Schleppseil nicht gelöst: Tragfläche brach beim Abfangen

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Der Schleppzug, bestehend aus einer PLZ-104 „Wilga 35“ und einem SZD 30-C „Pirat“, startete um 13:25 Uhr auf der Graspiste 02 am -Schöngleina. Nach Aussage des Luftfahrzeugführers des Schleppflugzeuges verlief der Schlepp normal.

Identifikation

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 10. Juli 2011
  • Ort: nahe -Schöngleina
  • Luftfahrzeuge: 1. Segelflugzeug; 2. Motorflugzeug
  • Hersteller / Muster: 1. Zaklady Szybwcowe „Delta-Bielsko“ / SZD 30-C „Pirat“; 2. Panstwowe Zaklady Lotnicze / PLZ-104 „Wilga 35“
  • Personenschaden: Segelflugzeugführer tödlich verletzt
  • Sachschaden: Segelflugzeug zerstört
  • Drittschaden: leichter Forstschaden

Ereignisse und weiterer Flugverlauf

Bei Erreichen des Ausklinkraumes in einer Höhe von ca. 600 Metern habe er mit den Flächen gewackelt, um dem Piloten des Segelflugzeuges zu signalisieren, dass dieser das Seil ausklinkt. Abb. 2 zeigt den Flugweg und Unfallstellen (Quelle: BFU / Google EarthTM). Abb. 3 zeigt die Unfallstellen (Quelle: BFU / ).

Nach Angaben des Schlepp-Piloten und weiterer Zeugen habe der des Segelflugzeuges daraufhin mit den Worten „ich bin frei“ über Funk mitgeteilt, dass er das Seil ausgeklinkt habe. Unmittelbar danach sei das Heck der Wilga nach oben gezogen worden und diese dadurch in einen Sturzflug geraten. Ein Zeuge, der zuvor mit einem Segelflugzeug geschleppt wurde und sich nach eigenen Angaben in rund 800 Metern Höhe in der Nähe des Ausklinkraumes befand, bestätigte den „harten“ Abstieg der Wilga.

Der Schlepp-Pilot gab an, das Schleppflugzeug in rund 300 Metern über Grund abgefangen zu haben. Die Ausklinkvorrichtung zum Abwerfen des Schleppseils habe er, bedingt durch den Sturzflug, nicht erreichen können. Anschließend habe er „flimmernde Teile“ in der Luft wahrgenommen und sei wieder in Jena gelandet. Nach der Landung habe er festgestellt, dass das Schleppseil gerissen war. Abb. 4 zeigt den rechten Außenflügel (oben), Abb. 5 Beplankungssegment Innenflügel (unten).

Nach Augenzeugenberichten brach das Segelflugzeug beim Ausklinkvorgang mit einem „lauten Knall“ auseinander, wobei sich mindestens drei Viertel der Tragflächen vom Segelflugzeug gelöst hätten und zu Boden getrudelt seien, während der Rumpf in einem steilen Winkel abstürzte. Der Pilot des Segelflugzeuges wurde beim Aufprall tödlich verletzt und das Luftfahrzeug zerstört. Schäden am Schleppflugzeug wurden nicht festgestellt.

Angaben zu Personen

Pirat

Der 66-jährige Luftfahrzeugführer des Segelflugzeuges war seit 1992 im Besitz eines unbefristet gültigen Luftfahrerscheins für Segelflugzeugführer. In die Lizenz waren die Startarten Windenschlepp und Luftfahrzeugschlepp eingetragen. Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis zum 17.12.2011 gültig, verbunden mit der Auflage zum Tragen einer Brille inklusive des Mitführens einer Ersatzbrille.

Die Gesamtflugerfahrung betrug auf Segelflugzeugen 1.259 Stunden bei 1.834 Starts. In den letzten 90 Tagen hatte er 33 durchgeführt, davon zwei im -Schlepp. Die aktuelle Flugerfahrung auf dem Pirat betrug seit 2009 sechs Starts, davon zwei im -Schlepp. Im Jahr 2011 hatte er einen Windenstart auf dem Pirat durchgeführt.

Wilga

Der 66-jährige Luftfahrzeugführer des Motorflugzeuges war Inhaber einer bis zum 19.03.2014 gültigen ICAO-Lizenz (PPL A). Die eingetragene Klassenflugberechtigung war bis zum 19.03.2012 gültig. In die Lizenz war die Schleppberechtigung mit Fangschlepp eingetragen. Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis 24.07.2012 gültig. In den letzten 90 Tagen hatte er 57 Flugzeug-Schleppstarts durchgeführt.

Angaben zu den Luftfahrzeugen

Pirat

Der SZD 30-C „Pirat“ war ein einsitziges Segelflugzeug in Holzbauweise. Es wurde 1978 mit der Werknummer P-809 von dem polnischen Hersteller Zaklady Szybwcowe „Delta-Bielsko“ gebaut. Die Tragfläche war dreigeteilt. Sie bestand aus einem Mittelteil, an dem der Rumpf befestigt war, und zwei Außenflächen. Die äußeren Tragflächensegmente waren über Beschläge und Bolzen mit den beiden Enden des Mittelteils verbunden. Die Tragfläche war als Schalenkonstruktion mit zwei Hilfsholmen in Holzbauweise ausgeführt. Dabei wurden die Längskräfte bei Biegebeanspruchung durch die Sperrholzbeplankung und die sie verstärkenden Pfetten (Stringer) über die gesamte Querschnittskontur aufgenommen.

Das Luftfahrzeug war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und wurde von einem Luftsportverein betrieben. Die Gesamtbetriebszeit betrug seit der letzten 1998 durchgeführten Grundüberholung 879 Stunden und 1.796 Landungen. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit erfolgte am 19.03.2011.

Wilga

Bei der PZL-104 „Wilga 35“ handelt es sich um einen einmotorigen Schulterdecker in Metallbauweise mit vier Sitzplätzen. Das Flugzeug ist mit einem starren Dreibeinfahrwerk mit Spornrad ausgestattet und dient vorwiegend zum Schleppen von Segelflugzeugen. Es verfügt über Kurzstart- und Kurzlandeeigenschaften. Das Flugzeug wurde 1973 mit der Werknummer 62.179 des polnischen Herstellers Panstwowe Zaklady Lotnicze gebaut.

Die Gesamtbetriebszeit betrug laut Bordbuch 881 Stunden und 1.351 Landungen. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit erfolgte am 28.01.2011. Das Luftfahrzeug war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und wurde von einem Luftsportverein betrieben.

Meteorologische Informationen

Folgende Routinewettermeldung der nahe gelegenen Station Gera Lemnitz lag für 12:00 Uhr UTC vor:

17002KT Gusts 12KT 70 KM SCT046CU SCT050 25/14 1017=

Funkverkehr

Es bestand eine Funkverbindung mit der Flugleitung bzw. zwischen den Luftfahrzeugen. Nach Angaben von Zeugen wurde während des Schlepps gesprochen. Der Funkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.

Angaben zum Flugplatz

Der Flugplatz Jena-Schöngleina befindet sich ca. zehn km östlich der Stadt Jena. Der Platz liegt in einer Höhe von 1.228 ft AMSL und verfügt über eine Asphalt- und eine Graspiste: 1.170 Meter mal 23 Meter Asphalt mit der Ausrichtung 020/200 Grad und 620 Meter mal 30 Meter Gras mit der Ausrichtung 080/260 Grad.

Flugdatenaufzeichnung

Der BFU standen Fragmente eines GPS-Gerätes (Flarm) des Segelflugzeuges zur Verfügung. Ein Auslesen der Daten war nicht möglich.

Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug

Die Unfallstelle befand sich ca. 1.500 Meter westlich des Flugplatzes Jena bzw. 800 Meter südlich der Ortschaft Großlöbichau innerhalb der Platzrunde für den Flugzeugschlepp. Die Unfallstelle war zweigeteilt. Sie bestand aus dem Einschlagsort des Rumpfes sowie aus einem rund 350 Meter mal 120 Meter großen Trümmerfeld der Tragflächen. Die Einschlagstelle des Rumpfes lag in einem Waldstück. Der Rumpf war in mittelgroße Bruchstücke und Kleinteile zersplittert. Die Schleppkupplung wurde intakt und ohne Seil bzw. Ringpaar vorgefunden.

Die Trümmerteile der Tragflächen befanden sich rund 500 Meter westlich des Rumpfes, überwiegend auf einer von Wald umgebenen Wiesenfläche. Die beiden Außenflächen waren äußerlich unversehrt. Sie lagen zusammen mit den beiden Störklappen als die größten bzw. schwersten Teile etwa in der Mitte des Trümmerfeldes, jeweils nur wenige Meter voneinander entfernt. Von dem Tragflächenmittelstück waren eine Vielzahl unterschiedlich großer Bestandteile, wie Beplankungssegmente, Leisten und Rippen vorhanden. Die Teile waren im weiteren Umfeld verstreut.

Das Tragflächenmittelteil war in zahlreiche Stücke zerbrochen. An den Bruchstücken der Tragflächenoberseite waren die Pfetten (Stringer) weitestgehend von der Außenhaut getrennt (Abb. 6).

An den Bruchstücken der Unterseite waren die Pfetten noch weitestgehend vorhanden und mit der Außenhaut verbunden (Abb. 7). An den Klebeverbindungen, an denen die Pfetten von der Außenhaut getrennt waren, zeigte sich an einigen wenigen Stellen, dass Farbe vom Schutzanstrich in die Klebefuge gelaufen war (Abb. 8). Wie in Abb. 8 zu sehen sind am Bruchstück der Tragflächenunterseite die Pfetten (Stringer) weitestgehend mit der Außenhaut verbunden.

Die äußeren Tragflächen waren leicht beschädigt. Die Beschläge zur Verbindung mit dem Mittelteil waren an beiden Außenflächen vorhanden. An den Beschlägen hingen auch die jeweiligen Gegenseiten der Metallbeschläge mit dem unteren und oberen Holzflansch aus dem Tragflächenmittelteil.

Abb. 9 zeigt den Bereich der linken äußeren Tragfläche mit den Verbindungselementen zum Mittelteil und den beiden Flanschen. Im hinteren Bereich der Wurzelrippe der linken Außenfläche befand sich die Trennstelle für die Querruderansteuerung (Abb. 10).

An dem außentragflächenseitigen Gabelkopf war der nach unten zeigende Haltebolzen in Richtung Mittelteil gebogen und das untere Verschlussblech war nach unten verbogen. Das Anhalten des Bruchstückes der mittleren Tragfläche mit dem Nasenbeschlag an der linken Außenfläche (Abb. 11) ergab einen Winkel zwischen den Linien der Nasenleisten von 18°.

Die Beschädigungen an der rechten Außentragfläche (Abb. 12) waren denen an der linken Außentragfläche ähnlich. Dabei war der obere Beschlag mit dem daran befestigten ausgerissenen Flansch nach oben verbogen und nach vorn verdreht (Sicht vom Rumpf auf die Wurzelrippe der rechten Außentragfläche).

Medizinische und pathologische Angaben

Eine Obduktion des Leichnams ergab keine Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Versuche und Forschungsergebnisse

Holzkundliche Untersuchung

Mit der holzkundlichen Untersuchung wurde das Fraunhofer-Institut für Holzkunde, Wilhelm-Klauditz-Institut (WKI), in beauftragt. Dort wurden im Wesentlichen Bruchbilder festgestellt, wie sie bei Gewaltbrüchen üblich sind. Die Brüche verliefen sowohl im Holz als auch im Sperrholz.

Im Sperrholz fanden sich Stellen, an denen der Bruch sowohl im Holz als auch in der Klebefuge verlief. Dieses war darauf zurückzuführen, dass die Verklebung der Holzschichten über ein Phenol/Resorcin imprägniertes Papier erfolgte, bei der das Papier das Bruchverhalten veränderte. Abschließend wurde die Verklebung des Sperrholzes als unproblematisch beurteilt.

Für Verklebungen der Tragflächenschale mit den Flanschen und Pfetten wurde ein Harnstoffharz verwendet. Bei diesem Klebstoff wurden keine Hinweise auf eine Alterung gefunden. Es gab keine Anzeichen dafür, dass der Klebstoff einen Mangel aufweist.

Es wurden bei der Untersuchung auch Stellen gefunden, sowohl im Bereich von Verklebungen zwischen Pfetten und Schale, als auch im Bereich der Verklebung zwischen dem unteren Flansch der rechten äußeren Tragfläche und Schale, bei denen die Bauteile keinen Kontakt hatten.

Die Stellen mangelhafter Verklebung hatten als Schwachstellen mutmaßlich einen Einfluss auf den Schadensablauf, sie wurden aber nicht als Auslöser für die komplette Zerstörung der Tragfläche in der Luft verantwortlich gemacht. Zu Beginn der holzkundlichen Untersuchung war noch nicht abschätzbar, inwieweit eventuell mangelhafte Verklebungen zwischen den Pfetten und der Außenschale der Tragfläche Einfluss auf den Unfall gehabt haben könnten.

Infrarot-Thermographie zeigt Verklebung

Es wurde deshalb eine zerstörungsfreie Untersuchungsmethode gewählt, mit der eine Begutachtung der Güte der Verklebungen an den Tragflächen erfolgen konnte. Die Wahl fiel dabei auf die Infrarot-Thermographie. Bei der Infrarot-Thermographie wird das Untersuchungsmaterial, also im vorliegenden Fall die Tragfläche, mithilfe von Wärmestrahlern erwärmt.

Befinden sich keine Fehler der Verklebung unter der Oberfläche, dringt die auf die Oberfläche homogen aufgebrachte Wärme gleichmäßig in das Material ein und die Oberfläche kühlt anschließend sehr homogen ab. Befinden sich aber Fehlverklebungen unter der Oberfläche, an denen der Wärmeabfluss in die Tiefe behindert ist, so zeichnen sich diese Bereiche durch eine höhere Temperatur ab. Diese lokal wärmeren Bereiche können mit einer speziellen Kamera, die im infraroten Wellenlängenbereich empfindlich ist, als sog. „Hot Spots“ erkannt werden.

Um den praktischen Einsatz dieses Verfahrens zu testen und Erfahrungen mit den Tragflächen des Segelflugzeugmusters Pirat zu sammeln, wurden am Flugplatz Kamenz sieben Mittelteile und vier Außentragflächen thermographisch untersucht. Bei den untersuchten Tragflächen wurden keine Mängel festgestellt und die Untersuchungsmethode hatte sich als tauglich erwiesen.

Untersuchung des Flugzeug-Schleppseiles

Am Ende des Schleppvorganges hatte der Segelflugpilot nach Aussage des Schlepp-Piloten das Schleppseil ausgeklinkt. Das hatte der Pilot des Segelflugzeuges mit den Worten „ich bin frei.“ dem Schlepp-Piloten mitgeteilt. Unmittelbar danach sei das Heck des Motorflugzeuges nach oben gezogen worden und die Schleppmaschine geriet dadurch in einen Sturzflug. Nach der Landung wurde festgestellt, dass die Umschlingung, an dem segelflugzeugseitigen Ringpaar ausgerissen war. Das Ringpaar und eine eventuell vorhandene Sollbruchstelle fehlten. Abb. 13 zeigt die Enden des Schleppseils, oben Seite am Schleppflugzeug, unten Seite am Segelflugzeug.

Das Schleppseil war im Bereich der Umschlingung um den Verbindungsring des segelflugzeugseitigen Ringpaares gerissen (in Abb. 13). Etwa 30 cm von diesem Seilende entfernt befand sich ein Knoten, der mit Klebeband umwickelt war. Nach Angaben des ansässigen Luftsportvereins sollte dieser Knoten als zusätzliche Sollbruchstelle dienen. In der ehemaligen DDR wurde ein Standardseil verwendet, bei dem an den beiden Seilenden eingearbeitete Knoten als einzige Sollbruchstelle fungierten.

Nach Angaben eines Piloten, der zuvor geschleppt wurde, soll sich eine Sollbruchstelle im Schleppseil befunden haben, die „rötlich gewesen sein dürfte“. Das Seil hatte eine Länge von 50 Meter und eine mittlere Stärke von 8,5 mm. Das Ende, das sich in der Schleppvorrichtung des Motorflugzeuges befunden hatte, bestand aus einem Ringpaar, dessen Verbindungsring vom Seil zweimal umschlungen und mit einem Spleiß eingebunden war. Eine Sollbruchstelle (aus Metall) war im Seil nicht vorhanden.

Um die Seilkraft zu ermitteln, wurde ein Zugversuch bis zum Zerreißen durchgeführt. Dazu wurde die Situation des Flugzeugschlepps wie folgt nachgestellt: Der Verbindungsring des intakten Ringpaares wurde in die obere Aufnahme der Zugmaschine eingebaut. Nach einer freien Seillänge von etwa 10 cm wurde in das Seil ein Achterknoten gebunden, der in die untere Aufnahme der Zugmaschine eingebaut wurde. Der Achterknoten reduzierte die Reißkraft um etwa 40 Prozent. Dieser Versuch war kein Normversuch, wie er bei der Zulassung von Seilen verlangt wird. Er sollte nur Erkenntnis darüber verschaffen in welchem Bereich die Reißkraft des Seiles liegt.

Nachdem das Seil in die Zugmaschine eingesetzt war, wurde es mit einer Geschwindigkeit von 35 mm/min gezogen. Das Seil riss bei einer gemessenen Kraft von 6,438 kN (643,8 daN) am Seileinlauf in den Achterknoten (Abb. 14). Da das Seil im Bereich des Achterknotens gerissen war, also im schwächsten Bereich des Versuchsaufbaus, wurde davon ausgegangen, dass es etwa 60 Prozent seiner Reißkraft geliefert hatte. Daraus ergab sich, dass das Seil während des Unfalles eine Reißkraft von etwa 1.094 daN aufbrachte. Bei Verwendung einer „roten Sollbruchstelle“ hätte die Reißkraft rund 750 daN betragen. Im Kennblatt war für das Segelflugzeug eine Bruchfestigkeit im Flugzeugschlepp von max. 500 daN angegeben. Abb. 14 zeigt das eingespannte Seil für den Bruchversuch.

Beurteilung

Die verantwortlichen Luftfahrzeugführer hatten die erforderlichen Lizenzen und ausreichende Erfahrung zur Durchführung des Fluges. Die beiden Luftfahrzeuge waren ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassen und nachgeprüft. Hinweise auf technische Mängel wurden nicht festgestellt. Die vorliegenden Fakten sprechen für folgenden wahrscheinlichen Ablauf des Unfallgeschehens: Als der Schleppzug den Ausklinkraum rund drei Kilometer westlich des Flugplatzes Jena-Schöngleina in einer Höhe von 600 Metern erreicht hatte, signalisierte der Pilot des Schleppflugzeuges durch Wackeln mit den Flächen dem Segelflugzeugführer, dass dieser das Seil ausklinken sollte. Der Segelflugzeugführer gab daraufhin mit den Worten „ich bin frei“ das vermeintliche Lösen des Schleppseils per Funk durch.

Es ist davon auszugehen, dass der Aufmerksamkeit des Segelflugzeugführers entgangen war, dass sich trotz Ausklinkens das Schleppseil nicht gelöst hatte. Ein Grund dafür könnte sein, dass er den Ausklinkgriff nicht ganz durchgezogen hatte. Die Ausgangssituation ist in Abb. 15 dargestellt.

Es ist weiterhin davon auszugehen, dass er das Segelflugzeug anschließend nach oben gezogen hatte, um nach rechts abzudrehen, wie dies in der Segelflugbetriebsordnung (SBO) nach dem Lösen der Schleppverbindung vorgesehen ist. In Abb. 16 dargestellt: Der Segelflugzeugführer zieht das Segelflugzeug nach dem vermeintlichen Ausklinken des Seils nach oben.

Als Folge dieser Handlung wurde das Schleppseil gestrafft und das Heck der Wilga nach oben gezogen, sodass diese in den vom Schlepp-Piloten beschriebenen 300 Meter tiefen Sturzflug geriet und das Segelflugzeug in der Folge (zunächst) mit nach unten zog.

Durch das gespannte Schleppseil und die an den Schleppkupplungen der beiden Luftfahrzeuge anliegenden Kräften war es dem Segelflugzeugführer nicht möglich, das Schleppseil auszuklinken. Im weiteren Verlauf kam es zum Bruch des Schleppseils. Mit Entlastung der Kupplung wurde das Ringpaar gelöst. Es ist davon auszugehen, dass der Segelflugzeugführer anschließend das Segelflugzeug abrupt abfing, um die Geschwindigkeit zu reduzieren und die Normalfluglage wiederherzustellen.

Die durch den Abfangbogen hervorgerufenen Kräfte führten zu einem Bruch der Tragflächenkonstruktion durch Überlastung. Dem Ergebnis einer holzfachkundlichen Untersuchung zufolge hatte die Verklebung der Tragfläche mit einer hohen Wahrscheinlichkeit keinen Einfluss auf den Bruch der Tragflächen.

Der Rumpf wurde von den Tragflächen abgetrennt und stürzte zu Boden, während die Tragflächen sich in eine Vielzahl von Bestandteilen auflösten und zeitverzögert den Boden erreichten. Aufgrund der vorliegenden Schadensbilder an den Bruchstücken der Mitteltragfläche und den Beschädigungen an den Außenflächen hat mit großer Wahrscheinlichkeit eine hohe positive Belastung zum Bruch der Tragfläche geführt. Diese Last könnte aus einer Art Abfangmanöver bei hoher Geschwindigkeit herrühren.

Die nur gering beschädigten äußeren Tragflächensegmente mit einem ähnlichen Schadensbild im Bereich der Verbindungen zur mittleren Tragfläche lassen vermuten, dass die Belastung nahezu symmetrisch erfolgte. Durch diese Belastung wurde die Tragfläche nach oben gebogen, dadurch wurde die Oberseite des Mittelteils auf Druck beansprucht und die Unterseite auf Zug. Dafür sprechen auch die Ablösungen der Pfetten von der Oberschale der Tragfläche, die auf die durch Druck erzeugten Spannungen zwischen den Bauteilen zurückzuführen sind. Im Titelbild dargestellt geht der Schleppzug zunehmend auf den Kopf bzw. in den Sturzflug, bis das Seil reißt.

Auf der zugbelasteten Unterseite gab es diese Spannungen nicht und somit auch ein anderes Bruchverhalten, bei dem die Verbindungen zwischen Pfetten und Außenhaut weitestgehend erhalten blieben. Abb. 17 stellt das Auseinanderbrechen und Zerlegen der Tragfläche des Segelflugzeuges/Abfangen des Schleppflugzeugesdar.

Dem Schleppflugzeugführer gelang es, in 300 Meter Höhe die Wilga abzufangen und mit angehängtem Seil nach Jena-Schöngleina zurückzufliegen.

Schlussfolgerungen

Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass sich beim Ausklinkvorgang das Schleppseil nicht vom Segelflugzeug gelöst hatte. Der Schleppzug gelangte in eine unkontrollierte Fluglage, bei der das Schleppseil riss. Nachdem der Schleppverband getrennt war, zerbrach die Tragflächenkonstruktion im Abfangvorgang durch Überlastung.

Folgende Faktoren haben zu dem Unfall beigetragen:

  • die Meldung des Segelflugzeugführers an den Schlepp-Piloten, dass er das Seil ausgeklinkt habe, dieses sich jedoch noch nicht vom Segelflugzeug gelöst hatte
  • ein erschwertes Ausklinken des Schleppseils unter der Belastung des im Sturzflug gespannten Seils
  • der Einsatz eines Seils mit einer hohen Bruchlast, ohne die Verwendung einer geeigneten Sollbruchstelle gemäß der Segelflugbetriebsordnung (SBO)
  • die abrupte Abfangbewegung des Segelflugzeugführers nach dem Reißen des Schleppseils

Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Quelle und Bilder, sofern nicht anders angegeben: BFU.