Absturz einer Liberty XL-2 nach Durchstartmanöver

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Das startete am 11. Februar 2012 um 15:45 Uhr mit zwei Personen an Bord auf dem Flugplatz Marburg-Schönstadt zu einem erweiterten Platzflug. Nach einer Flugzeit von ca. einer Stunde befand sich das Luftfahrzeug im Anflug auf die Piste 22. Der Luftfahrzeugführer meldete nach Angaben des Flugleiters, dass die tief stehende Sonne ihn blende und er deshalb durchstarten werde, um auf der Piste 04 in Gegenrichtung zu landen.

Nach Angaben von mehreren Zeugen überflog das Luftfahrzeug anschließend die Piste 22 mit erhöhter Geschwindigkeit in niedriger Höhe. Im weiteren Verlauf sei es dann auf eine Höhe von rund 70 Meter gestiegen, abgekippt und auf den Boden geprallt. Bei dem Aufprall wurden beide Insassen tödlich verletzt. Das Luftfahrzeug wurde zerstört und geriet in Brand. Der Unfall ereignete sich gegen 16:45 Uhr.

Angaben zu Personen

Der auf dem linken Sitz befindliche Luftfahrzeugführer war 59 Jahre alt und im Besitz eines Luftfahrerscheins für Privatpiloten PPL (A). In die bis zum 26.05.2013 gültige JAR-FCL-Lizenz waren die Berechtigungen als verantwortlicher Pilot (PIC) für einmotorige Flugzeuge mit Kolbentriebwerk (SEP land) und Reisemotorsegler (TMG) eingetragen. Die beiden Klassenberechtigungen waren bis zum 14.05.2012 gültig.

Ferner verfügte er seit dem 01.05.2003 über eine Berechtigung als Lehrer für Klassenberechtigungen (CRI) für SEP und TMG mit Gültigkeit bis zum 14.05.2012. Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis zum 14.05.2012 datiert, verbunden mit der Auflage eine Brille zu tragen und eine Ersatzbrille mit sich zu führen.

Das persönliche Flugbuch stand zur Ermittlung der Flugerfahrung nicht zur Verfügung. Nach Auskunft der zuständigen Luftfahrtbehörde betrug die Gesamtflugerfahrung zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung des Luftfahrerscheins am 11.05.2009 ca. 898 Stunden auf Flugzeugen und Motorseglern. Durch Auswertung des vereinsinternen EDV-gestützten Abrechnungsprogramms konnten die Flugzeiten auf den Luftfahrzeugen des Clubs für die Jahre 2009 bis 2011 – ca. 400 Flugstunden auf Motorflugzeugen und Motorseglern – errechnet werden. Unterlagen oder Informationen zur Flugaktivität in 2012 standen nicht zur Verfügung.

In den letzten 90 Tagen hatte er mindestens sechs Landungen absolviert. Auf der Liberty XL-2 hatte er 2011 eine Flugerfahrung von 31 Stunden mit 73 Landungen.

Der auf dem rechten Sitz befindliche 63-jährige Fluggast verfügte über einen Luftfahrerschein für Privatpiloten PPL (A). In die bis zum 26.09.2013 gültige JAR-FCL-Lizenz war die Berechtigung als verantwortlicher Pilot (PIC) für einmotorige Flugzeuge mit Kolbentriebwerk (SEP land) einschließlich einer Nachtflugqualifikation eingetragen. Die Klassenberechtigung war bis zum 16.09.2013 gültig. Ferner verfügte er über eine Lizenz für Luftsportgeräteführer zum Führen von aerodynamisch gesteuerten Ultraleichtflugzeugen. Die Lizenz wurde am 17.10.2001 ausgestellt und war bis zum 16.09.2015 gültig. Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis zum 16.09.2012 gültig. Es beinhaltete die Auflage zum Tragen einer Brille und zum Mitführen einer Ersatzbrille.

Angaben zur Gesamtflugerfahrung lagen nicht vor. In den Jahren 2008 bis 2011 hatte er nach den Unterlagen des Vereins rund 70 Stunden auf den Luftfahrzeugen des Clubs, überwiegend Cessna 172, absolviert. Nach Auskunft der örtlichen Luftfahrtbehörde betrug die Gesamtflugerfahrung am 10.09.2001 ca. 250 Flugstunden.

Angaben zum Luftfahrzeug

Das zweisitzige Liberty XL-2 ist eine Weiterentwicklung des Bausatz-Flugzeuges Europa und wurde 2008 mit der Werknummer 0088 des Herstellers Liberty in den USA hergestellt.

Das Luftfahrzeug war in zum Verkehr zugelassen und befand sich in Halterschaft eines Luftsportvereins. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit wurde am 12.10.2011 durchgeführt. Der letzte Eintrag ins Bordbuch erfolgte am 15.10.2011 mit 192 Landungen und einer Flugzeit von 180 Stunden.

Meteorologische Informationen

Am 11.02.2012 befand sich nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes (DWD) die Mitte Deutschlands an der Südflanke einer Hochdruckzone, die sich von den Britischen Inseln bis ins Baltikum erstreckte. Mit einer nordöstlichen Strömung wurde trockene Kaltluft in den Vorhersagebereich geführt.

Die Windstärke wurde im Bergland ganztägig mit 15-20 Knoten, in Böen 25-35 Knoten aus Richtung 040 Grad vorhergesagt. Nach Zeugenaussagen soll der Wind zum Unfallzeitpunkt 6 bis 8 Knoten stark gewesen sein. Die Windrichtung wurde mit 090 bis 130 Grad angegeben. Das GAFOR-Gebiet 43 (Nordhessisches Bergland mit Vogelsberg) hat eine Bezugshöhe von 2.000 Fuß AMSL und wurde in der GAFOR-Vorhersage von 12:00 Uhr UTC mit „Oscar“ eingestuft.

Nach den Satellitenbildern lag eine geringe Bewölkung im Raum Marburg vor. Die Sonne befand sich in einer Position von ca. 240 Grad und einem Winkel von etwa 4 Grad über dem Horizont.

Funkverkehr

Es bestand Funkverbindung mit der Flugleitung von Marburg-Schönstadt. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.

Angaben zum Flugplatz

Der Flugplatz Marburg-Schönstadt (EDFN) liegt ca. 10 km nordöstlich der Stadt Marburg. Er befindet sich in einer Höhenlage von 833 ft AMSL und verfügt über eine 750 m lange und 30 m breite Grasbahn mit der Ausrichtung 040/220 Grad.

Flugdatenaufzeichnung

Der BFU stand ein GPS-Gerät zum Auslesen der Flugdaten zur Verfügung. Es konnte kein Flugweg rekonstruiert werden. Mit Hilfe der Radaraufzeichnung des Flugsicherungsunternehmens ließ sich der Flugweg der Liberty XL-2 teilweise nachvollziehen.

Medizinische und pathologische Angaben

Die beiden Insassen der Liberty XL-2 wurden obduziert. Hierbei wurde festgestellt, dass sich beide Personen beim Aufprall tödliche Verletzungen zugezogen hatten.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die ca. elf Meter lange und sechs Meter breite Unfallstelle befand sich ca. 700 m südwestlich der Flugplatzgrenze von Marburg-Schönstadt auf einer Ackerfläche. Das Flugzeug war zerstört und zeigte mit seiner Längsachse nach Südosten (ca. 160°). Die rechte und linke Tragfläche waren im Verbund vorhanden und bis zum Holm gestaucht.

Der Rumpf mit Cockpit und Motorbereich war bis auf das Leitwerk ausgebrannt. Die Funktion der Steuerorgane sowie die Stellungen von Schaltern und Bedienhebeln konnten aufgrund des hohen, brandbedingten Zerstörungsgrades nicht geprüft bzw. nachvollzogen werden.

Nordwestlich des ausgebrannten Wracks wurden Splitter des Holzpropellers gefunden. Am südwestlichen Rand der Unfallstelle lagen weitere Holzsplitter des Propellers sowie Teile des Haubenrahmens und der Triebwerksverkleidung.

Brand

Das Luftfahrzeug fing nach dem Aufprall Feuer und brannte aus.

Zusätzliche Informationen

Art des Ereignisses: Unfall

Datum: 11. Februar 2012

Ort: Marburg

Luftfahrzeug: Flugzeug

Hersteller / Muster: Liberty Incorporated/ Liberty XL-2

Personenschaden: Zwei Personen tödlich verletzt

Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört

Drittschaden: Geringer Flurschaden

Informationsquelle: Untersuchung durch Beauftragte der BFU

Aktenzeichen: BFU 3X003-12

Der Halter hatte das Luftfahrzeug im letzten Quartal 2011 zusammen mit einer weiteren Liberty XL-2 erworben. Nach Angaben des für zuständigen Vertriebspartners, der amerikanischen Herstellerfirma der Liberty XL-2, waren insgesamt zwei Exemplare dieses Musters in Deutschland zugelassen.

Der verantwortliche Luftfahrzeugführer war vom Halter mit der Einweisung der Piloten des Vereins auf die Liberty XL-2 betraut worden. Er hatte selbst keine praktische Einweisung durch den vormaligen Halter des Luftfahrzeuges in Anspruch genommen sondern sich selbst mit dem Luftfahrzeug vertraut gemacht. Im Gegensatz zu Europa wird das Muster Liberty XL-2 im außereuropäischen Ausland in größeren Stückzahlen geflogen. Es kommt dort vorwiegend in Flugschulen zum Einsatz.

Mit Ausnahme eines tödlichen Unfalls in Australien mit einem , der sich auf einem Soloüberlandflug befand, waren keine größeren Unfälle mit dem Muster bekannt geworden. Aufgrund des Pendelhöhenruders und des vergleichsweise kurzen Rumpfes erfordert die Steuerung um die Querachse nach Aussagen von Piloten, die das Muster geflogen haben, eine „gewisse Feinfühligkeit“, da das Flugzeug bereits auf geringe Steuerausschläge reagiert.

In den USA haben sich in der Vergangenheit mit der Liberty in der Ausbildung eine Reihe von Landeunfällen beim Abfangen ereignet. Die Sicherheitsmindesthöhe ist in Deutschland in § 6 der Luftverkehrsordnung (Luft-VO) geregelt:

(1) Die Sicherheitsmindesthöhe darf nur unterschritten werden, soweit es bei Start und Landung notwendig ist. Sicherheitsmindesthöhe ist die Höhe, bei der weder eine unnötige Lärmbelästigung im Sinne des § 1 Abs. 2 noch im Falle einer Notlandung eine unnötige Gefährdung von Personen und Sachen zu befürchten ist. Über Städten, anderen dicht besiedelten Gebieten, Industrieanlagen, Menschenansammlungen, Unglücksorten sowie Katastrophengebieten beträgt die Sicherheitsmindesthöhe mindestens 300 Meter (1.000 Fuß) über dem höchsten Hindernis in einem Umkreis von 600 Metern, in allen übrigen Fällen 150 Meter (500 Fuß) über Grund oder Wasser. (…)“

Beurteilung

Der verantwortliche Luftfahrzeugführer hatte alle vorgeschriebenen Erlaubnisse und Berechtigungen, um den durchzuführen. Mit mindestens 1.300 Flugstunden auf Flugzeugen und Motorseglern galt er als erfahrener Pilot. Eine ausreichende Flugerfahrung auf der Liberty XL-2 war mit über 30 Stunden Flugzeit bzw. mit mehr als 70 Landungen ebenfalls gegeben. Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassen und nachgeprüft.

Die vorliegenden Fakten sprechen für folgenden Ablauf des Unfallgeschehens: Nachdem das Luftfahrzeug nach einem ca. einstündigen Überlandflug sich im Endanflug auf die Piste 22 befand, entschied sich der Luftfahrzeugführer aufgrund der Blendung durch die tief stehende Sonne durchzustarten, um anschließend in Gegenrichtung zu landen.

Anstatt den Anflug frühzeitig abzubrechen und zeitgleich durchzustarten, um den weiteren Flugverlauf in geeigneter Weise fortzusetzen, wurde ein tiefer Überflug mit erhöhter Geschwindigkeit über die Piste 22 durchgeführt. Beim anschließenden Hochziehen des Luftfahrzeuges am Ende des Flugplatzes geriet die Liberty XL-2 in eine unkontrollierte Fluglage, kippte ab und prallte auf den Boden.

Folgende Faktoren haben mit zu der unkontrollierten Fluglage beigetragen:

  • Die eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit und Einschätzung der Fluglage des Piloten, infolge der Blendung durch die tief stehende Sonne beim Überflug.
  • Die Empfindlichkeit des Pendelhöhenruders der Liberty XL-2.
  • Der rasche Geschwindigkeitsabbau nach dem Hochziehen, evtl. begünstigt durch leichtes Schieben in Verbindung mit dem vergleichsweise voluminösen Rumpf des Luftfahrzeuges.

Schlussfolgerungen

Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass der Flugzeugführer nach Unterbrechung des Landeanfluges den in ungeeigneter Weise fortsetzte, in einen überzogenen Flugzustand geriet und abkippte. Ein erfolgreiches Ausleiten war infolge der geringen nicht möglich.

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit

Quelle: BFU