Blasenfrei Treibstoff zapfen: Das ist kein Problem an der Tankstelle um die Ecke – sehr wohl aber im Weltraum, wo die Schwerkraft fehlt. Heute ging die vierte und letzte Experimentserie des Strömungsexperimentes Capillary Channel Flow (CCF) auf der Internationalen Raumstation ISS zu Ende, die am 05. August 2014 begonnen hatte.
In dem Kooperationsprojekt der US-amerikanischen Luft– und Raumfahrtbehörde NASA und des Raumfahrtmanagements des Deutschen Zentrums für Luft– und Raumfahrt (DLR) haben Wissenschaftler das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten unter Schwerelosigkeit erforscht, um wichtige Erkenntnisse für die Raumfahrttechnologie, aber auch für Anwendungen auf der Erde – etwa in der Biomedizin – zu gewinnen.
Verhalten von Flüssigkeiten in Schwerelosigkeit
Bei allen Systemen an Bord von Weltraumfahrzeugen, die eine Flüssigkeit enthalten, wie etwa Trinkwasserbehälter, Toiletten oder Treibstofftanks, können Probleme durch die Bildung von Luftblasen entstehen. Im Benzintank eines Autos kann dies nicht passieren, denn durch die Schwerkraft der Erde sammelt sich der Treibstoff immer am Boden des Tanks. So kann er zum Motor gepumpt werden, ohne dass Luft mit eingesogen wird.
In einem Raumfahrzeug jedoch kann der Treibstoff im Tank aufgrund der Schwerelosigkeit unkontrolliert umherschwappen. An welcher Stelle im Tank befindet sich dann der restliche Treibstoff? Wie kann er unter diesen Bedingungen sicher zu den Steuerdüsen transportiert und die Treibstoffleitungen blasenfrei gehalten werden?
Zurzeit wird das Problem dadurch gelöst, dass die Tanks einfach größer konstruiert sind und mehr Treibstoff eingefüllt wird, als eigentlich benötigt wird. Hierdurch erhöhen sich jedoch das Gewicht und das Volumen der Raumfahrzeuge und damit auch die Kosten für den Start. Eine andere Möglichkeit besteht darin, spezielle kanalartige Strukturen in die Tanks einzubauen, die den Treibstoff durch Kapillarkräfte zum Tankauslass befördern, wo er dann abgepumpt werden kann.
Theoretischse Modell durch Treibstoffkanäle bestätigt
Genau hier setzt das CCF-Experiment an: Wissenschaftsteams unter Leitung von Prof. Michael Dreyer vom ZARM-Institut der Universität Bremen und von Prof. Mark Weislogel von der Portland State University untersuchen damit, wie sich unterschiedliche Formen von Treibstoffkanälen und Pumpgeschwindigkeiten auf den Flüssigkeitsstrom auswirken. Im Fokus der aktuellen Experimentkampagne stand vor allem das Phänomen der Wellenbildung auf den Kanälen.
Ziel war es herauszufinden, ob das Entstehen von Wellen auf der Oberfläche der Flüssigkeit in Zusammenhang steht mit der Stabilität der Flüssigkeitsströmung. Außerdem untersuchten die Wissenschaftler noch einmal genau, wie die Trennung von Gasblasen und Flüssigkeit unter Schwerelosigkeit funktioniert. Während der gesamten 37-tägigen Kampagne wurde die CCF-Experimentanlage von Kontrollräumen in Bremen und Portland aus ferngesteuert betrieben.
Das CCF-Experiment wurde insgesamt nahezu sechs Monate lang erfolgreich auf der Internationalen Raumstation ISS betrieben und hat eine enorme Fülle von Daten geliefert. Obwohl diese noch nicht alle ausgewertet sind, steht das für praktische Anwendungen wichtigste Ergebnis schon jetzt fest: Die theoretischen Modelle zur Berechnung des Verhaltens von Strömungen in Kapillarkanälen unter Schwerelosigkeit, welche die Forscher bereits im Vorfeld entwickelt hatten, konnten durch die Experimente voll bestätigt werden. Damit ist es jetzt möglich, das Strömungsverhalten mittels Computerprogrammen zuverlässig zu berechnen. Außerdem konnten die Wissenschaftler in Tests nachweisen, dass Luftblasen, die bereits in der Strömung vorhanden sind, durch bestimmte Kanalformen auch in Schwerelosigkeit automatisch entfernt werden.
Anwendungen für Raumfahrt und Biomedizin
Die Grundlagen, die das CCF-Experiment liefert, können zukünftig dazu dienen, das Design von Raumfahrzeugen zu optimieren und dadurch Kosten einzusparen. Die bessere Treibstoffverfügbarkeit würde außerdem die Lebensdauer von Satelliten verlängern, weil sie länger auf ihrer Position gehalten werden können. Besonders bei wiederzündbaren Raketenoberstufen ist es wichtig, dass sich der Treibstoff zur richtigen Zeit am richtigen Ort befindet, damit die Mission ihr Ziel erreicht.
Aber auch auf der Erde könnten die Erkenntnisse von Interesse sein, etwa bei der Verbesserung der Flüssigkeitsströmungen in sogenannten Bio-Chips für biologische Gesundheits-Screening-und Analysemethoden.
Das CCF-Experiment war eine Kooperation der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA und des DLR Raumfahrtmanagements. Gebaut wurde die Experimentanlage von der Firma Airbus Defence & Space.
Die CCF-Kampagne im Überblick
Seit dem Transport der CCF Experimentanlage zur Raumstation mit dem Space Shuttle Flug STS 131 im April 2010 wurden vier Experimentkampagnen durchgeführt:
1. Kampagne: Dezember 2010 bis März 2011 (66 Tage)
Ziel der Untersuchungen war es, Flüssigkeit mit Hilfe von Kapillarkanälen blasenfrei zu fördern. Dabei strömte die Flüssigkeit zwischen zwei parallel angeordneten Platten zum Auslass aus dem Tank. Der Kanal war oben und unten begrenzt und seitlich offen. Dass der angesaugte Treibstoff trotzdem zwischen den Platten bleibt, liegt an den Kapillarkräften und der daraus resultierenden Oberflächenspannung.
Bei dem Experiment wurde insbesondere geklärt, welche Strömungsgeschwindigkeiten möglich sind, ohne dass Blasen mit angesaugt werden oder der Flüssigkeitsstrom abreißt. Diese werden auch als kritische Strömungsgeschwindigkeiten bezeichnet.
2. Kampagne: September 2011 bis Oktober 2011 (35 Tage)
Mit einem V-förmigen Kapillarkanal wurde erforscht, wie bereits eingedrungene Gasbläschen zur Oberfläche zurück transportiert und dadurch wieder von der Flüssigkeit getrennt werden können. Gesucht wurde also eine Trennungsstrategie, mit welcher ein Gas-Flüssigkeits-Gemisch unter Schwerelosigkeit automatisch getrennt werden kann.
3. Kampagne: Juni 2013 bis Juli 2013 (40 Tage)
Bei dieser Experimentserie wurde wiederum ein V-förmiger Kanal eingesetzt und die Apparatur auf ihre Funktionalität überprüft. Die Wiederholbarkeit der wissenschaftlichen Ergebnisse wurde überprüft und zusätzliche Experimente durchgeführt.
4. Kampagne: August 2014 bis September 2014 (37 Tage)
In der letzten Experimentserie haben die Wissenschaftler die automatische Phasentrennung unter Schwerelosigkeit noch einmal näher untersucht. Dazu beobachteten sie diesmal Strömungen, welche Luftblasen enthielten, in V-förmigen Kanälen unterschiedlicher Länge.
Bild 1 zeigt US-Astronaut Reid Wiseman bei der Installation der CCF-Experimentanlage für die 4. Experimentkampagne in die Microgravity Glove Box der Raumstation ISS. Das zweite Bild zeigt das CFF-Experimentmodul mit dem Strömungskanal (in schwarz), die Kameras, welche die Signale direkt zum Boden übertragen, und den Steuerungscomputer (silbern).