Das letzte Examen in Russland ist frisch bestanden, viereinhalb Jahre weltweites Astronautentraining sind geschafft – und nun sind es nicht einmal mehr drei Wochen, bis der nächste deutsche Astronaut Alexander Gerst für sechs Monate den Boden unter den Füßen verliert.
Am 28. Mai 2014 startet der 38-Jährige um 21:56 Uhr (Mitteleuropäische Zeit) an Bord einer Sojus-Kapsel zur Internationalen Raumstation ISS. Sechs Stunden nach dem Start vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan wird er mit seinen Kollegen, dem amerikanischen Astronauten Reid Wiseman und dem russischen Kosmonauten Maxim Suraev, an dem Forschungslabor im All andocken. "Umso näher der Start rückt, desto entspannter bin ich", sagt der Astronaut, der zum ersten Mal ins All fliegt.
Astronauten-Training von Houston bis Tokio
Angefangen hat alles im Mai 2009, als die Europäische Weltraumorganisation ESA den Vulkanforscher aus über 8400 Bewerbern für das Astronautenkorps auswählte. Seitdem hat Alexander Gerst einen Ausbildungsmarathon auf mehreren Kontinenten absolviert: "Ich bin etwa alle drei Wochen zum nächsten Trainingsort gereist."
Simulationen der Landung nach seinem Weltraumaufenthalt, Unter-Wasser-Training für die Ausstiege aus der ISS, Russisch-Unterricht oder auch Zentrifugenfahrten, bei denen die achtfache Schwerkraft für eine kurze Zeit auf den Astronauten einwirkte – ein großes Team aus Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), der ESA, der NASA, der japanischen Raumfahrtagentur JAXA und der russischen Raumfahrtagentur ROSKOSMOS bereitete Gerst auf seine Aufgaben in der ISS vor.
Im letzten halben Jahr trainierte der Astronaut verstärkt die verschiedenen Experimente, die er in der Schwerelosigkeit als "verlängerter Arm" der Wissenschaftler am Boden durchführen wird. Nun findet das Pendeln zwischen Houston, Moskau, Tokio und Köln ein Ende, und für Alexander Gerst beginnt seine Quarantänezeit am Weltraumbahnhof Baikonur, in der er nur eingeschränkten Kontakt zu einem kleineren Kreis an Betreuer haben wird. Wie sein Start ablaufen wird, hat der 38-Jährige bereits im November 2013 fast hautnah erfahren können.
"Blue Dot"-Mission: Mit 26 Mio. PS ins All
Damals stand er als Ersatzmann, als Mitglied der Backup-Crew, neben der Rakete, mit der eine Crew zur Raumstation startete. "Da ist man bis zum Schluss dabei, man hilft der Crew, den Raumanzug anzulegen, man steht direkt bei der Rakete, wenn sie einsteigen", erinnert sich Gerst. "Das ist der Moment, in dem man denkt: In einem halben Jahr sitzt Du auf diesem Ding." Schon damals, sagt er, wäre er am liebsten eingestiegen und mitgeflogen, auch wenn man dabei auf 300 Tonnen Treibstoff sitze und 26 Millionen PS das Team ins All befördern.
166 Tage – bis zum 10. November 2014 – wird Alexander Gerst im All verbringen und auf der ISS leben und arbeiten. Der Geophysiker nennt seine Mission "Blue Dot" – nach einem Foto der Raumsonde Voyager, das die Erde in den Worten des US-Astronomen Carl Sagan gerade einmal als "pale blue dot", als blassen blauen Punkt, zeigte. "Aus dem Weltall sieht man, dass die Erde eine kleine Kugel aus Stein ist, mit einer ganz dünnen Atmosphäre – und das ist alles, was uns Menschen schützt vor der Strahlung aus dem Weltall, was uns das Leben ermöglicht. Und wir gehen nicht gut damit um", sagt Gerst.
Experimente zur Medizin und Materialphysik im Schmelzofen
Während seines Aufenthalts wird Gerst rund 100 Experimente aus den verschiedensten Bereichen von der Materialphysik über die Raumfahrtmedizin bis hin zu Biologie durchführen. 25 dieser Experimente finden unter Führung deutscher Projektwissenschaftler oder mit deutscher Industriebeteiligung statt.
Ein Highlight für ihn: die Installation und Inbetriebnahme des Elektromagnetischen Levitators, eines Schmelzofens, der mit dem europäischen Transporter ATV-5 voraussichtlich im Juli zur Raumstation befördert wird. Seine Arbeit im europäischen Forschungslabor Columbus wird dabei aus dem Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum GSOC (German Space Operations Center) des DLR in Oberpfaffenhofen sowie europaweit aus Nutzerkontrollzentren wie dem MUSC (Microgravity User Support Center) des DLR in Köln betreut.
"Der Moment, auf den ich mich am meisten freue, ist der Blick zurück zur Erde", sagt Gerst. Aus der kleinen Sojus-Kapsel, in der die drei Astronauten Ende Mai auf engstem Raum sitzen werden, wird dies kaum möglich sein. "Den ersten richtigen guten Blick hat man, wenn man in die Raumstation schwebt, seine Kameraden begrüßt hat und dann zum ersten Mal aus der Aussichtskuppel Cupola auf die Erde hinunterschaut."