Der Luftfahrzeugführer startete um 14:26 Uhr1 in Begleitung seiner Gäste vom Flughafen Heringsdorf (EDAH) zu einem 30-minütigen Rundflug. Eine Passagierin war aufgrund einer Verletzung des linken Fußes mit einer Gehhilfe zum Flug erschienen. Nach Aussage des Piloten nahm sie den rechten hinteren Sitz im Luftfahrzeug ein. Gegen 14:50 Uhr meldete sich der Pilot bei Heringsdorf Turm zur Landung. Er bekam die Anweisung als Nummer 2 den Anflug auf die Piste 28 fortzusetzen.
Während des verlängerten Anfluges kam es laut Aussage des Luftfahrzeugführers zu einem unrunden Motorlauf und zum Drehzahlabfall. Dies trat seiner Aussage nach immer dann auf, wenn seine hinten sitzende Passagierin zum Fotografieren die Seite wechselte. Radaraufzeichnungen zeigen, dass das Luftfahrzeug aus dem rechten Queranflug der Piste 28 in Richtung Osten drehte. In einer Entfernung von ca. 3,4 nautischen Meilen (NM) östlich der Piste 28 änderte der Pilot erneut seine Flugrichtung zur Schwelle der Piste 28. Dabei wurde von Zeugen in Flugplatznähe beobachtet, wie das Luftfahrzeug im weiteren Verlauf Höhe verlor.
Bei der vom Piloten eingeleiteten Notlandung setzte das Luftfahrzeug in einem Graben auf, der quer zur Landerichtung über ein Feld verlief. Dabei brach das Fahrwerk und das Luftfahrzeug kam in dem Graben in seine Endlage.
Laut Zeugenvernehmung der Polizei äußerte sich der Pilot gegenüber einer Ersthelferin an der Unfallstelle zum Unfallhergang sinngemäß: er habe Schwierigkeiten mit der Kraftstoffzufuhr gehabt und habe ständig versucht, die Benzinpumpe zu betätigen, wobei jedoch kein Kraftstoff angekommen sei.
An die Stellung des Kraftstoffwahlventils während des Fluges konnte sich der Luftfahrzeugführer nicht erinnern, auch nicht, ob er während der Motorstörung die Stellung des Kraftstoffwahlschalters überprüft hatte.
1 Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit
Angaben zu Personen
Der 44-jährige Luftfahrzeugführer war seit dem 12.03.2009 Inhaber einer Lizenz für Berufspiloten, ausgestellt nach den Richtlinien der ICAO. Die Erlaubnis war bis zum 12.03.2014 gültig. Er besaß die Berechtigung als verantwortlicher Pilot auf einmotorigen Landflugzeugen (SEP land), gültig bis zum 27.02.2012. Die Berechtigung zum Führen von mehrmotorigen Landflugzeugen, zur Ausbildung von Privatpiloten sowie die Instrumentenflugberechtigung waren in seine Lizenz eingetragen.
Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 war bis zum 26.02.2012 gültig, verbunden mit der Auflage eine Brille zu tragen und eine Ersatzbrille mitzuführen. Die Gesamtflugerfahrung betrug 1.557 Stunden bei 3.488 Starts und Landungen. Auf dem betroffenen Muster hatte er 761 Stunden Flugerfahrung. In den letzten 90 Tagen betrug seine Flugzeit 27:10 Stunden mit 33 Landungen.
Angaben zum Luftfahrzeug
Das Flugzeug Cessna 172 D ist ein 4-sitziger, einmotoriger Schulterdecker mit abgestrebten Tragflächen und festem Dreipunktfahrwerk in Bugradanordnung. Das betroffene Flugzeug wurde 1962 gebaut und war mit einem 6-Zylinder-Continental-O- 300-D-Triebwerk mit festem Zweiblatt-Propeller ausgerüstet. Es war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und wurde von einem Luftfahrtunternehmen betrieben. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit war am 22.04.2011. Zum gleichen Zeitpunkt wurde eine 100-Stunden-Kontrolle durchgeführt. Das Luftfahrzeug hatte nach der letzten Kontrolle eine Betriebszeit von 14 Stunden. Die Gesamtflugzeit betrug 4.022 Stunden.
Es lag für den Unfallflug keine aktuelle Masse- und Schwerpunktberechnung vor. In der vom Unternehmen erstellten Standardmasse und Schwerpunkttabelle im Flughandbuch stimmte die ausgewiesene Leermasse (660 kg) mit dem letzten Wägebericht des Luftfahrzeuges (1.473,05 lb) nicht überein. Es ergab sich bei der Umrechnung eine Differenz von 8 kg.
Die im Luftfahrzeug vorgefundene Checkliste beinhaltete keine Notverfahren. In einem A-5-Klemmordner mit der Aufschrift „Flughandbuch“ waren keine Notverfahren beschrieben bzw. Checklisten für den Notfall vorhanden.
Das im Instrumentenbrett fest eingebaute GPS Garmin 150 XL war in der Ausrüstungsliste des Luftfahrzeuges sowie im Prüfbericht der elektronischen Ausrüstung nicht aufgeführt.
Meteorologische Informationen
Zum Unfallzeitpunkt herrschten Sichtflugwetterbedingungen. Laut Wettervorhersage für den Flughafen Heringsdorf von 14:20 Uhr UTC betrug die Sicht mehr als 10 km und der Wind wehte aus 260° mit 11 Knoten, variabel 240° bis 300°. Die Lufttemperatur wurde mit 17 °C angegeben und der Luftdruck betrug 1.020 hPa. Der Bewölkungsgrad lag bei 3 bis 4/8 in 4.400 Fuß.
Funkverkehr
Zwischen dem Luftfahrzeug und Heringsdorf Turm bestand Funkverbindung auf der Frequenz 132,825 MHz. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.
Flugdatenaufzeichnung
Die Aufzeichnung des Flugweges wurde durch das Amt für Flugsicherung der Bundeswehr (AFSBw) bereitgestellt und stand der BFU für die Auswertung zur Verfügung. Sie erfolgte in dem Zeitraum von 14:31 Uhr bis zum Unfallzeitpunkt um 14:57 Uhr. Die Daten für Position, Geschwindigkeit sowie die Flughöhe wurden in einer Drei-Sekunden-Rate aufgezeichnet.
Angaben zum Flugplatz
Der Flughafen Heringsdorf befindet sich vier nautische Meilen südlich von Heringsdorf auf der Insel Usedom. Er verfügt über eine befestigte Landebahn in Richtung 28/10 (283°/103°) mit den Abmessungen 2.305 x 35 m bei einer Flugplatzhöhe von 93 ft AMSL.
Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Die Unfallstelle befand sich auf einem Feld ca. 1.800 m östlich des Aufsetzpunktes der Piste 28. Das Luftfahrzeug lag in einem bewachsenen Graben, der über das ansteigende Landefeld quer zur Landerichtung verläuft. Das Bugfahrwerk sowie das rechte Hauptfahrwerk waren abgerissen. Die Triebwerkverkleidung war verformt und der Motorträger nach unten verbogen. Der Vergaser war am Übergang zum Triebwerk abgebrochen und die Batterie war aus der Halterung am Brandschott gerissen. Ein Blatt der Luftschraube war nach hinten gebogen.
Die linke Tragfläche war am hinteren Befestigungspunkt abgerissen und die Kraftstoffleitung vom linken Tank war im Bereich des Übergangs zum Rumpf abgetrennt. Hinter dem Gepäckraum bis zum Seitenleitwerk war der Rumpf beidseitig gestaucht.
Der Kraftstoffwahlschalter befand sich in einer ca. 11-Uhr-Position und der Gemischhebel wurde in gezogener Stellung vorgefunden. Der Bedienknopf für die Vergaservorwärmung war gedrückt und der Primer gezogen. An der Unfallstelle war Kraftstoff aus dem linken Tank über den linken Teil des Cockpits ins Erdreich gelaufen. In beiden Tanks war Kraftstoff vorhanden. Bei der Bergung des Luftfahrzeuges wurden ca. 50 Liter Kraftstoff abgepumpt.
Die Elektroden der Zündkerzen hatten eine Braunfärbung, beide Zündmagnete arbeiteten, alle Kolben des Triebwerks waren schlüssig verbunden und die Kurbelwelle ließ sich manuell drehen. Das äußere Schutzglas des Kraftstofffilters war zerbrochen. Die Untersuchung des Kraftstoffschlauches vom Filter zum Vergaser war ohne Befund. Die Überprüfung des Vergasers am Unfallort ergab, dass beide Schwimmer unbeschädigt und frei beweglich waren. Im Schwimmergehäuse befand sich kein Kraftstoff.
Am Triebwerk wurde eine Beschädigung des Schlauches an der Unterdruckpumpe und Scheuerspuren an einem Metallrohr festgestellt.
Unterhalb des Primers und der Gemischregelung wurde ein weiteres Bedienelement in gezogener Stellung vorgefunden. Der angeschlossene Bowdenzug endete ohne Funktion hinter dem Brandschott im Bereich des Kraftstofffilters.
Brand
Es entstand kein Brand.
Versuche und Forschungsergebnisse
In beiden Flächentanks der Cessna befand sich zum Unfallzeitpunkt Kraftstoff. Es war jedoch kein Kraftstoff im Schwimmergehäuse des Vergasers feststellbar. Da der Tankwahlschalter zwischen den beiden vorderen Sitzen leicht beweglich war, wurde die Möglichkeit untersucht, ob der Wahlschalter von der rechten hinteren Sitzposition aus mit dem linken Fuß während des Fluges verstellt werden kann. Dazu wurden am 12.08.2011 auf dem Flugplatz Eberswalde/Finow in der Kabine der verunfallten Cessna 172 Versuche durchgeführt.
Aus der Stellung „Beide Tanks“ war es nicht möglich, mit dem Fuß den Tankwahlschalter in die Stellung ca. „11 Uhr“ zu verstellen. Aus der Stellung „Linker Tank“ haben die Versuche ergeben, dass es möglich ist, den Tankwahlschalter mit dem Fuß in eine ca. 11-Uhr-Position zu verstellen. Die Ferse des linken Fußes drückte gegen den Tankwahlschalter und nach dem Zurückziehen des Fußes stand der Wahlschalter in der abgebildeten Position.
Aus der Stellung „Rechter Tank“ haben die Versuche ergeben, dass es nicht möglich ist, den Tankwahlschalter mit dem Fuß in eine ca. 11-Uhr-Position zu verstellen. Weiterhin wurde untersucht, ob die Tasche mit den Bordpapieren mit dem linken Fuß aus der rechten hinteren Sitzposition nach vorn gedrückt und der Tankwahlschalter somit in die vorgefundene Position gebracht werden konnte. Diese Möglichkeit konnte ausgeschlossen werden.
Organisationen und deren Verfahren
Der im Luftfahrtunternehmen eingesetzte Luftfahrzeugführer wurde am 14.05.2011 im Rahmen eines Company-Checkfluges überprüft. Die vorgeschriebene Not- und Sicherheitsschulung wurde durchgeführt.
Beurteilung
Der Pilot war ausreichend lizenziert und mit seiner großen Flugerfahrung auf dem betroffenen Muster für die Durchführung des Fluges qualifiziert. Das Flugwetter war für die Durchführung eines Sichtfluges sehr gut geeignet. Der im Flugbetriebshandbuch, Part D vorgeschriebene Company-Check war durchgeführt worden.
Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zugelassen. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit wurde am 22.04.2011 durchgeführt. Aus Sicht der BFU war eine Oberflächlichkeit bei der Prüfung der Ausrüstungsliste mit den tatsächlich im Luftfahrzeug eingebauten Geräten zu erkennen. Es konnte nicht geklärt werden, wann das Garmin 150 XL eingebaut wurde und warum es in der Ausrüstungsliste nicht aufgeführt war.
Die Untersuchung des Luftfahrzeuges ergab, dass sich das Triebwerk optisch in keinem guten Zustand befand. So fand sich eine Scheuerstelle des Unterdruckschlauches an einem Metallrohr. Weiterhin gab es ein Bedienelement im Cockpit, das keine Funktion hatte und auch nicht entsprechend gekennzeichnet war.
Zwar waren die Mängel für den Unfall nicht relevant, sie zeigten jedoch eine gewisse Vernachlässigung der Luftfahrzeugpflege und der Aktualisierung der an Bord erforderlichen Checklisten sowie Unterlagen zur Flugdurchführung.
Mit großer Wahrscheinlichkeit kam es während des verlängerten Anfluges zu einer Unterbrechung der Kraftstoffzufuhr, die wahrscheinlich durch eine vom Piloten unbemerkte Verstellung des Kraftstoffwahlschalters hervorgerufen wurde.
Schlussfolgerungen
Der Flugunfall ist darauf zurückzuführen, dass das Triebwerk während des Fluges nicht mehr mit Kraftstoff versorgt wurde. Der Pilot leitete daraufhin eine Notlandung ein. Die Landung misslang, weil der Pilot vor dem ausgewählten Notlandefeld mit Minimalgeschwindigkeit in einem Graben aufsetzte, der durch den Bewuchs nicht erkennbar gewesen war.
- Art des Ereignisses: Unfall
- Datum: 25. Juni 2011
- Ort: Heringsdorf
- Luftfahrzeug: Flugzeug
- Hersteller / Muster: Cessna / 172 D
- Personenschaden: drei Personen schwer verletzt
- Sachschaden: Luftfahrzeug schwer beschädigt
- Drittschaden: Flurschaden
- Informationsquelle: Untersuchung durch Mitarbeiter der BFU
- Aktenzeichen: BFU 3X092-11
- Untersuchungsführer: Holger Röstel
- Braunschweig, 23. Januar 2012
Die Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt und dem Gesetz über die Untersuchung von Unfällen und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge (Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz – FlUUG) vom 26. August 1998 durchgeführt. Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftiger Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen.
- Unfallstelle Foto: BFU
- Flugweg Bild: AFSBw
- Unfallstelle mit rotem Pfeil markiert: Google Earth™-Kartenservice
- Vergaser Foto: BFU
- Schlauch der Unterdruckpumpe Foto: BFU
- Bedienelement ohne Funktion Foto: BFU
Quelle: BFU