Ein Ausfall der Computersysteme an einem Flughafen sei außerhalb der Betriebstätigkeit eines Luftfahrtunternehmens und könne von diesem nicht beherrscht werden.
Der Bundesgerichtshof hat jetzt geurteilt, dass eine Flugverspätung aufgrund eines mehrstündigen Systemausfalls an sämtlichen Abfertigungsschaltern eines Terminals, die zu einer Verspätung von mehr als drei Stunden gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit geführt hat, einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift darstellt und das ausführende Luftfahrtunternehmen somit von seiner Ausgleichspflicht befreien kann.
Computerausfall am Flughafen und Streik
Die Klägerinnen buchten bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen Flüge von New York nach London mit Anschlussflügen nach Stuttgart. Die Flüge von New York nach London starteten verspätet und landeten mehr als zwei Stunden nach der vorgesehenen Ankunftszeit. Infolgedessen erreichten die Reisenden den ursprünglich vorgesehenen Weiterflug in London nicht und kamen mit einer Verspätung von mehr als neun Stunden in Stuttgart an. Die Beklagte beruft sich auf außergewöhnliche Umstände.
Das Berufungsgericht hat in beiden Fällen die Klage abgewiesen. Nach seinen Feststellungen wurde die Verspätung der Flüge durch einen Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern des Terminals 7 am John-F.-Kennedy-Flughafen New York verursacht. Aufgrund eines Streiks bei dem für die Telekommunikationsleitungen gegenüber dem Flughafenbetreiber verantwortlichen Unternehmen konnte der Systemausfall erst nach 13 Stunden behoben werden.
Systemausfall von Fluggesellschaft nicht zu beherrschen
Der Bundesgerichtshof hat in beiden Fällen die Revision der Klägerinnen zurückgewiesen. Nach den Urteilen des für das Personenbeförderungsrecht zuständigen X. Zivilsenats ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Terminals außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung begründen kann. Der Betrieb der technischen Einrichtungen eines Flughafens, zu denen auch die Telekommunikationsleitungen gehören, obliegt dem Flughafenbetreiber. Ein Systemausfall, der darauf beruht, dass die Funktionsfähigkeit derartiger Einrichtungen durch einen technischen Defekt über einen längeren Zeitraum beeinträchtigt oder aufgehoben wird, stellt ein Ereignis dar, das von außen auf den Flugbetrieb des Luftverkehrsunternehmens einwirkt und dessen Ablauf beeinflusst. Ein derartiges Vorkommnis ist von diesem Unternehmen jedenfalls nicht zu beherrschen, da die Überwachung, Wartung und Reparatur derartiger Einrichtungen nicht in seinen Verantwortungs- und Zuständigkeitsbereich fällt.
Auch die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit der manuell und über Mitarbeiter in Washington telefonisch durchgeführten Abfertigung der Fluggäste alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den durch den Systemausfall bedingten Beeinträchtigungen entgegenzuwirken, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Dass die Beklagte, wie die Revisionen rügen, durch ein Ausweichen auf die technischen Einrichtungen eines anderen Terminals die Verspätung hätte verhindern können, ist weder festgestellt noch vorgetragen.
Unerheblich ist, ob die Beklagte, wie die Revisionen ferner meinen, den Start des gebuchten Flugs von London nach Stuttgart verschieben, die Klägerinnen auf einen anderen Flug von London nach Stuttgart umbuchen oder einen zusätzlichen Flug nach Stuttgart hätte durchführen können. Selbst wenn darin der Beklagten zumutbare Maßnahmen gesehen würden, kommt es hierauf nicht an, weil damit die für Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung allein erhebliche Verspätung des Fluges von New York nach London nicht hätte verhindert werden können.
Luftverkehrswirtschaft begrüßt Urteil
Zum aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofes zur Fluggastrechteverordnung erklärt Matthias von Randow, Hauptgeschäftsführer des BDL: „Wir begrüßen die heutige Entscheidung des BGH, einen Systemausfall an sämtlichen Abfertigungsschaltern eines Terminals als außergewöhnlichen Umstand zu bewerten. Dass der BGH erneut zur Auslegung der Fluggastrechteverordnung angerufen wird, zeigt jedoch, dass die EU diese Verordnung und damit den Begriff der außergewöhnlichen Umstände präzisieren und die Verordnung unmissverständlich neu formulieren muss. Wir brauchen schon lange eine Revision der Verordnung, die Airlines und den Passagieren umfassend Rechtssicherheit gibt.“
In der Auslegung der nationalen Gerichte gibt es immer wieder unterschiedliche Meinungen darüber, welche Ereignisse als „außergewöhnlich“ im Sinne der Verordnung zu definieren sind. „Mit dem Novellierungsentwurf der Europäischen Kommission liegt ein geeigneter Kompromissvorschlag vor, der – dem Koalitionsvertrag folgend – auch von der Bundesregierung unterstützt wird und der vom Rat nun endlich beschlossen werden sollte“, so von Randow. „Die Summe der Belastungen, die sich aus den verschiedenen Urteilen zur Fluggastrechteverordnung ergibt, verzerre immer mehr die Lage im internationalen Luftverkehr. Davon hätten weder Airlines noch Verbraucher etwas.