14,000 feet:

PASS OXYGEN switch . . . . . . . . . . . ON

►►Go to the Emergency Descent checklist on page 0.1

6 If cabin altitude is controllable: Continue manual operation to maintain correct cabin altitude. When the cabin altitude is at or below 10,000 feet: Oxygen masks may be removed.

Die Checkliste Emergency Descent schrieb folgende Handlungen vor:

1 Announce the emergency descent. The pilot flying will advise the cabin crew, on the PA system, of impending rapid descent. The pilot monitoring will advise ATC and obtain the area altimeter setting.

2 Passenger signs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ON

3 Without delay, descend to the lowest safe altitude or 10,000 feet, whichever is higher.

4 ENGINE START switches (both) . . . . . . . CONT

5 Thrust levers (both) . . . . Reduce thrust to minimum or as needed for anti-ice

6 Speedbrake . . . . . . . . . .. . . . FLIGHT DETENT

7 Set target speed to Mmo/Vmo.

8 When approaching the level off altitude: Smoothly lower the SPEED BRAKE

lever to the DOWN detent and level off. Add thrust and stabilize on altitude and airspeed.

Meteorologische Informationen

Im Zeitraum des Ereignisses herrschte Tageslicht und in der der B737-800 lagen Sichtflugwetterbedingungen (VMC) vor.

Funkverkehr

Die Aufzeichnungen des Funkverkehrs mit den jeweiligen Flugsicherungsstellen standen für die Untersuchung zur Verfügung.

Flugdatenaufzeichnung

Das Flugzeug war mit einem Flugdatenschreiber, SSFDR und einem Cockpit Voice Recorder (CVR), SSCVR ausgerüstet. Die Geräte wurden bei der BFU ausgelesen.

Die Radardaten des Fluges wurden durch die jeweils zuständigen Flugsicherungsorganisationen aufgezeichnet und standen der BFU zur Verfügung.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Im Cockpit wurde festgestellt, dass die neben den beiden Pilotensitzen verstauten Sauerstoffmasken herausgezogen waren.

In der Passagierkabine waren sämtliche Sauerstoffmasken aus den Fächern in der Decke gefallen. An den nachfolgend genannten Positionen waren die Sauerstoffmasken nicht herausgezogen und die Sauerstoffgeneratoren nicht aktiviert worden: Auf der linke Seite der Kabine in den Sitzreihen 2, 3, 4, auf der rechten Kabinenseite in den Sitzreihen 2 und 3, am hinteren rechten Notausstieg (Overwing Emergency Exit) sowie auf der vorderen Toilette.

Die beiden Cabin Pressure Controller (CPC) befanden sich im Electronic Equipment Compartment hinter dem Bugfahrwerk. Die Öffnung des Sensors für den statischen Druck (Static Port) am CPC#1 war mit einer schwarzen Plastikkappe (Shipping Plug) verschlossen. Abb. 2 zeigt den Cabin Pressure Controller #1 Static Port.

Auslesen der Cabin Pressure Controller

Die in den nichtflüchtigen Speichern der beiden CPC gespeicherten Daten wurden ausgelesen. Die Auswertung der Daten ergab, dass während des Steigfluges zunächst der CPC #2 den Kabinendruck geregelt hatte.

Während des Steigfluges traten Übermittlungsfehler (Fault Code 39 RS422_XMIT_FAIL und Fault Code 40 RS422_WA_FAIL) auf. Daraufhin ging CPC#2 in Standbybetrieb und der CPC#1 übernahm die Regelung des Kabinendrucks. Zu diesem Zeitpunkt wurde von CPC#2 ein Umgebungsdruck von 4,28 PSI bzw. 4,27 PSI (ca. 295 hPa) gemessen. Dies entsprach etwa FL305. Der Kabinendruck wurde dabei mit 12,10 PSI bzw. 12,09 PSI (ca. 833 hPa) gemessen. Zwölf Sekunden später zeichnete CPC#2 den Fault Code 17 (CABIN_10000FT_MESSAGE) auf.

Dabei betrug der gemessene Umgebungsdruck 4,22 PSI und der Kabinendruck 10,10 PSI. Die Steigrate der Kabinenhöhe wurde zu diesem Zeitpunkt mit 6.776,25 ft/min gemessen. Sechs Sekunden danach wurde der Fault Code 18 (CABIN_13500FT_MESSAGE) aufgezeichnet. Dabei betrug der gemessene Umgebungsdruck 4,20 PSI (289 hPa) und der Kabinendruck 8,80 PSI (607 hPa). Zu diesem Zeitpunkt lag die Steigrate der Kabinenhöhe bei 7.656,5 ft/min.

Der CPC#1 hatte einen Kabinendruck von 15,16 PSI (1.045 hPa) und dabei einen Umgebungsdruck von 4,20 PSI aufgezeichnet. Laut Aufzeichnung des CPC war das Outflow Valve 76,83° geöffnet. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Fault Code 90 (OFV_CAB_PRESS_SWITCH_Active) aufgezeichnet. Ca. 36 Sekunden danach registrierte CPC#1 den Fault Code 58 (MANUAL_MODE_SWITCH_Active). Zu diesem Zeitpunkt lagen der vom CPC#1 gemessene Kabinendruck bei 15,16 PSI und der Umgebungsdruck bei 4,21 PSI. Zu der Aufzeichnung des Fault Code 58 war als Anzahl der Schaltvorgänge Intermittent Count die Zahl 2 eingetragen.

Brand

Es entstand kein Brand.

Zusätzliche Informationen

Am Vortag des Ereignisses waren während des Fluges Probleme mit der Kabinendruckregelung aufgetreten, die die Besatzung durch einen Eintrag ins Technische Logbuch beanstandet hatte.

Im Rahmen der nächtlichen Wartungsarbeiten war aufgrund der Beanstandung ein Download der beiden Cabin Pressure Controller durchgeführt worden, um in den nichtflüchtigen Speichern (Non Volatile Memory (NVM)) dokumentierte aktuelle bzw. zurückliegende Fehlermeldungen auszuwerten. Dabei wurden keine Fehlermeldungen festgestellt. Die anschließend durchgeführten Bodentests beider CPC ergaben ebenfalls keine Fehler. Der CPC#1 für die Kabinendruckregelung wurde aufgrund der auf dem vorherigen aufgetretenen Probleme gewechselt.

Der BFU liegt eine schriftliche Aussage vor, in der ein Mitarbeiter des Wartungsbetriebes den Inhalt und Ablauf der Wartungsarbeiten erläutert, die in der Nacht vor dem Ereignis durchgeführt worden waren. Nach Angaben des Luftfahrtunternehmens verfügt der Mitarbeiter über eine Lizenz für freigabeberechtigtes Personal der Kategorie B2 (Avionik). Er gab an, dass er in seiner Nachtschicht zunächst die Daten der NVM der CPC heruntergeladen habe. Danach habe er dabei geholfen festzustellen, welcher der beiden CPC bei den vorherigen Flügen „in control“ war.

In den NVM seien keine Fehler-Codes gespeichert gewesen. Anschließend seien mehrfach Pressurization System Ground Tests an beiden CPC durchgeführt worden, die ohne Beanstandungen verlaufen seien. Da auf ein Ersatzteil gewartet werden musste, wurden die Arbeiten an dem Flugzeug unterbrochen und am frühen Morgen, nach Eintreffen der Teile, fortgesetzt. Dabei sei unter anderem vorsorglich der CPC#1 ausgetauscht worden.

Beim Installieren des CPC habe er vergessen, den Shipping Plug zu entfernen. Der Mitarbeiter des Wartungsbetriebes führte dies darauf zurück, dass er „overfamiliar with the procedure“ gewesen sei, da er das Verfahren und die Tests in der Nacht bereits mehrfach, allerdings an den im Flugzeug installierten CPC durchgeführt habe. Das Luftfahrzeug war danach in einer Reiseflughöhe von FL370 von East Midlands nach Bergamo geflogen. Während dieses Fluges war CPC#2 „in control“. Dabei waren keine Probleme aufgetreten.

Im Rahmen der Untersuchung der Schweren Störung durch die BFU wurden nach dem Download der Daten der beiden CPC bei einem Wartungsbetrieb des Luftfahrtunternehmens am Flughafen Frankfurt-Hahn auch beide CPC gewechselt. Die dabei installierten CPC waren mit Shipping Plugs ausgestattet, die größer als der vorgefundene und von gelber Farbe waren. Zudem hatten die gelben Shipping Plugs ein ebenfalls gelbes Tag mit der Aufschrift: IMPORTANT – Remove these CAPS after Installation. Abb. 3 zeigt einen Vergleich verschiedener Shipping Plugs des Komponentenherstellers.

Beurteilung

Die aus dem Ereignis resultierenden Verletzungen der dreizehn Passagiere sind als leicht anzusehen. Aufgrund des plötzlichen Druckverlustes in Verbindung mit der Notwendigkeit, die Sauerstoffmasken zu benutzen, wurde das Ereignis durch die BFU als Schwere Störung klassifiziert und eine Untersuchung durchgeführt. Laut Radardaten hatte sich das Luftfahrzeug in FL308 befunden, als der Sinkflug eingeleitet wurde. Um 11:16 Uhr hatte das Flugzeug den Sinkflug in FL100 beendet. Die Besatzung entschloss sich, den Flughafen Frankfurt-Hahn anzufliegen. Das Flugzeug landete dort ohne weitere Probleme.

Technische Aspekte

Als während des Steigfluges in FL305 der aktive CPC#2 die Übermittlungsfehler erkannte, ging er auf Standby und CPC#1 übernahm die Regelung. Der zu diesem Zeitpunkt von CPC#2 gemessene Kabinendruck lag bei 12,10 PSI (ca. 833 hPa).

Gleichzeitig hatte der von CPC#1 gemessene Kabinendruck 15,16 PSI (1.045 hPa) betragen. Dieser Wert entsprach einer Höhe von etwa -500 ft. Nach der Systemlogik führte dies zu einem sofortigen Öffnen des Outflow Valve (OFV). Dies wiederum hatte den exzessiven Anstieg der Cabin Climb Rate auf mehr als 7.600 ft/min zur Folge. Im Automatic Mode folgte aufgrund einer Kabinenhöhe von 14.500 ft ein Ansprechen des OFV Cabin Pressure Switch.

Die Aufzeichnung OFV_CAB_PRESS_SWITCH_ACTIVE bedeutet, dass der Schalter direkt das OFV schließt. Der Vorgang stoppt jedoch, wenn am Bedien- und Anzeigefeld des Digital Cabin Pressure Control Systems der Schalter auf Manual Mode gestellt wird. Mit der 36 Sekunden nach dem Ansprechen des Cabin Pressure Switch erfolgten Schaltung in den Manual Mode ließ sich der Öffnungswinkel des OFV nur noch durch die Piloten verstellen. Der Eintrag Intermittent Count 2 bei dem Fault Code 58 MANUAL_MODE_SWITCH_ACTIVE bedeutet, dass die Schaltung mehrfach (insgesamt drei Mal) erfolgt sein muss. Das heißt, dass die Piloten einmal auf Manual Mode, einmal zurück und wieder auf Manual Mode geschaltet hatten.

Aufgrund der Tatsache, dass der OFV_CAB_PRESS_SWITCH aktiviert wurde und der hohen Steigrate ist davon auszugehen, dass die Sauerstoffmasken für die Passagiere automatisch ausgelöst wurden. In dem Fall, dass ein mit einem blockierten Static Pressure Port versehener CPC von Beginn des Fluges an „in control“ ist, beginnt ein Druckverlust in der Kabine frühzeitig und findet allmählich statt. Ein Wechsel der Kontrolle in großer Flughöhe führt dagegen sofort zu einem deutlich stärkeren Druckabfall. Dies hat mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Notsinkflug zur Folge. Für die Insassen kann es durch die Ausdehnung von Luft und Gasen in Körperhöhlen zur Ausbildung eines Barotrauma kommen, das unter Umständen auch eine schwere Verletzung sein kann.

Flugbetriebliche Aspekte

Laut Daten des Flugdatenschreibers wurde um 11:08:40 Uhr die Master Caution und etwa 20 Sekunden später das Warnsignal (Kabinenhöhe > 10.000 ft) ausgelöst. Weitere sechs Sekunden später zeichnete der CPC eine Kabinenhöhe von 13.500 ft bei einer Steigrate von 7.656,5 ft/min auf.

Die Aufzeichnungen des CVR zeigen, dass die Piloten das Master Caution Signal der Air Condition und dem Anstieg der Kabinenhöhe zuordneten. Der PIC bemerkte, dass die Steigrate der Kabinenhöhe die Maximalanzeige von 4.000 ft/min erreicht hatte und forderte sofort die Abarbeitung der Cabin Altitude Pressurization Check List. Die Piloten setzten entsprechend der Checkliste ihre Sauerstoffmasken auf, überprüften die Verständigung und arbeiteten die weiteren Punkte der Checkliste ab. Eineinhalb Minuten nach Ertönen der Master Caution schätzte der PIC ein, dass der Kabinendruck durch manuelles Bedienen des Auslassventils nicht zu stabilisieren war und forderte den Copiloten mit den Worten: „Okay it is not controlling, it is not controlling, right to emergency desc… do you agree? It’s not controlling, its above ten thousand feet right to emergency descent checklist“ dazu auf, die Checkliste für den Notsinkflug abzuarbeiten. Die Besatzung leitete den Notsinkflug ein.

Um 11:11:19 Uhr, etwa eine Minute nach der Entscheidung, erklärte der Copilot über Funk Luftnotlage und informierte über den rapiden Druckverlust und die Einleitung des Notsinkfluges auf FL100. Aufgrund der Tatsache, dass sich das Flugzeug zur Zeit des Ereignisses über den Alpen befand, musste der Notsinkflug gestaffelt erfolgen. Trotzdem erreichte das Flugzeug innerhalb von sieben Minuten nach Beginn des Druckverlusts die Flugfläche FL100.

Die Aufzeichnung der CPC-Daten zeigt, dass die Piloten bei der Abarbeitung der Checkliste den Schalter am Overhead Panel auf Manual Mode schalteten, um das OFV von Hand zu schließen. Diese Schaltung wurde kurzzeitig zurückgenommen, dann wurde erneut in den Manual Mode geschaltet.

Instandhaltungsaspekte

Die Angaben des Wartungsingenieurs sind aus Sicht der BFU glaubhaft. Sie entsprechen den üblichen Abläufen. Nachdem zunächst die NVM-Daten heruntergeladen und im Hinblick auf gespeicherte Fehler-Codes analysiert worden waren, wurden beide CPC mehrfach Pressurization System Ground Tests unterzogen. Auch wenn sich dabei keine Fehler bzw. Beanstandungen zeigten, wurde unter anderem vorsorglich der CPC#1 ausgetauscht. Die Wartungsarbeiten an dem Flugzeug wurden unterbrochen und am frühen Morgen fortgesetzt.

Der Wartungsingenieur hatte ausgesagt, dass er das Verfahren und die Tests in der Nacht bereits mehrfach habe durchführen müssen und daher „overfamiliar with the procedure“ gewesen sei. Das bedeutet, dass er bei der Installation nicht konsequent das ihm schriftlich vorliegende Verfahren abgearbeitet sondern Arbeitsschritte aus dem Gedächtnis durchgeführt hat. Dabei vergaß er, den Shipping Plug zu entfernen. Ein solcher als „Memory Lapse“ bezeichneter Fehler wird als einer in der Instandhaltung am häufigsten auftretenden Fehler beschrieben.

Sicherheitsmechanismen

Im Rahmen dieser Untersuchung sollen unter dem Begriff Sicherheitsmechanismen technische Systeme, Maßnahmen, Verfahren und Einrichtungen verstanden werden, die die Auswirkungen auftretender technischer oder menschlicher Fehler im Sinne der Wahrung der Flugsicherheit minimieren sollen.

Der Shipping Plug war aufgrund seiner schwarzen Farbe im Vergleich zu der gleichfalls schwarzen Vorderseite des Gehäuses des CPC nicht sehr auffällig ausgeführt. In Form und Farbe ähnelte der Shipping Plug zudem stark dem „Thumbscrew holddown“ zum Fixieren der jeweiligen Avionikgeräte in dem Gestell. Der Shipping Plug war am Rand mit einem Loch versehen, das nach Angaben der Firma Nord Micro für die Befestigung eines Anhängers vorgesehen war. Es ist wahrscheinlich, dass sich der Anhänger gelöst hat. Es konnte nicht ermittelt werden, seit wann der Anhänger fehlte. Ein solcher Anhänger kann, wie auch ein leicht erkennbarer Shipping Plug, als ein Sicherheitsmechanismus angesehen werden. Im vorliegenden Fall war dieser nicht vorhanden bzw. wirkte nur unzureichend.

Nach Meinung der BFU wird im Boeing Aircraft Maintenance Manual (AMM) bei der Erläuterung der entsprechenden Arbeitsanweisung deutlich darauf hingewiesen, dass der Shipping Plug vor dem Installieren des CPC zu entfernen ist. Der Hinweis im Component Maintenance Manual (CMM) ist ebenfalls deutlich. Trotzdem zeigt der vorliegende Fall, dass in einer MRO durch sich ergebende Unterbrechungen in den Abläufen der Wartungsarbeiten bzw. durch mehrfache Wiederholungen bei Tests Fehlermöglichkeiten entstehen können.

Die BFU ist der Auffassung, dass der Shipping Plug so gestaltet sein sollte, dass er sich deutlich sichtbar von dem CPC und seiner Umgebung abhebt. Dies könnte durch eine auffällige Form und Farbe gewährleistet werden. Es wäre jedoch besser, wenn der Shipping Plug sicher mit einem Anhänger verbunden ist, der lang und auffällig genug ist, und vor den Tasten des CPC hängt, die von dem Wartungspersonal nach der Installation bedient werden müssen, um den Pressurization System Ground Test durchzuführen. Damit könnte ein Arbeitsfehler leichter erkannt und beseitigt und daraus resultierende Folgen vermieden werden.

Der nach der Installation des CPC durchgeführte Pressurization System Ground Test war nicht geeignet, diesen Fehler zu erkennen.

Schlussfolgerungen

Die Schwere Störung ist auf folgende Ursachen zurückzuführen – Unmittelbare Ursachen:

  • Bei der Installation des Cabin Pressure Controllers wurde es entgegen der Arbeitsanweisung unterlassen, die Schutzkappe vom Static Port zu entfernen
  • Aufgrund der während des Fluges gemessenen Druckdifferenz wurde das OFV geöffnet und es kam zu einem rapiden Druckverlust

Systemische Ursachen:

  • Die Schutzkappe war nicht deutlich erkennbar und nicht mit einem Anhänger versehen.
  • Der Pressurization System Ground Test nach Installation war nicht geeignet, den Fehler zu erkennen

Sicherheitsempfehlungen

Die BFU hat am 18.06.2012 folgende Sicherheitsempfehlung herausgegeben:

Empfehlung Nr: 24/2012

The Federal Aviation Administration (FAA) should require Boeing to re-design the shipping plugs in a way which makes them more recognizable. The shipping plugs should also be coupled with an eye-catching tag.

Maintenance and Repair Organizations should only cover the static ports of a cabin pressure controller with a shipping plug which is clearly visibly coupled with a tag.

Mit Schreiben vom 07. März 2013 hat die FAA auf die Sicherheitsempfehlung der BFU wie in Abb. 4 reagiert.

Mit Schreiben vom 21.02.2014 teilte der Flugzeughersteller wie in Abb. 5 gezeigt seine Reaktion mit.

Abb. 6 zeigt einen Auszug aus den FDR-Daten.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Quelle und Bilder: BFU.