Baustoffe für den Mond im freien Fall: ZERO-G

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Seit dem 05. Mai 2015 ist – als Nachfolger des A300 ZERO-G – der neue Airbus A310 ZERO-G (zu sehen am Tag der Luft und Raumfahrt von DLR und ESA in Köln) als europaweit einziges Parabelflugzeug für schwerelose Forschung im Einsatz.

Nach der gemeinsamen Kampagne mit den Raumfahrtagenturen ESA und ging am 11. September 2015 um 12:25 Uhr mit einer sanften Landung auf dem Bordeaux-Mérignac die erste reine DLR-Parabelflugkampagne mit dem neuen Spezialflugzeug der französischen Firma Novespace erfolgreich zu Ende.

45 Minuten für 40 Passagiere

„Insgesamt ist diese 27. DLR-Parabelflugkampagne mit vier Flugtagen, 124 Parabeln und 45 Minuten sehr gut verlaufen. 110 Wissenschaftler von 14 deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben die jeweils 22 Sekunden Schwerelosigkeit pro Parabel bei 31 Parabeln pro Flugtag gut genutzt, und zwar um „die unterschiedlichsten Phänomene und wissenschaftlichen Fragen zu untersuchen – und zwar ohne die auf der Erde überall präsente Schwerkraft“, wie Dr. Ulrike Friedrich, Programmleiterin der DLR-Parabelflüge. erläutert.

Weil der A310 ZERO-G im südfranzösischen Bordeaux-Mérignac stationiert ist, finden hier auch die DLR-Parabelflugkampagnen statt. „In der Vorbereitungswoche vom 31. August bis zum 04. September sind die Teams angereist, haben ihre Experimente aufgebaut und zusammen mit den Ingenieuren von Novespace die einzelnen Experimentaufbauten ins Flugzeug transportiert. Die Geräte werden noch einmal intensiv auf Sicherheit geprüft und schließlich die Flugerlaubnis erteilt. Die zweite Kampagnenwoche ist dann für den Parabelflug selbst vorgesehen – dieses Mal hatten wir sogar vier statt der üblichen drei Flugtage und waren vom 06. bis 11. September täglich rund drei bis vier Stunden in der , weil so viele wissenschaftliche Experimente durchgeführt werden mussten“, sagt DLR-Managerin Ulrike Friedrich.

Der Airbus A310 ZERO-G hat 40 Sitzplätze für Passagiere und eine rund 100 Quadratmeter große mit weißen Kunstledermatten ausgelegte Freifläche zum Experimentieren in Schwerelosigkeit. Weiße Netze trennen diesen Bereich von der übrigen ab, Schienen im Boden dienen der Befestigung der Experimente. Die Wissenschaftler können sich bei Bedarf mit Bändern am Boden festschnallen, damit sie nicht in den Schwerelosigkeitsphasen unkontrolliert herumschweben und sich selbst, andere oder die Experimentaufbauten gefährden. Die Forscher können ihre physikalischen, biologischen, materialwissenschaftlichen oder medizinischen Experimente eigenhändig durchführen und werden – bei den humanphysiologischen Experimenten – auch als Testpersonen untersucht. „Eine Spritze gegen Reiseübelkeit führt dazu, dass von 40 Wissenschaftlern im Schnitt zwei Personen übel wird, dies wird auch von Tag zu Tag weniger, da ein gewisser Gewöhnungseffekt an die Schwerelosigkeit einsetzt“, sagt Ulrike Friedrich. Denn das Wichtigste ist, neben gut geflogenen Parabeln der Piloten, dass die Wissenschaftler effektiv arbeiten können. Bei 22 Sekunden Schwerelosigkeit pro Parabel zählt im wahrsten Sinne des Wortes jede Millisekunde.

„Wir sind sehr zufrieden“, resümiert Prof. Johann Plank vom Lehrstuhl für Bauchemie an der Technischen Universität München. Plank und seine Mitarbeiter haben untersucht, wie sich Zement – als potenzieller Baustoff für eine Mondsiedlung – in Schwerelosigkeit verhält. Gibt man Wasser zum Zement, bildet sich das Mineral Ettringit. „Wir wollten dann wissen, wie dieses anorganische Salz in Schwerelosigkeit kristallisiert und haben festgestellt, dass es kleinere, aber dafür mehr Kristalle bildet als unter Schwerkraft und dass es keine Oberflächendefekte gibt. Diese Erkenntnis hilft uns auch, die Wirkung der heute vielfach eingesetzten Betonzusatzmittel besser zu verstehen.“

Die Regulation des Herz-Kreislauf-Systems, der Atmung und des Stoffwechsels nach Veränderungen der Umgebungsbedingungen sind entscheidend für die kognitive und physische Leistungsfähigkeit von Menschen. Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln haben die Effekte von Gravitationsveränderungen für Herz und Kreislauf untersucht: „Uns hat besonders interessiert, wie die Regulationsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems in Verbindung mit der Atmung und der Versorgung des Organismus mit Sauerstoff, sowie der Abtransport von Kohlenstoffdioxyd, aussehen. Dies gilt in besonderem Maße bei Start und Landung in der , wenn neben dem Wechsel zwischen 1 G und 0 G zusätzlich relativ hohe Beschleunigungen auftreten. Ähnliche Beschleunigungswechsel treten auch in der bei Jetpiloten auf“, berichtet Jessica Koschate, und ergänzt: „Wenn hohe G-Kräfte wirken, werden sogenannte Anti-G-Manöver, wie Anspannung der Beinmuskulatur und Pressatmung, angewendet. Diese Reize bewirken wiederum eine Reihe von Reizen des Herz-Kreislaufsystems, deren Folgen noch nicht eindeutig geklärt sind.“

Mit „Wirbeln und Nichtlinearen Staubdichtewellen in staubigen Plasmen“ haben sich Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität Kiel beschäftigt: „Plasmen – auch bezeichnet als der vierte Aggregatzustand der Materie – sind elektrisch leitfähig und können Licht aussenden, weshalb sie in Form von Energiesparlampen und in der Bildschirmtechnologie angewendet werden. Plasmen sind außerdem sehr verbreitet in industriellen Prozessen der Materialbearbeitung und -veredelung“, erklärt Physiker Tim Bockwoldt. Als „staubiges Plasma“ bezeichnet man ein Plasma, in dem sich nano- oder mikrometergroße Teilchen befinden. Diese Plasmen gibt es sowohl in industriellen Verfahren als auch in der Natur. So können zum Beispiel die Saturn-Ringe oder Teile der als ein solches staubiges Plasma angesehen werden. „Was wir beim Parabelflug machen, ist echte Grundlagenforschung. Wir schauen uns an, wie sich die staubigen Plasmen ausdehnen und haben in den vier Flugtagen 124 Datensätze mit Videokameras und spezieller Software aufgezeichnet.“

Was die Bilder zeigen

Blutdruck messen im Parabelflug: Mithilfe eines speziellen Blutdruckgerätes haben Mediziner des Universitätsklinikums Bochum bei der 27. DLR-Parabelflugkampagne an Probanden untersucht, wie sich der zentrale Aortendruck in Schwerelosigkeit verhält, um diesen mit den Veränderungen des so genannten peripheren Blutdrucks zu vergleichen. Ein dauerhaft gesteigerter zentraler Aortendruck geht mit einem höheren Schlaganfallrisiko einher – dies gilt auch für Astronauten. Eine Überwachung des zentralen Aortendrucks dient deshalb der Gesundheit der Astronauten. Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) gilt als wichtigster Risikofaktor für Schlaganfälle und Herzinfarkte. In der Vergangenheit wurde dieser am peripheren Blutdruck, das heißt dem am Arm gemessenen Blutdruck festgemacht. In den letzten Jahren konnte jedoch gezeigt werden, dass für die Entstehung von Schlaganfällen der Blutdruck in der Hauptschlagader (Aorta) relevanter ist als der periphere Blutdruck.

Komplexe Plasmen für die ISS: Die Forschungsgruppe Komplexe Plasmen im DLR entwickelt eine neue Plasmakammer, die 2019 zur Internationalen Raumstation ISS starten soll. Auf der ISS wird seit 2001 mit verschiedenen Experimentaufbauten an komplexen Plasmen geforscht. Bei der 27. DLR-Parabelflugkampagne haben Christina Knapek (Mitte) und ihre Kollegen die „Zyflex“-Kammer (abgeleitet von den Worten „zylindrisch“ und „flexibel“) getestet. Sie hat eine anpassbare Geometrie und erlaubt somit verschiedene Experimentszenarien. Beim Parabelflug spielen sowohl technische Tests als auch die Untersuchung diverser wissenschaftlicher Fragestellungen eine Rolle.

„Oben“ und „unten“ in der Schwerelosigkeit: Für zielgerichtetes Handeln müssen wir wissen, wo sich Gegenstände relativ zueinander und zu unserem Körper befinden. Auf der Erde werden solche Zusammenhänge mit Hilfe der Schwerkraftrichtung ermittelt. Wenn wir etwa das Licht ausschalten, müssen wir dafür einen Schalter nach „unten“ bewegen. Wenn aber ein einen Prozess stoppen möchte, indem er einen Kippschalter nach unten umlegt, ist „unten“ in Schwerelosigkeit nicht so intuitiv erfassbar wie auf der Erde. Bei der 27. DLR-Parabelflugkampagne haben Michael Kalizinski (Mitte) und seine Kollegen von der Deutschen Sporthochschule Köln untersucht, inwieweit sich die veränderte räumliche Orientierung in Schwerelosigkeit auf die Durchführung von Bewegungen auswirkt.

Zement – ein geeigneter Baustoff für den Mond? Ein Dorf auf dem Mond? Mit dem richtigen Baustoff denkbar: Deshalb möchte Prof. Johann Plank (links), Inhaber des Lehrstuhls für Bauchemie der Technischen Universität München, mithilfe der DLR-Parabelflüge herausfinden, wie sich Schwerelosigkeit auf die ersten Sekunden der Zement-Hydration auswirkt. Zement ist mit einem Produktionsvolumen von 3,7 Mrd. Tonnen (2012) eines der wichtigsten Industrieprodukte weltweit. Ziel der Parabelflugforschung ist es auch, ein besseres Verständnis für die sehr komplexen Auflösungs- und Kristallisationsprozesse bei der Hydratation des Zements zu erhalten.

Bilder: Novespace