DLR-Stu­die zu Co­ro­na und Mo­bi­li­tät: Verlierer und Gewinner

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Der öffentliche Verkehr verliert an Boden, die Bedeutung individueller Transportmittel, insbesondere des privaten PKW, steigt. Das sind die zentralen Erkenntnisse der zweiten Befragung des Instituts für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für – und (DLR). Anhand einer repräsentativen Befragung von 1.000 Personen im Zeitraum von Ende Juni bis Anfang Juli 2020 hat das DLR untersucht, wie sich die Corona-Pandemie mit inzwischen gelockerten Maßnahmen auf das Mobilitätsverhalten auswirkt. Eine erste Befragung hatte während des Lockdowns im April 2020 stattgefunden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen mit der zweiten Erhebung den mittel- und langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise auf Einstellungen und Verhalten im Mobilitätsbereich untersuchen.

Chancen und Risiken für Verkehrswende

„Es zeichnet sich ab, dass es ein ‚Wie davor‘ nicht geben wird. Die Frage ist vielmehr, wie die neue mobile Normalität aussehen wird. Im Ausnahmezustand erprobte Verhaltensweisen haben sich eingeprägt und beeinflussen neue Routinen“, fasst Prof. Barbara Lenz, Direktorin des DLR-Instituts für Verkehrsforschung, zusammen. Diese Veränderungen sind mit Chancen und Risiken für das Gelingen der Verkehrswende verbunden. „Die Menschen probieren umweltfreundliche Alternativen aus, nutzen zum Beispiel das Fahrrad. In einigen Städten sind sogenannte Popup-Radwege entstanden, die das unterstützen. Durch das Arbeiten im Homeoffice entfällt der Weg zur Arbeit.“ Gleichzeitig fände, so Lenz weiter, eine Rückbesinnung auf individuelle, weniger nachhaltige Verkehrsmittel statt: „Das eigene Auto geht als deutlicher Gewinner aus der Corona-Krise hervor, der öffentliche Verkehr als Verlierer. Auch nachhaltige Mobilitätskonzepte wie das Carsharing sind geschwächt. Der Weg zur Verkehrswende ist dadurch weiter geworden. Denn für ihren Erfolg ist ein starker öffentlicher Verkehr notwendig. Hierauf sollte in Zukunft ein deutliches Augenmerk liegen“.

Trotz Normalisierung: Befragte nehmen Mobilität als eingeschränkt wahr

Die Analyse von Mobilfunkdaten legt nahe, dass das Verkehrsaufkommen zum Zeitpunkt der zweiten Erhebung weitgehend das Niveau vor der Corona-Krise erreicht hat. Die individuelle Wahrnehmung der Befragten ist eine andere: 43 Prozent geben an, in den letzten sieben Tagen weniger oder sehr viel weniger unterwegs gewesen zu sein als sonst üblich. Rund die Hälfte sagt, dass sich ihr Wegeaufkommen normalisiert hat.

Die Verkehrsmittel sind unterschiedlich stark betroffen: Rund zwei Drittel geben an, genauso häufig mit Fahrrad, Auto oder zu Fuß unterwegs zu sein. Rund die Hälfte erklärt jedoch, seltener und zum überwiegenden Teil viel seltener die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Dies deckt sich mit den deutlich gesunkenen Fahrgastzahlen im öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

Weiterhin: Auto mit Wohlfühlfaktor, ÖPNV als Verlierer

In der ersten und zweiten Befragung verbinden die Teilnehmenden sehr unterschiedliche Gefühle mit den Verkehrsmitteln: Großes Unbehagen äußern sie gegenüber Bahn, , Carsharing und dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Besonders unwohl fühlen sich die Befragten im (31 Prozent), gefolgt von Bahn und ÖPNV (25 Prozent). Allerdings ist bei Personen, die häufig den ÖPNV nutzen, das Unbehagen besonders stark ausgeprägt. Frauen sind dabei kritischer als Männer. Besonders unwohl fühlen sich auch junge Menschen und Städter. „Das ist eine bedenkliche Entwicklung. Denn das sind genau die Gruppen, die im Alltag den öffentlichen Nahverkehr häufig nutzen. Der ÖPNV gehört damit zu den großen Verlierern der Krise“, bilanziert DLR-Forscherin Barbara Lenz.

Das Auto ist weiterhin mit einem deutlichen Wohlfühlfaktor verknüpft. Dieser ist im Sommer weniger stark ausgeprägt als im Frühling, aber nach wie vor deutlich vorhanden. 80 Prozent geben keine Veränderung an, 16 Prozent fühlen sich deutlich wohler. Im Lockdown hat rund ein Drittel der Personen aus Haushalten ohne Auto den eigenen PKW vermisst. Dieser Wert ist auf ein Fünftel zurückgegangen. Fast 60 Prozent der Nutzerinnen und Nutzern von öffentlichen Verkehrsmitteln geben an, dass ihnen das eigene Fahrzeug fehlt. Von den Befragten, die im Alltag Fahrrad fahren, sind es nur 13 Prozent. Die Absicht von Personen aus Haushalten ohne Auto, ein solches zu kaufen, bleibt bei sechs Prozent. Bei knapp drei Viertel davon steht die Kaufabsicht in Zusammenhang mit Corona.

Bedeutung des Online-Handels steigt weiter

Bei der zweiten Befragung im Juni und Juli gaben die teilnehmenden Personen an, ähnlich häufig Geschäfte für den täglichen Bedarf aufzusuchen wie vor der Corona-Zeit. Allerdings fühlen sich viele dabei nach wie vor unwohl. Zwei von drei stimmten der Aussage zu, dass ein Einkaufsbummel aktuell weniger Spaß mache. Das umfangreiche Ausweichen auf Online-Einkäufe hält an: 82 Prozent hatten in den vier Wochen vor der Umfrage online eingekauft, vor der Pandemie waren dies nur knapp die Hälfte. Vor allem jüngere Erwachsene bis 35 Jahre kaufen sehr häufig online ein, fast die Hälfte davon mindestens vier Mal im letzten Monat. Ein Drittel aller Teilnehmenden geht davon aus, dass sie auch in einem Jahr noch häufiger online shoppen werden.

Freizeit im Corona-Sommer

Im Vergleich zu den Sommermonaten des Vorjahres gaben die Befragten an, Freizeitaktivitäten deutlich seltener durchgeführt zu haben. Diese Zurückhaltung bezieht sich auf Großveranstaltungen, aber auch auf den Besuch von Restaurants, kulturellen Veranstaltungen sowie sportliche Aktivitäten. Hingegen wurden Freizeitinhalte, bei denen es unwahrscheinlich ist, auf viele Menschen zu treffen, ähnlich oft ausgeübt. Rund die Hälfte gab an, sich besonders bei Aktivitäten in geschlossenen Räumen unwohler oder deutlich unwohler zu fühlen als vorher.

Arbeitsmobilität: Trend zum Homeoffice setzt sich fort

Nach wie vor arbeiten viele der Befragten von zu Hause. Fast vierzig Prozent der Berufstätigen unter den Teilnehmenden an der Studie berichten, dass sie teilweise oder immer von zu Hause arbeiten. Sie handhaben dies allerdings flexibler als bei der ersten Studie im April. 75 Prozent der Befragten mit der Möglichkeit zu Homeoffice bewerten dies als positiv. Gegenüber dem Frühling ist diese Zahl um 15 Prozent gestiegen. Der Anteil der Personen, die sich vorstellen können, langfristig vermehrt von zu Hause zu arbeiten hat im Vergleich zum April zugenommen: von 59 Prozent auf 70 Prozent.