Aerolastik im Kryokanal: damit Flügel noch besser werden

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Im Wind wehende Blätter, wogende Kornfelder – die Effekte bewegter Luft begegnen uns auf verschiedene Art und Weise. In der Luftfahrt ist der Einfluss der Luftströmung auf die Flugzeugstrukturen von entscheidender Wichtigkeit. Die dabei auftretenden Phänomene untersucht die Wissenschaft der Aeroelastik.

Je besser ein Flugzeugflügel „umströmt“ wird, desto weniger Treibstoff verbraucht das – umso umweltverträglicher fliegt es, umso mehr Passagiere kann es transportieren, umso mehr Fracht passt ins , umso leichter kann es gebaut werden… Die Folgeeffekte sind so vielfältig wie ökonomisch wertvoll. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und (DLR) erforschen deshalb erstmals, wie sich laminare Strömung auf die aeroelastische Stabilität eines beweglichen Flügelprofils auswirkt. Dazu untersuchen sie ein entsprechendes Flügelmodell im minus 173 Grad Celsius kalten kryogenen Windkanal in .

Verbesserungen von tausendstel bis 20 Prozent

Bis 2050 sollen die von Flugzeugen verursachten Kohlendioxid- im Vergleich zum Jahr 2000 um 75 Prozent und die Stickoxid- um 90 Prozent gesenkt werden. So sieht es das europäische Strategiepapier „Flightpath 2050“ vor. Um diese Vorgaben einzuhalten, werden einzelne Komponenten von Flugzeugen ständig optimiert. Dank der hohen Lebenszeit von Flugzeugen lohnen sich selbst diese kleinsten Verbesserungen noch. Doch während konventionelle Optimierungen den Treibstoffverbrauch oft nur um Tausendstel Prozent drücken, schätzen Experten das durch laminare Flügelstrukturen zu erreichende Potential auf etwa 20 Prozent.

Doch was ist eigentlich Laminarität? Um abzuheben braucht ein Flugzeug Auftrieb. Diesen erhält es durch die umströmende Luft am Flügel. Je gleichmäßiger diese Strömung verläuft, desto geringer ist der Widerstand gegen den das Flugzeug anfliegen muss. Diese gleichmäßige Strömung wird als „laminar“ bezeichnet. Die ungeordnete Luftbewegung mit einem großen Widerstand dagegen nennt man „turbulent“. Oberfläche und Form der Flügel beeinflussen dabei das Umströmungsverhalten: Die Luft fließt mit geringstem Widerstand eng anliegend und gleichmäßig, also laminar, über den Flügel. Bei normalen Flügeln kommt es bereits an der Vorderkante zu Verwirbelungen, die den Auftrieb beeinträchtigen. Ein geringerer Luftwiderstand reduziert also den Treibstoffverbrauch, die Emission von Schadstoffen und spart Energiekosten.

Anforderungen bei hoher Geschwindigkeit

Die Idee von laminaren Flügeln ist nicht neu. Segelflugzeuge nutzen sie bereits. Die auf Strukturen von modernen Passagierflugzeugen zu übertragen ist jedoch technologisch deutlich anspruchsvoller. Grund sind die hohen Anforderungen an Fluggeschwindigkeiten und Systemzuverlässigkeit. Auch das Schwingungsverhalten der Flugzeugflügel wird durch die laminare Umströmung maßgeblich beeinflusst – wie genau wurde aber bislang noch nicht in der Luft erforscht.

Die neuen, laminaren Flügelstrukturen können unvorhergesehene Wechselwirkungen mit der umströmenden Luft eingehen und anders als herkömmliche Flugzeugflügel schwingen. Um einen sicheren Betrieb dieser neuen Technologie zu ermöglichen, erforschen die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Aeroelastik aus deshalb zunächst in verschiedenen Windkanal-Versuchen mit einem zwei-dimensionalen laminaren Flügelprofil, wie sich die beobachteten Effekte einer typischen laminaren Umströmung sicher auf einen Flugzeugflügel übertragen lassen.

Versuchsreihe: Flugbedingungen testen

In einem ersten Schritt wurde das Modell dafür im Transsonischen Windkanal Göttingen unter Flugbedingungen simuliert, die in der Nähe der Schallgeschwindigkeit liegen. Mit diesen Messungen konnten überhaupt erst numerische Werkzeuge für die Vorhersage des laminaren Strömungsverhaltens entwickelt und geprüft werden. Im nächsten Schritt wurde das Flügelprofil im kryogenen Windkanal in realistischen Reynolds-Zahlen ausgesetzt. Diese geben Auskunft darüber, wie gut die Luft über ein Profil strömt und wann der Übergang von laminaren zu turbulenten Luftströmen auftritt.

Dafür wurde der Windkanal mit Stickstoff geflutet und auf eisige minus 173 Grad heruntergekühlt. Die kalte, zäh gemachte Luft umströmt den Flügelquerschnitt; Sensoren messen wie sich der Druck verteilt und welche Schwingungen auftreten. „Ohne die beiden Kenngrößen Geschwindigkeit und Reynolds-Zahl, können wir keine verlässlichen Aussagen über die aeroelastische Stabilität des Flügelprofils treffen“, erklärt Dr. Holger Mai, vom DLR-Institut für Aeroelastik. „Durch die verschiedenen Windkanal-Versuche können wir die Effekte der laminaren Strömung sehr sauber beobachten und von anderen störenden Effekten trennen.“ In einem letzten Schritt soll das Flügelmodell auf realistische Flugtauglichkeit geprüft werden: Der „European Transonic Windtunnel“ (ETW) vereint beide Vorteile der bisherigen Windkanäle. In ihm können sowohl realistische Geschwindigkeiten als auch realistische Reynolds-Zahlen produziert werden. Durch die Kombination beider Effekte lassen sich echte Flugzeugkonfigurationen testen und die erstellten numerischen Modelle validieren. Nach Abschluss dieses Schrittes werden die Ergebnisse ausgewertet. „Dann können wir eine Aussage treffen, ob laminare Flügelstrukturen tatsächlich anders schwingen als herkömmliche“, erklärt Dr. Mai.

ALLEGRA für die Numerik

Das DLR-Projekt namens ALLEGRA verfolgt die Weiterentwicklung von numerischen Verfahren zu einem robusten Werkzeug zur Überwachung der aeroelastischen Stabilität in Windkanalversuchen. Die Projektleitung liegt beim DLR-Institut für Aeroelastik in Göttingen. Wichtige Beiträge zur Aerodynamik und Messtechnik liefert das DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik in ihren Standorten in und Göttingen. Die Stiftung Deutsch-Niederländische Windkanäle unterstützt das Projekt mit der Bereitstellung der Windkanäle für die Versuchsreihe.