Rasierschaum rettet Materialforschung – EML auf ISS

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Ein widerspenstiger Bolzen und knifflige Zusammenbauten im All machen den Elektromagnetischen Levitator (EML) schon vor seinem wissenschaftlichen Einsatz zu einem besonders anspruchsvollen Experiment auf der Internationalen Raumstation ISS.

In einer überirdischen Zusammenarbeit bereiteten Alexander Gerst im All und das Team im Kontrollraum des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammen mit Ingenieuren von Airbus Defence and Space auf der Erde den Schmelzofen für die ersten Testläufe vor. Während Gerst die Rückreise zur Erde antritt, steuert das Team nun den Schmelzofen und testet ihn für die ersten Experimente.

Erst mal nur Erhitzen

„Als nächstes steht eine Art Trockenübung an – die Probe fährt in den Ofen, wird erhitzt, aber noch nicht geschmolzen“, erläutert Angelika Diefenbach, DLR-Projektleiterin für die Nutzung des EML. Ist der Schmelzofen bereit für seinen Einsatz, sollen metallische Proben frei schwebend aufgeschmolzen werden und ohne störende Einflüsse und Wechselwirkungen untersucht werden.

Damit erhalten die Materialphysiker Daten, die ihnen die thermophysikalischen Eigenschaften der Proben unverfälscht von externen Kräften zeigen. Doch bevor es soweit ist, waren und sind zahlreiche minutiös geplante Arbeitsschritte notwendig, um den Schmelzofen für den Betrieb zu installieren, zu testen und schließlich zu betreiben.

Paketlieferung fürs Columbus-Labor

Am 12. August 2014 startete der Schmelzofen an Bord des europäischen Raumtransporters ATV-5 „Georges Lemaître“ zur Internationalen Raumstation. Neun riesige Pakete, gut verpackt und zum Teil waschmaschinengroß, mussten ausgeladen, in einer ausgeklügelten Choreographie durch die ISS befördert und an ihren Bestimmungsort, das Forschungslabor Columbus, gebracht werden. Dort sollte Alexander Gerst die verschiedenen Bestandteile passgenau in ein vorhandenes Experiment-Rack einbauen.

Bis ins letzte Detail wurden Pläne vorbereitet, mit denen Alexander Gerst bereits vor seinem zur ISS immer wieder den Zusammen- und Einbau im All trainierte. Ziel der Aufgabe, benötigte Werkzeuge, voraussichtliche Dauer, exakte Anweisungen für jeden einzelnen Handgriff, Ausrichtung der beiden Kameras, mit denen das Bodenteam die Arbeiten beobachten konnte – alles musste vom Team des DLR-Nutzerzentrums für Weltraumexperimente (MUSC) in sogenannten Prozeduren aufgelistet und immer wieder perfektioniert werden.

Rasierschaum rettete Kamera-Installation

Gerst baute einzelne Komponenten wie eine Wasserpumpe ein, während im DLR-Kontrollraum das Team über Kameras die Arbeiten mitverfolgte und den Astronauten unterstützte (2. Bild). Schließlich passierte es: Ein Bolzen klemmte – ausgerechnet auf der glatten Fläche, auf der die Kamera des Schmelzofens sitzen sollte. „Innerhalb weniger Tage haben wir mehrere Arbeitsabläufe geschrieben“, sagt Diefenbach, die mit ihrem Team damals fieberhaft nach einer Lösung suchen musste.

Einfach mit der Zange ließ sich der Bolzen nicht lösen, Säge und Feile mussten zum Einsatz kommen, ohne dass Astronaut Alexander Gerst zum Beispiel herumschwebende Sägespäne einatmen könnte. Die Idee: Rasierschaum! Der Astronaut schmierte die Sägestelle ein, sägte – und das Schrauben-Problem war erledigt. „Von da an ging die Installation des EML reibungslos über die Bühne.“

Allerdings: Der ursprüngliche Zeitplan war damit hinfällig, der Bolzen hatte für eine deutliche Verzögerung gesorgt und die Astronauten-Arbeitszeit war knapp und ausgeplant. „Es war sehr hilfreich, dass Alexander Gerst sich sehr für das Experiment eingesetzt hat und bereit war, in seiner frei verfügbaren Zeit daran zu arbeiten.“ Gemeinsam mit dem DLR-Kontrollraumteam installierte er den von Airbus Defence and Space im Auftrag der ESA und des DLR gebauten Schmelzofen – nun folgen die Inbetriebnahme und die dafür notwendige Testphase.

Vorbereitungen für EML am Boden – Industrielles Interesse

Die Überprüfung der Anlage und ihrer Subsysteme ist mittlerweile abgeschlossen. „Dafür steuern wir den EML immer wieder mit unzähligen Einzelkommandos an, um alle Komponenten zu testen.“ Gas- und Vakuumsystem, Videokamera, Kommunikationskanäle zum Boden – alles wurde auf die Probe gestellt. Was jetzt folgt, ist der letzte Schritt, bevor die wissenschaftliche Nutzung möglich ist und die ersten Experimente anlaufen können: Wissenschaftler steuern die erste Probe in den Schmelzofen und werden vier Tage und drei Nächte lang den Experimentablauf testen, ohne die Probe tatsächlich zu schmelzen.

550 Experimente werden alleine im nächsten Jahr mit dem Elektromagnetischen Levitator durchgeführt. In den ersten zwei Jahren wird der Schmelzofen von mehr als 50 Wissenschaftlern aus , , England, Finnland, , Italien, , Schweiz, Spanien und sowie Forschern aus , , Korea, Russland, USA und Unternehmern der metallverarbeitenden Industrie genutzt.

Vorbereitet werden die Experimente durch das DLR-Institut für Materialphysik im Weltraum: Dort werden die Experimente im Auftrag von Industriepartner Airbus Defence and Space an einer Bodenanlage des EML vorbereitet – ebenfalls frei schwebend, aber nicht ohne die Einwirkungen beispielsweise von konvektiven Strömungen. Noch dieses Jahr sollen die ersten Experimente durchgeführt werden. Ferngesteuert vom DLR-Kontrollraum aus wird der Schmelzofen dann seine Arbeit aufnehmen.