Wenn Alexander Gerst als deutscher Astronaut der Europäischen Weltraumorganisation ESA am 06. Juni 2018 zur ISS aufbricht, wird er zum zweiten Mal für sechs Monate – voraussichtlich bis zum 12. Dezember 2018 – im größten internationalen Technologieprojekt aller Zeiten arbeiten.
Viele wissenschaftlich und gesellschaftlich relevante Fragen sollen auf der Internationalen Raumstation ISS in 41 deutschen Experimenten beantwortet werden, die das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) für die nächste Mission von Alexander Gerst zur ISS – „horizons – Wissen für Morgen“ – koordiniert und steuert.
Wissensstandort Deutschland gestärkt
In diesem wissenschaftlichen Labor entwickeln führende Raumfahrtnationen – die USA, Russland, Japan, Europa und Kanada – gemeinsam Lösungen für globale Herausforderungen wie Gesundheit, Umwelt und Klimawandel sowie Digitalisierung, Industrie 4.0, Energie und Mobilität von Morgen. „Die Mission von Alexander Gerst stärkt den Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland und macht die Bundesrepublik zu einem der intensivsten Nutzer und Profiteure der wissenschaftlichen Anlagen an Bord der Internationalen Raumstation.
Raumfahrt und Raumfahrtforschung sind für unsere moderne Gesellschaft unverzichtbar, sie bieten Lösungen für viele zentrale Herausforderungen – ob in der Navigation, zum Beispiel mit dem Galileo-System, bei Digitalisierung und Industrie 4.0, beim Umweltmonitoring und für das bessere Verständnis des Klimawandels – Raumfahrt ist gefragt“, betont Dr. Walther Pelzer, Vorstand des DLR Raumfahrtmanagements in Bonn, das die deutschen Beiträge zur ISS und damit auch zur horizons-Mission von Alexander Gerst steuert.
horizons – Wissen für die Erde
Wenn Alexander Gerst auf der ISS forscht, dann findet Wissenschaft nicht nur im Weltraum statt, verdeutlicht Volker Schmid, horizons-Missionsmanager beim DLR Raumfahrtmanagement: „Die Experimente wurden auf der Erde entworfen. Die Hard- und Software wurde hier entwickelt und gebaut. Proben stammen aus irdischen Laboren und viele davon kehren nach den Versuchen auf der ISS wieder dorthin zurück, um ausgewertet zu werden.
Die Ergebnisse dieser Forschung schieben wiederum auf der Erde Innovationen an – auch in Deutschland.“ Rund 1.000 Wissenschaftler, Ingenieure und Programmverantwortliche arbeiten in ganz Deutschland für den Erfolg der horizons-Mission – im DLR, an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und in der Industrie. Insgesamt arbeitet Gerst bei horizons an 67 europäischen Experimenten, von denen 41 aus Deutschland kommen.
horizons – Gesundheit und Sinne der Tiere nutzen
Die Internationale Raumstation bietet exzellente Möglichkeiten, um in Schwerelosigkeit unseren Körper sowie Zellen von Menschen, Tieren und Pflanzen zu erforschen. So ermöglicht das FLUMIAS-Mikroskop, zum ersten Mal lebende Zellen direkt in Schwerelosigkeit sichtbar zu machen, sie zu vergrößern und in 3D abzubilden. Mit Myotones werden erstmals die grundlegenden biomechanischen Eigenschaften der Skelettmuskulatur überwacht, um Veränderungen durch fehlende Schwerkraft zu untersuchen.
Weitere deutsche Experimente beschäftigen sich zum Beispiel mit dem Immunsystem und Genreaktionen in Schwerelosigkeit. „Dank dieser Forschung lernen wir zum Beispiel, Krankheiten wie Krebs, Immunschwäche oder Muskel- und Knochenschwund besser zu verstehen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich dann innovative Medikamente und Therapieansätze entwickeln, die unser Leben auf der Erde verbessern“, erklärt Dr. Markus Braun, Programmverantwortlicher für die humanphysiologische und biologische Forschung unter Weltraumbedingungen beim DLR Raumfahrtmanagement.
Doch auch Umwelt- und Klimabedingungen lassen sich von der ISS aus erforschen. Tiere haben beispielsweise ein sehr gutes Gespür für Klimaveränderungen und einen „siebten Sinn“ für nahe bevorstehende Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche und Erdbeben. Winzige, an Kleintieren wie Vögeln oder Fledermäusen angebrachte Sender funken im Projekt ICARUS Daten über deren Wanderverhalten zur ISS. Diese Informationen können Forscher auswerten und zum Beispiel Rückschlüsse über klimatische Veränderungen und globale Wanderrouten der Tiere bei uns auf der Erde ziehen.
horizons – Digitalisierung, Industrie 4.0, Energie
Digitalisierung bedeutet Veränderung. Im Alltag merken wir das an stetigen Weiterentwicklungen: Smartphones werden „intelligenter“ und verbinden sich im Internet der Dinge mit Haushaltsgeräten wie dem Kühlschrank oder der Waschmaschine. Sprachassistenten unterstützen Menschen bei ihrer täglichen Arbeit. Ein solches digitales Assistenzsystem soll mit dem vom DLR Raumfahrtmanagement, Airbus und IBM entwickelten Technologiedemonstrator CIMON auf der ISS zum Einsatz kommen.
Das siebte Crewmitglied ist ein fliegender und smarter Astronautenassistent. Ausgestattet mit Künstlicher Intelligenz (KI) soll er den Astronauten bei ihrer täglichen Arbeit helfen. Doch nicht nur auf der ISS sind Roboter im Einsatz. Alexander Gerst wird während seiner Mission einem humanoiden Androiden des DLR in Oberpfaffenhofen Kommandos auf der Erde geben, sodass dieser weitgehend autonom Aufgaben lösen kann. Beide Projekte sollen Innovationen für Anwendungen in der robotischen Industrieproduktion, der Medizin und Pflege sowie der Bildung vorantreiben.
Außerdem soll der deutsche ESA-Astronaut im Soft Matter Dynamics/CompGran-Experiment das Verhalten von Granulaten auf der ISS erforschen, damit mit den hier gewonnenen Erkenntnissen Industrieprozesse und -anlagen auf der Erde verbessert werden können. Auch das Verhalten von Plasmen wird er untersuchen, um technologischen Fortschritt in der Produktion von Halbleitern, modernen Antrieben, Ventilen und Stoßdämpfern zu bringen. Industrielle Gießprozesse von Hightech-Materialien auf der Erde sollen Schmelzversuche im Elektromagnetischen Levitator (EML) auf der ISS voranbringen.
Diese Forschung macht unter anderem Flugzeuge und Autos leichter und hilft so, Treibstoff und Energie einzusparen – für eine sauberere Mobilität von Morgen. Langzeitversuche zu ultrakalten Atomen in einem neuen, einzigartigen Labor – dem „Cold Atoms Lab“ der NASA – können die Entwicklung von modernster Chip-Technologie, miniaturisierten Lasermodulen und hochpräzisen Uhren und Sensoren weiter vorantreiben, um zum Beispiel die Satellitennavigation in Zukunft noch genauer zu machen.
horizons – Wissensdurst beim Nachwuchs wecken
Die horizons-Mission bietet auch eine ideale Gelegenheit, junge Menschen für die Raumfahrt und damit für Naturwissenschaften und Hightech-Berufe insgesamt zu begeistern. Hierfür hat das DLR ein ganzes „Education-Paket“ rund um den Flug von Alexander Gerst geschnürt. So wurde zum Beispiel eine Zeitkapsel zur ISS geschickt, zusammen mit renommierten Partnern wie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, dem Klett MINT Verlag und „Jugend forscht“ Unterrichtsmaterialien erstellt, eine Raumfahrt-Show geplant und mit den „Beschützern der Erde“ und den „Überfliegern“ zwei Nachwuchswettbewerbe gestartet. Außerdem werden Kinder und Jugendliche von 14 verschiedenen Schulen sowie von drei Schülerlaboren des DLR – den sogenannten DLR_School_Labs – zur ISS funken, um Alexander Gerst live Fragen zu stellen.
Auf den Bildern
Alexander Gerst beim Training: Der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst beim Training für seine Mission „horizons“ in Houston.
FLUMIAS, das neue Mikroskop auf der Internationalen Raumstation ISS, bringt zum ersten Mal Zellen direkt in Schwerelosigkeit zum Leuchten (hier Vimentin, ein Element des Zytoskeletts der Wirbeltiere und ein genereller Marker für Weichgewebstumore).
Myotones-Experiment: Die Astronauten auf der Horizons-Mission benutzen mit MyotonPRO ein Gerät, das es in ähnlicher Form bereits auf der Erde gibt und das nun für den Flug ins Weltall optimiert wurde. Bei der Untersuchung gibt das etwa Smartphone-große Gerät einen kurzen Druckimpuls auf den Körper ab und kann aus der Reaktion des Gewebes auf diesen Impuls Informationen über die Elastizität, Steifigkeit und Eigenspannung (Tonus) des ruhenden Muskels errechnen.
Tierbeobachtung mit ICARUS: Das Wanderverhalten der Tiere kann uns viel über Umwelt und Klimaveränderungen verraten. Winzige, an Kleintieren wie Vögeln angebrachte Sender funken im Projekt ICARUS Daten zur ISS und lassen uns deren Flugrouten erstmals weltweit nachverfolgen.
Cold Atoms Lab – eine atomchipbasierte Anlage zur Untersuchung ultrakalter Quantengase: Künstlerische Darstellung der magnetooptischen Falle und des Atomchips, wie sie in einem Labor an Bord der Internationalen Raumstation ISS für das Einfangen ultrakalter Atome verwendet werden sollen.