Seit dem 02. März 2004 ist Lander Philae an Bord der Rosetta-Sonde unterwegs zu seinem Ziel, dem Kometen Churyumov-Gerasimenko. Am 12. November 2014 wird er dort in 22,5 Kilometern Höhe über dem Kometen von der Sonde abgekoppelt und setzt – so der Plan – rund sieben Stunden später auf der Kometenoberfläche auf.
Eine Kaltgasdüse und Harpunen sollen dann dafür sorgen, dass Philae auf die Oberfläche gedrückt und verankert wird. Das Signal des Aufsetzens wird gegen 17:00 Uhr im Lander Control Center (LCC) des Deutschen Zentrums für Luft– und Raumfahrt (DLR) erwartet. Von dort aus wird der Lander Philae überwacht und kommandiert. Zu den Aufgaben des LCC gehört auch die Programmierung der Landesequenz, die von der Separation vom Rosetta-Orbiter bis zur Landung auf dem Kometen ablaufen wird.
Die Kommandos für Philae und seine zehn Instrumente an Bord werden vom Kontrollzentrum in Köln zum europäischen Missions-Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt und von dort aus über Bodenstationen zu Rosetta und Philae geschickt. Die Telemetrie von Philae gelangt in umgekehrter Richtung über das ESOC zum LCC. Projektleiter Dr. Stephan Ulamec erläutert im Interview den Ablauf und die Risiken dieser ersten Landung überhaupt auf einem Kometen.
Am 12. November 2014 soll Philae auf Churyumov-Gerasimenko aufsetzen. Wann gibt es das letzte Mal Kontakt zum Lander, bevor der Landevorgang ausgelöst wird?
Die Sequenz, die die Landung steuert, schicken wir über den Orbiter am 08. November, am Samstag, bereits zu "Philae". Eingeschaltet und geheizt wird der Lander dann am Montag. Währenddessen haben wir auch fast permanent Kontakt zum Lander. Nur wenn von einer Bodenantenne zur nächsten geschaltet wird, gibt es kurze Unterbrechungen der Verbindung.
Was könnte ein Auslösen der Landung letzendlich verschieben oder verhindern?
Es muss natürlich geprüft werden, ob die Kommandos für den Lander tatsächlich auch angekommen sind am Orbiter, in den sogenannten "Stored Telecommand Buffern" (STCB) – dort werden Kommandosequenzen abgespeichert. Die Separation würde auch verschoben werden, wenn Subsysteme wie beispielsweise die Batterie am Lander nicht funktionieren oder wenn das Schwungrad nicht aufspinnt. Solche Dinge halt.
Ab welchem Moment ist der Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr für eine Auslösung der Landung gibt?
Von Seiten des Landers geben wir sieben Stunden vor der Separation unser letztes Go. Zwei Stunden vor der Separation prüft die ESA dann noch, ob die Bahn von Rosetta wirklich korrekt ist und das letzte Bahnmanöver richtig funktioniert hat. Die Kommandosequenzen für den Lander sind dann zwar schon oben, man könnte das aber noch stoppen.
Wenn man zum Beispiel herausfinden würde, dass Rosetta auf einer falschen Bahn fliegt und dies die Landung von Philae gefährden könnte. Dann stoppt man den Vorgang, und es passiert nichts. Rosetta fliegt dann einfach weiter, geht in einen höheren Orbit und wir würden dann voraussichtlich in zwei Wochen noch einmal einen Versuch starten.
Wann erhält das Team im Lander Control Center am 12. November denn die ersten Rückmeldungen von Philae?
Wir empfangen bereits während des Abstiegs Daten – die Verbindung beginnt etwa zwei Stunden nach der Separation. Dann sendet der Lander Daten zum Orbiter und von dort aus gehen sie zur Erde. Das sind Informationen zum Zustand von Philae, sogenannte "Housekeeping"-Daten, und auch schon einige wissenschaftliche Daten. Beispielsweise erhalten wir die Rückmeldung, ob das Landegestell ausgeklappt wurde. Und wir erhalten Bilder der ROLIS-Kamera vom Abstieg und Daten zum Beispiel des Instruments CONSERT.
Direkt nach der Landung kommen ebenfalls sofort Daten – sofort heißt dann natürlich wie immer mit der Zeitverzögerung von 28 Minuten Signallaufzeit. So lange dauert es, bis wir im Kontrollraum die Rückmeldung erhalten. Der Touchdown ist vorgesehen für 16:34 Uhr, um 17:02 Uhr müssten dann die Daten eintreffen. Ganz so genau geht’s aber nicht: Wir haben eine Lande-Ellipse mit einem Durchmesser von einem Kilometer, das heißt der Ort der Landung ist ungenau. Und auch der Zeitpunkt ist etwas ungenau – es kann ein wenig früher oder später sein.
Welche Aufgaben hat das Team im Lander-Kontrollraum des DLR bei der Landung?
Es gibt ja einige Entscheidungskriterien für oder gegen das Auslösen der Separation, für die wir die Daten des Landers überprüfen und analysieren müssen. Dies geschieht im Lander Control Center in Köln. Weicht dann einer der Werte von den Nominalwerten ab, wird es besonders anspruchsvoll: Dann muss man schauen, ob dies ein Übermittlungsfehler ist, ob ein Sensor falsche Daten liefert oder ob tatsächlich irgendein System nicht richtig funktioniert. In diesem Fall müssen wir entscheiden, ob man dies durch ein neues Kommando korrigieren kann oder ob man den Landevorgang stoppen muss.
Welche Möglichkeiten gibt es denn während des Abstiegs, um noch einzugreifen?
Auch nach dem Abkoppeln können wir im schlimmsten Fall noch Kommandos zum Lander schicken. Das haben wir in Simulationen schon durchgespielt. Dabei haben wir angenommen, dass Philae das Separationssignal vom Orbiter nicht erhalten hat. Dann fällt er sieben Stunden, weiß nicht, dass er abgekoppelt ist und das Landebein würde nicht ausgeklappt.
Das war lehrreich: Wir haben hier im LCC die Kommandos generiert, dass Philae das Landegestell noch ausfahren soll und in den Touchdown-Modus umschaltet, in dem auch die Harpunen scharfgestellt werden. Das hat in der Simulation gut geklappt. Vorgesehen ist das natürlich nicht, aber im Notfall würde dies so geschehen. Dann würden wir die fünf Stunden vor der Landung, in denen wir bereits Kontakt zu Philae haben, für Korrektur-Kommandos nutzen.
Und in welchem Fall muss das LCC nur abwarten und kann nicht korrigieren?
Was wir überhaupt nicht können, sind Bahnkorrekturen beim Absinken auf den Kometen. Die können wir nicht ausführen, denn Philae ist nicht steuerbar.
Es gibt kein Video in Echtzeit, dass die Landung ins Lander Control Center überträgt. Woher weiß das Team überhaupt, dass Philae gelandet ist?
Wir bekommen mit den Lander-Daten das "Touchdown"-Signal, das bei Philae die Harpunen auslöst und die Kaltgasdüse auf der Oberseite des Landers aktiviert. Ausgelöst wird dieses "Touchdown"-Signal wiederum in dem Moment, in dem das zentrale Element des Landegestells durch das Aufsetzen und den Anpressdruck nach innen gedrückt wird. Dann weiß der Lander: Die Harpunen müssen schießen, die ROLIS-Kamera kann ausgeschaltet werden. Und wir wiederum wissen, ob Philae auf der Kometenoberfläche gelandet ist.
Die Signale werden dann erst mal detaillierter analysiert: Sind die Harpunen gefeuert worden und wurden sie wieder zurückgezogen, um sie im Boden zu verankern? Die Bilder der Panoramakamera kommen relativ schnell, und wir sehen die Landschaft und vielleicht sogar den Horizont des Kometen. Dann ist alles gut und die weitere wissenschaftliche Sequenz kann beginnen.
Was könnte denn eine so reibungslose Landung gefährden?
Das größte Risiko sehe ich in der Landung selbst. Wir haben eine relativ große Lande-Ellipse, etwa einen Quadratkilometer. Auf diesem Gebiet ist zwar viel flaches Gelände – deshalb haben wir es ausgewählt – aber es gibt auch einen gewissen Prozentsatz des Gebiets, wo es steile Hanglagen oder einige Brocken gibt.
Wenn man Pech hat und mit einem Bein genau auf so einem Brocken oder einem Hang landet, kann der Lander umkippen. Ist der Hang zum Beispiel deutlich über 30 Grad geneigt, ist es sogar wahrscheinlich, dass Philae "purzelt". Es ist schwer, vorherzusehen, was dann passiert. Landet er mit den Beinen nach oben und den Antennen nach unten, können wir nicht mit ihm kommunizieren. Das wäre dann auch das Ende der Lander-Mission.
Liegt er durch Zufall auf der Seite, würden wir versuchen, das Signal noch zu empfangen und könnten so einen Teil der Wissenschaft retten. Steht er auf dem Boden, hat sich aber nicht verankert, würden wir den Bohrer SD² und die Sonde MUPUS zunächst nicht einsetzen. Wohlmöglich würde man dadurch nämlich den Lander vom Boden heben und umstoßen. Kameras, Radarinstrument, Massenspektrometer im "Schnüffelmodus" und das Magnetometer kann man dann aber dennoch betreiben.
Dass Philae den Kometen verfehlt und daran vorbeifliegt, ist ein extremer Fall. Da halte ich die Wahrscheinlichkeit für sehr gering. Der Orbiter müsste dann schon eine falsche Ausrichtung oder Position genau in dem Moment des Aussetzens haben.
Was passiert nach einer erfolgreichen Landung als Nächstes?
Dann beginnt die sogenannte erste wissenschaftliche Phase (First Science Sequence). Wenn wir wissen, wie und vor allem wo wir genau gelandet sind, werden wir sehr schnell eine Analyse machen, wie die tatsächliche Beleuchtung ist. Wir haben zwar typische Beleuchtungsszenarien für dieses Landegebiet berechnet, aber letztlich hängt es schon davon ab, ob Philae auf einem sonnigen Hang oder hinter einem schattenspendenden Brocken steht.
Das ist wichtig für die spätere wissenschaftliche Phase, in der die Batterien des Landers über die Sonnenenergie aufgeladen werden. Die erste wissenschaftliche Sequenz, in der alle Instrumente in Betrieb genommen werden, kann auch noch modifiziert werden. Weil wir eben wissen, wann die Sonne auf- und untergeht oder wann es Kommunikationsmöglichkeiten über den Orbiter zum Lander und weiter zur Erde gibt.
Was geschieht in der ersten Nachtschicht im LCC, wenn der Lander keine Funk-Verbindung zum Boden hat?
Dann muss im LCC fieberhaft gearbeitet werden, um in den wenigen Stunden bis zum nächsten Kontakt alle Daten und Bilder so zu analysieren, dass wir den genauen Status des Landers kennen. Zum Beispiel: Wie ist der Lander auf dem Kometen ausgerichtet? Wie fest steht er? Dann muss entschieden werden, ob es ungefährlich ist, zu bohren. Oder ein Instrument andere Einstellungen benötigt, um gut arbeiten zu können. Dafür werden auch die Wissenschaftler konsultiert, die im Lander Control Center vor Ort sind.
Wie geht es mit Philae weiter, wenn der Komet weiter in Richtung Sonne fliegt?
Der Lander ist von seinem Thermaldesign her so ausgelegt, dass er noch bis in eine Entfernung von zwei Astronomischen Einheiten von der Sonne, das sind rund 300 Millionen Kilometer, funktioniert. Dieser Punkt wird Ende März 2015 erreicht sein. Dann könnte es sein, dass der Lander überhitzt und somit nicht mehr betrieben werden kann. Es könnte aber auch sein, dass viel Staub auf die Kometenoberfläche zurückfällt und somit auch auf die Solarpaneele. Das würde bedeuten, dass Philae keinen Strom mehr erhält, um betrieben werden zu können.
Die gesamte Mission von der Planung bis zur Landung läuft nun seit rund 20 Jahren. Steigt die Aufregung im Team so kurz vor der Landung?
Natürlich. Wir haben alles getan, damit die Landung erfolgreich ist. Ob wir auf einem Hang landen oder auf einem flachen Gebiet – das ist ein wenig Glück, da können wir nichts mehr tun. Wir haben das Beste getan, um einen guten Landeplatz zu wählen, der relativ sicher ist. Jetzt muss es einfach klappen.
Das Interview führte Manuela Braun.