Boeing 747 – Lufthansa: Fahrwerk durchstößt Tragfläche

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Nachdem 257 Passagiere und 17 Besatzungsmitglieder für den nach Buenos Aires, Argentinien, eingestiegen waren, wurde eine Boeing 747 von der Lufthansa um 22:55 Uhr von der Fluggastbrücke am 1 abgedockt. Das rollte entlang der Rollwege N5 und N in Richtung Startbahn 18.

Beim Rollen auf die Startbahn brach der Boeing 747 der Lufthansa das rechte Wing Landing Gear (WLG) im Bereich der hinteren Lagerung des Fahrwerkzylinders.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 26. November 2010
  • Ort: Verkehrsflughafen Frankfurt/Main
  • Luftfahrzeug(e): Verkehrsflugzeug
  • Hersteller / Muster: The Boeing Company / B747-400
  • Personenschaden: keiner
  • Sachschaden: Luftfahrzeug schwer beschädigt
  • Drittschaden: keiner

Ereignisse und Flugverlauf

Nach Aussage der Besatzung erhielt sie etwa 300 Meter vor Erreichen der Startbahn 18 die Freigabe zum Aufrollen nach einem startenden Airbus A319. Nachdem sich der A319 in Bewegung gesetzt hatte, wurde langsam auf die Bahn 18 gerollt. Als der A319 erneut anhielt, wurde die B747-400 um 23:10 Uhr auf Höhe des Rollhalts N abgebremst, um das Rollen auf die Startbahn zu verzögern. Die Besatzung gab weiter an, dass zeitgleich mit dem Bremsen auf der rechten Seite ein heftiger lauter Schlag zu verspüren war: „Ähnlich wie wenn man mit einem Auto durch ein tiefes Schlagloch fährt.“

Nach dem Start des A319 entschloss sich die Besatzung langsam auf die Bahn 18 zu rollen und sie dann über den Rollweg L wieder zu verlassen, um die Startbahn nicht zu blockieren und den Vorfall weiter zu untersuchen. Als das außerhalb des Sicherheitsbereiches der Startbahn abgestellt war, verließen die Passagiere das Flugzeug über Fluggasttreppen der und wurden mit Bussen zum Abfertigungsgebäude gebracht.

Angaben zu Personen

Der 57-jährige verantwortliche Luftfahrzeugführer war im Besitz einer Lizenz für Verkehrspiloten (Flugzeug) (ATPL (A)), ausgestellt nach den Regelungen JAR-FCL deutsch. Die Lizenz wurde erstmalig am 14.03.1985 durch das -Bundesamt (LBA) ausgestellt und war bis zum 28.02.2015 gültig. Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 war bis zum 30.08.2011 gültig. Der Pilot hatte eine Gesamtflugerfahrung von 19.595 Stunden, davon absolvierte er 7.987 Stunden auf dem betroffenen Muster. Die Musterberechtigung war bis zum 28.02.2011 gültig.

Der 48-jährige erste Copilot war ebenfalls im Besitz der Lizenz für Verkehrspiloten (Flugzeug) (ATPL (A)), ausgestellt nach den Regelungen JAR-FCL deutsch. Die Lizenz wurde erstmalig am 04.05.1992 durch das LBA ausgestellt und war bis zum 28.04.2015 gültig. Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 war bis zum 03.09.2011 gültig. Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von 8.434 Stunden, davon absolvierte er 5.310 Stunden auf dem betroffenen Muster. Seine Musterberechtigung war bis zum 28.02.2011 gültig.

Der 56-jährige zweite Copilot war im Besitz einer Lizenz für Verkehrspiloten (Flugzeug) (ATPL (A)), ausgestellt nach den Regelungen JAR-FCL deutsch. Die Lizenz wurde erstmalig am 04.11.1994 durch das LBA ausgestellt und war bis zum 10.06.2015 gültig. Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von 13.707 Stunden, davon absolvierte er 7.549 Stunden auf dem betroffenen Muster. Die Musterberechtigung war bis zum 22.06.2011 gültig. Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 war bis zum 20.12.2011 gültig.

Angaben zum Luftfahrzeug

Das Luftfahrzeugmuster B747-430 des Herstellers The Boeing Company ist ein Ganzmetall-Tiefdecker mit Einziehfahrwerk in Bugradanordnung. Angetrieben wurde das Flugzeug von vier Strahltriebwerken, Muster CF 6-80C2B1F, des Herstellers General Electric. Das Flugzeug mit der Werk-Nummer 29101 wurde im Jahr 1998 gebaut. Die Starthöchstmasse betrug 394.625 kg. Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte das Flugzeug eine Abflugmasse von 393,7 Tonnen. Das Flugzeug war in zum Verkehr zugelassen und wurde von einem deutschen Luftfahrtunternehmen betrieben.

Meteorologische Informationen und

Der internationale Verkehrsflughafen Frankfurt/Main (EDDF) verfügte über drei Start- und Landebahnen mit einem Belag aus Beton. Zwei Bahnen haben die Ausrichtung 069° bzw. 249° und die Bezeichnungen 07L/25R bzw. 07R/25L und sind jeweils 4.000 Meter lang und 45 Meter breit. Eine dritte Startbahn mit der Bezeichnung 18 verläuft in Richtung 179°und ist ebenfalls 4.000 Meter lang und 45 Meter breit. Nach Aussage des Flughafenbeauftragten herrschte Dunkelheit, der Wind wehte mit zwei Knoten aus 150 Grad. Die Temperatur betrug -1 Grad C und die Bodensicht 7.000 Meter.

Flugdatenaufzeichnung

Das Flugzeug war ausgerüstet mit einem Flight Data Recorder (FDR) des Herstellers Fairchild, Modell FA2100 p/n 2100-4043-00 mit der Seriennummer 00475 und einem Cockpit Voice Recorder (CVR), ebenfalls von Fairchild, Modell A100S p/n S100- 0080-00 mit der Seriennummer 03007. Die Aufzeichnungen standen der BFU zur Auswertung zur Verfügung.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Der Ort des Ereignisses lag im Bereich des Rollhaltes N der Startbahn 18. Um die Startbahn nicht zu blockieren, hatte das Flugzeug die Bahn über den Rollweg L verlassen und war dort außerhalb des Sicherheitsbereiches stehen geblieben. Die erste Begutachtung des Schadens durch Personal des Luftfahrtunternehmens bzw. des zuständigen Instandhaltungsbetriebes vor Ort auf dem Rollweg L ergab, dass das rechte Wing-Landing-Gear im Bereich des Trunnion, der hinteren Lagerung des Fahrwerkzylinders, gebrochen war (Titelbild). Weiter lagen Beschädigungen im Fahrwerkschacht und an den Fahrwerkklappen vor. Es lief Hydraulikflüssigkeit aus.

Die Tragfläche im Bereich über dem Fahrwerk war durchschlagen (Abb. 2: Durchschlagene R/H Tragfläche, Blick aus dem Fenster). Die Außenhaut des Rumpfes oberhalb der rechten Tragfläche zwischen Station STA 1335 und STA 1350 in Höhe von Stringer STR 21 war nach innen durchstoßen (Abb. 3: Beschädigung in der Außenhaut). Diese Beschädigungen ließen sich auf den aus seinem Füllanschluss herausgedrückten Verschluss-Stopfen des früheren Nivellierungssystems zurückführen.

Abb. 2: Durchschlagene R/H Tragfläche, Blick aus dem Fenster
Abb. 2: Durchschlagene R/H Tragfläche, Blick aus dem Fenster
Abb. 3: Beschädigung in der Außenhaut
Abb. 3: Beschädigung in der Außenhaut

Bei einer ausgedehnten Suche im Bereich des Rollhalts N wurde zwar ein etwa 30 cm langes Bruchstück der hinteren Fahrwerkaufnahme gefunden, aber nicht der Stopfen oder der dazugehörige Sicherungsbolzen. Das defekte Fahrwerk wurde vom Flugzeug demontiert und zusammen mit den sichergestellten Fundstücken zur weiteren Untersuchung nach zum Wartungsbetrieb des Flugzeugbetreibers, Lufthansa Technik, transportiert. Dort war die technische Ausrüstung vorhanden, ein Fahrwerk dieser Größe für die weitergehende Untersuchung zu zerlegen.

Untersuchung des Fahrwerks

Die weitere Untersuchung wurde von der BFU geleitet und von Vertretern der amerikanischen Untersuchungsbehörde NTSB und des Flugzeugherstellers begleitet. Unterstützt wurde die Untersuchung von Mitarbeitern des Betreibers aus den Bereichen Wartung und Labor.

Bei der Untersuchung des gebrochenen Outer Cylinders wurde festgestellt, dass es sich bei dem Grundmaterial um AISI 4340M (300M) mit einer generellen Härte von 52HRC handelte. Dies entsprach den Herstellervorgaben. Der Bruchausgang befand sich im Bereich der Füllbohrung für das ehemalige Nivellierungssystem. Eine nähere Betrachtung ergab, dass sich der Bruchausgang am Innendurchmesser unterhalb der Nickelbeschichtung befand. Der Bruchausgang war an der Bruchoberfläche von kleinen bräunlichen Bereichen umgeben.

Die Untersuchung mit dem Rasterelektronenmikroskop bestätigte den Bruchausgang am Innendurchmesser (Abb. 4: Bruchstück mit Bruchausgangsbereich; Abb. 5: Metallographische Aufnahmen vom Bruchausgang; Abb 6: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme vom Bruchausgang). Der Bruchausgang wies geringfügige Korrosion auf. Der Bruchbeginn verlief transkristallin gefolgt von einem Gewaltbruch, der eine duktile Struktur zeigte. Der Bruch wurde auf Spannungsrisskorrosion zurückgeführt.

Abb. 4: Bruchstück mit Bruchausgangsbereich
Abb. 4: Bruchstück mit Bruchausgangsbereich
Abb. 5: Metallographische Aufnahmen vom Bruchausgang
Abb. 5: Metallographische Aufnahmen vom Bruchausgang
Abb 6: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme vom Bruchausgang
Abb 6: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme vom Bruchausgang

Besonderheit: B747-400 ohne Nivellierungssystem

Bei dem gebrochenen Outer Cylinder handelte es sich um eine ältere Version, die ursprünglich für die B747-200/300 verwendet wurde. Diese verfügten über ein Nivellierungssystem, das einen gleichmäßigen Druck auf alle vier Hauptfahrwerksdämpfer ausübte, um das Flugzeug in der Waage zu halten, wann immer das Flugzeuggewicht von den Fahrwerken getragen wurde. Basierend auf Wartungserfahrungen entfiel das Nivellierungssystem bei dem Muster B747-400.

Um einen Outer Cylinder (aus den früheren Baureihen mit einem Nivellierungssystem) auch für Muster wie die B747-400 verwenden zu können, wurde er vom Hersteller modifiziert, indem der Füllanschluss für das Nivellierungssystem mit einem Stopfen verschlossen wurde. Der Stopfen war mit einem Bolzen gesichert (Abb. 7: Füllanschluss mit Verschlussstopfen). Der Stopfen war dem Druck der Fahrwerk-Stickstofffüllung ausgesetzt. Die Oberfläche der Bohrung, in der der Stopfen saß, war mit Nickel beschichtet.

Abb. 7: Füllanschluss mit Verschlussstopfen
Abb. 7: Füllanschluss mit Verschlussstopfen

Der gebrochene Outer Cylinder des verunfallten Luftfahrzeugs wurde im Jahr 1976 für ein älteres Modell der B747, das mit einem Nivellierungssystem ausgestattet war, hergestellt. Um den Outer Cylinder bei der B747-400 verwenden zu können, wurde der Füllanschluss für das Nivellierungssystem mit einem Stopfen verschlossen.

Aufgrund der Redundanz von vier Hauptfahrwerken, die das Gewicht des Flugzeuges tragen, haben die Fahrwerke der B747 keine Lebensdauerbegrenzung. Sollte ein Hauptfahrwerk ausfallen, sind die drei anderen zertifiziert das Gewicht des Flugzeugs beim Rollen, dem Start und der Landung zu tragen. Daher lagen keine detaillierten Informationen bezüglich der absolvierten Umläufe des gebrochen Fahrwerks vor. Wartungsintervalle bzw. Betriebsstundenzahlen sind für Bauteile, die keiner Lebensdauerbegrenzung unterliegen, auch nicht gefordert.

Zylinder der letzte seiner Art

Schätzungen ergaben, dass der Outer Cylinder etwa 27.750 Umläufe absolviert hatte. Während seines Lebenslaufes wurde er in den Jahren 1996 und 2003 einer Überholung unterzogen. Dabei wurde er u.a. im Bereich des Füllanschlusses überarbeitet, damit der Outer Cylinder in eine B747-400 eingebaut werden konnte. Seit der letzten Überholung hatte er etwa 4.500 Umläufe absolviert.

Der gebrochene Outer Cylinder war der letzte seiner Art, der bei dem Luftfahrtunternehmen verwendet wurde. Bei Instandhaltungsarbeiten wurde er durch einen Outer Cylinder neuer Bauart ersetzt, der ohne Füllanschluss für das Nivellierungssystem hergestellt worden war.

An dieser Stelle wurde der Untersuchungsbericht summarisch, d.h. ausschließlich mit Darstellung der Fakten, abgeschlossen. Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Quelle und Bilder, soweit nicht anders angegeben: BFU