Von den über 550 Astronauten, die im Weltall geflogen sind, waren nur knapp 60 Frauen. Die vier europäischen Raumfahrerinnen dieser kleinen Gruppe kamen aus England, Frankreich und Italien. Und Deutschland war bisher noch nicht mit einer Astronautin vertreten.
Zwar hatten die deutschen Astronautenanwärterinnen Heike Walpot und Renate Brümmer Ende der 80er Jahre für den Flug ins All trainiert, doch beide flogen letztendlich nicht auf einer Mission mit. Nun sucht das Unternehmen HE Space die erste deutsche Astronautin, die für zehn Tage auf der Internationalen Raumstation ISS leben und arbeiten soll.
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt das Projekt und führt die psychologischen und medizinischen Untersuchungen der Bewerberinnen durch. „Unsere bisherige Forschung beschäftigt sich vor allem mit männlichen Astronauten – mit den Daten aus dem Auswahlverfahren, aber auch mit den Experimenten einer Astronautin auf der ISS können wir diese Expertise ausbauen und Erkenntnisse für die Forschung gewinnen“, erläutert Prof. Dr. Pascale Ehrenfreund, DLR-Vorstandsvorsitzende.
Leistungsfähig und serviceorientiert
Bis zu 90 der insgesamt über 400 Bewerberinnen werden voraussichtlich im Herbst 2016 die ersten psychologischen Untersuchungen durchlaufen, in denen einen Tag lang unter anderem Fähigkeiten wie Konzentration, Merkfähigkeit und räumliche Vorstellungskraft getestet werden. In einer zweiten Stufe werden die 30 besten Bewerberinnen dann im Interview, aber auch beispielsweise in Team-Aufgaben auf ihre Persönlichkeit, ihre Belastbarkeit und ihre Motivation hin untersucht. „Wer als Astronautin auf eine Mission geht, muss hohe kognitive Leistungsfähigkeit mitbringen und sich schnell an neue, unerwartete Situationen anpassen können“, betont Dr. Yvonne Pecena vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. „Wichtig ist aber auch, dass die Astronautin sich gerne in den Dienst der Wissenschaft und eines großen Teams am Boden stellt – und letztendlich serviceorientiert ist.“ Die psychologischen Untersuchungen, die die Kandidatinnen durchlaufen, werden dabei optimal auf den speziellen Fall einer kommerziellen Weltraumtouristin zugeschnitten. „Das DLR hat Erfahrung unter anderem mit der Auswahl der europäischen Berufsastronauten und erweitert diese jetzt um eine neue Zielgruppe.“
Fit für die Schwerelosigkeit: Vom Sehsinn bis zur Knochendichte
In der anschließenden medizinischen Untersuchung am DLR werden bis zu zehn Bewerberinnen dann auf Herz und Nieren geprüft. „Wir untersuchen den gesamten Körper, um bestmöglich auszuschließen, dass eine Bewerberin beim Training oder während des Aufenthalts auf der ISS Schaden nimmt, aber auch um zu vermeiden, dass die Mission durch eine Erkrankung in Frage gestellt und abgebrochen wird“, erläutert Dr. Claudia Stern, ärztliche Direktorin am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. Ausschlusskriterien wären zum Beispiel ein erhöhter Augeninnendruck, ein schlechtes Immunsystem oder eine geringe Knochendichte – bei allem hätte ein Aufenthalt in der Schwerelosigkeit einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Astronautin. Wer im Alltag auf der Erde unter starker Migräne oder Bewegungseinschränkungen leidet, ist ebenfalls nicht tauglich für eine anstrengende Mission ins All. Untersucht werden unter anderem auch die Funktionen von Herz, Lunge und Nieren sowie die Reflexe und der Gleichgewichtsinn.
„Die Ansprüche an eine kommerzielle Astronautin mit einem einmaligen Aufenthalt von zehn Tagen im All sind nicht so hoch wie an die langjährigen Berufsastronauten, die für möglichst mehrere Langzeit-Missionen tauglich sein müssen – aber jeder, der in der ISS lebt und arbeitet, muss natürlich den Kriterien der internationalen Raumfahrtagenturen entsprechen.“ Die vom DLR empfohlenen Bewerberinnen werden im Anschluss an die Untersuchungen voraussichtlich im Frühjahr 2017 einem „Space Medicine Board“ aus externen Gutachtern aus der Raumfahrtmedizin vorgestellt, das über die Tauglichkeit auf Grundlage der Testergebnisse entscheidet.
Astronautin für Dienst in der ISS
Aber nicht nur die gewonnenen Daten aus Eignungsuntersuchungen werden im DLR ausgewertet und für die wissenschaftliche Forschung verwendet – auch an Bord der ISS soll die erste deutsche Astronautin nach Möglichkeit Experimente durchführen, für die es bisher nur wenige Daten gibt. „Die hormonellen Veränderungen bei Frauen in der Schwerelosigkeit sind bisher nur wenig erforscht“, betont DLR-Ärztin Dr. Claudia Stern. „Hormone sind aber unter anderem sehr wichtig für das menschliche Knochensystem.“ Möglich wären zudem auch Experimente zur Beeinträchtigung des Sehvermögens und zur Erhöhung des Hirndrucks bei Aufenthalten in der Schwerelosigkeit: Diese Auswirkungen scheinen bei männlichen Astronauten etwas stärker ausgeprägt zu sein als bei Astronautinnen. „Wir haben aber nur sehr begrenzte Daten über unsere europäischen Astronautinnen.“ Für die Psychologie sind es vor allem Erhebungen zur Motivation der Bewerberinnen, zur Leistungsfähigkeit oder zur Stressresistenz in extremen Umgebungen. Auch ein materialphysikalisches Experiment an Bord der ISS könnte zu den Aufgaben einer zukünftigen Raumfahrerin gehören.
Premieren für Frauen im All
Vorläuferinnen, die es im All zur Berühmtheit gebracht haben, gibt es bereits: Die Russin Valentina Tereschkova flog am 16. Juni 1963 als erste Frau ins All und landete am 19. Juni – zwei Tage, 22 Stunden und 50 Minuten später – wieder auf der Erde. Swetlana Sawizkaja, die zweite Frau im All, war zugleich die erste Frau, die 1984 einen Weltraumausstieg durchführte. Es folgten unter anderem 1983 die erste amerikanische Astronautin Sally Ride, 2006 die erste Weltraumtouristin Anousheh Ansari – und natürlich die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti, die 2015 mit 199 Tagen Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation ISS den Rekord unter den weiblichen Astronautinnen aufstellte. Einer Kandidatin der Initiative „Die Astronautin“ wäre zumindest eine Premiere sicher – sie wäre die erste deutsche Raumfahrerin im All.
Auf dem Foto: Zu den Untersuchungen im Flugmedizinischen Center des DLR gehört auch ein Check der Augen. Ein erhöhter Augeninnendruck wäre zum Beispiel ein Ausschlusskriterium für den Flug ins All.