Faktencheck der VC zum Tarifeinheits-Entwurf von Ministerin Andrea Nahles

Geschätzte Lesezeit: 5 Minuten

Seit einiger Zeit wirbt die Bundesarbeitsministerin für den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit geworben. Andrea Nahles rechtfertigt das Gesetzesvorhaben oft mit dem Verweis auf entsprechende Äußerungen des Arbeitgeberpräsidenten Kramer und des DGB-Vorsitzenden Hoffmann und versuche den Eindruck zu erwecken, es würde sich um eine minimalinvasive Maßnahme am Arbeitsmarkt handeln, die größtmöglichen Rückhalt bei allen betroffenen Akteuren genieße, so die Vereinigung (VC). Der breite Widerstand gegen das Gesetzesvorhaben, wie er in zahlreichen Stellungnahmen und öffentlichen Verlautbarungen von Gewerkschaftern, Rechtswissenschaftlern und anderen Sachverständigen zum Ausdruck kam, bleibt indes völlig unerwähnt.

Die VC hat deshalb zahlreiche Argumente der Bundesarbeitsministerin einem „Realitätscheck“ unterzogen:

Tarifeinheit ist „eine wichtige Säule unserer bewährten Tarifautonomie“.

Nicht die Tarifeinheit, sondern die Tariffreiheit sichert die Tarifautonomie. Durch den gesetzlichen Zwang zur Tarifeinheit wird die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nachhaltig und unumkehrbar gestört. Es würde ein Rechtsrahmen geschaffen, der tariffähigen Gewerkschaften das Recht zur autonomen Tarifvertragsgestaltung nimmt.

Tarifeinheit „war Grundlage für anhaltenden sozialen Frieden“.

Nicht die Tarifeinheit hat den sozialen Frieden gesichert, sondern die im Grundgesetz verbürgte Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Idee einer konkurrenzlosen „Mehrheitsgewerkschaft“ widerspricht diesem Grund- und Freiheitsrecht eklatant. Ein Gesetz, das durch die Erzwingung der Tarifeinheit zwischen Gewerkschaften erster und zweiter Klasse unterscheidet, zerstört das grundrechtliche Fundament und ist eine Bedrohung für den sozialen Frieden.

„Das Bundesarbeitsgericht (hat) im Jahr 2010 das Prinzip der Tarifeinheit nivelliert.“

Das Bundesarbeitsgericht hat nicht die Tarifeinheit „nivelliert“, sondern in seinem Urteil vom 07. Juli 2010 festgestellt, dass der Grundsatz der Tarifeinheit mit der durch das Grundgesetz geschützten Koalitionsfreiheit unvereinbar ist. Schon vor dem Urteil hatten die mit einer Reihe von Gewerkschaften berufsspezifische Tarifverträge geschlossen. Mit dem BAG-Urteil wurde anerkannt, dass Tarifpluralität nicht nur der verfassungsrechtlich gebotene Normalfall ist, sondern längst zur Lebenswirklichkeit in den Betrieben gehört.

„… die Sozialpartner, an der Spitze BDA und DGB, (haben) gemeinsam die Politik eindringlich gebeten, auf eine gesetzliche Regelung hinzuwirken.“

„Die Vereinbarung, diesen Weg zu gehen, … wurde von Arbeitgebern und Gewerkschaften ausdrücklich unterstützt und mitgetragen.“

Die Sozialpartner in bestehen nicht nur aus BDA und DGB. Es gibt in viele anerkannte und als Tarifpartner akzeptierte Gewerkschaften außerhalb des DGB, die das Tarifeinheitsgesetz ablehnen, beispielsweise die Fachgewerkschaften in der Tarifunion des Deutschen Beamtenbundes, der Marburger Bund, der Deutsche Journalisten-Verband und die Vereinigung . Zusammen haben die Berufs- und Fachgewerkschaften rund 600.000 Mitglieder.

Auch im DGB gibt es offenen Widerstand gegen das Gesetzesvorhaben zur Tarifeinheit. Die Gewerkschaften , GEW und NGG, die insgesamt rund 2,5 Millionen Mitglieder repräsentieren, lehnen den Gesetzentwurf ab.

Es sei deshalb, so die VC, in hohem Maße unredlich, diesen offenen Widerspruch zu verschweigen und so zu tun, als ob die Gewerkschaften einhellig das Tarifeinheitsgesetz unterstützen würden.

Fakt ist: Gewerkschaften aus dem DGB, der dbb tarifunion und berufsspezifische Gewerkschaften, die zusammen mehr als drei Millionen Mitglieder vertreten, haben klar ihre Ablehnung zu Protokoll gegeben. Es zeugt von einer gewissen Chuzpe, mit einem dürren Zitat des DGB-Vorsitzenden Hoffmann Einheitlichkeit vorzutäuschen, wo es sie nicht gibt. Die von der Ministerin behauptete Geschäftsgrundlage – Unterstützung der Gewerkschaften für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit – ist entfallen.

„Bei der Erstellung des Gesetzentwurfs haben wir sorgsam darauf geachtet, die gewichtige Stellung von Vereinigungsfreiheit und Streikrecht im Grundgesetz zu wahren. Dass diese Grundrechte nicht angetastet werden, ist für uns conditio sine qua non.“ … „Das Streikrecht ändern wir nicht. Art. 9 des Grundgesetzes bleibt unangetastet.“

In einer Vielzahl von Stellungnahmen der Verbände sowie Gutachten renommierter Verfassungsrechtler und Arbeitsrechtler wird die gesetzliche Festschreibung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip als verfassungswidrig eingestuft. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Regierungsentwurf tief in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit eingreift und tarifmächtigen Gewerkschaften das Recht verwehrt, eigenständig tarifpolitisch tätig zu sein. Wenn sogenannte Minderheitsgewerkschaften keine Möglichkeit mehr haben, ihren eigenen Tarifvertrag durchzusetzen, weil er durch den Mehrheitstarifvertrag verdrängt worden ist, bleibt ihnen auch das Streikrecht verwehrt.

Nach geltender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Arbeitskampfmaßnahmen nur dann verhältnismäßig, wenn ihnen ein „tariflich regelbares Ziel“ zugrunde liegt. Dies wird – so ausdrücklich die Begründung zum Tarifeinheitsgesetz – nicht mehr der Fall sein, wenn aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in den Betrieben die Minderheitsgewerkschaft keinen wirksamen Tarifvertrag abschließen kann.

Die Vereinigungsfreiheit und das Streikrecht werden mit dem Tarifeinheitsgesetz nicht nur angetastet – sie werden massiv eingeschränkt.

„Gesetzliche Regelungen kommen nur dann zur Anwendung, wenn Tarifkollisionen nicht durch autonome Entscheidungen verhindert oder behoben werden können.“

„Tarifkollision“ ist laut VC ein manipulativer Begriff. Er suggeriert, es gebe einen „Zusammenstoß“ von sich überschneidenden Tarifregelungen, der die Unternehmen überfordere und Unfrieden stifte. Das Gegenteil ist der Fall. Seit Jahren gibt es für bestimmte Berufsgruppen spezifische, in der Anwendung völlig unproblematische Tarifverträge, die von den üblichen Branchentarifverträgen abweichen. Die Verhältnisse sind gut geregelt.

So verhandelt beispielsweise der Marburger Bund mit Krankenhausträgern Tarifverträge für die angestellten Ärztinnen und Ärzte und die mit Tarifverträge für die Piloten. Die grundrechtlich geschützte autonome Entscheidung dieser Gewerkschaften, eigenständige Tarifverträge für ihre Mitglieder auszuhandeln, kann nicht einfach per Gesetz außer Kraft gesetzt werden.

Schwerwiegende Kollisionen gibt es indes vor allem dort, wo eigenmächtig Tarifstandards unterlaufen – durch Unternehmens- und Betriebsaufspaltungen, Werkverträge und Leiharbeit, Outsourcing sowie die Erzwingung von Absenkungsvereinbarungen.

„Wir wollen sie (die Bindekraft der Sozialpartnerschaft und der Tarifautonomie) wieder stärken.“

Sozialpartnerschaft braucht starke Gewerkschaften und tariftreue Arbeitgeber. Die Arbeitnehmer müssen sich weiterhin frei entscheiden können, welche Gewerkschaft ihre Interessen wahrnehmen soll. Es darf deshalb auch keine Privilegierung eines bestimmten Gewerkschaftsmodells geben. Dies würde gerade diejenigen Gewerkschaften schwächen, die einen hohen Organisationsgrad vorweisen können und über einen starken Rückhalt in ihrer Berufsgruppe verfügen.

Das Tarifeinheitsgesetz würde deshalb auch das Gegenteil von dem bewirken, was die Ministerin als Ziel ausgibt: eine stärke Bindekraft der Tarifautonomie. Die Sozialpartnerschaft wird geschwächt, wenn Arbeitnehmer gegen ihren erklärten Willen einem Mehrheitstarifvertrag unterworfen werden. Es kann nicht im Interesse der Politik sein, dass Hunderttausende von Gewerkschaftsmitgliedern das Gefühl haben, sie würden um ihre gewerkschaftlichen Grundrechte betrogen.