Luftverteidigung in NATO-Europa: Vernetzung von Taktik

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Russlands Angriff auf die Ukraine und Krieg in Europa führt zu der Frage: Wenn die Gewalt auf übergreifen würde, wie kann sich unser Land im Ernstfall verteidigen? Wir wären bei der Verteidigung nicht allein.

ist Mitglied der , eines Verteidigungsbündnisses von 30 europäischen und nordamerikanischen Staaten. Als Teil dieses Bündnisses verpflichten sich alle Mitglieder zum gegenseitigen Schutz im Verteidigungsfall. Damit müsste sich die Bundesrepublik also nicht im Alleingang verteidigen, sondern kann auf die Unterstützung der Bündnispartner zählen. Der Schutz Deutschlands ist Aufgabe der gesamten . Andere Mitgliedsstaaten können sich der Unterstützung Deutschlands im Verteidigungsfall ebenso sicher sein.

Luftverteidigung aktuell wie selten zuvor

Bei Betrachtung der aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen und der Berichterstattung über den Einsatz neuer Waffensysteme, ist das Thema Luftverteidigung aktuell wie selten zuvor. Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht das.

Mitte des 20. Jahrhunderts befand sich die Welt im Kalten Krieg. Der Ostblock und die westliche Allianz standen sich bis an die Zähne bewaffnet gegenüber. Die Furcht vor einem Überraschungsangriff durch Luftangriffskräfte auf das NATO-Bündnisgebiet seitens des Warschauer Paktes war groß. Dabei standen Kampfflugzeuge aufgrund ihrer Geschwindigkeit und Zerstörungskraft als „Waffe der ersten Stunde“ im Fokus.

NATO-Luftverteidigung mit Nike-Gürtel

Um sich gegen einen solchen Überraschungsangriff zu schützen, begann Ende der 1960er-Jahre der Aufbau der Integrierten NATO-Luftverteidigung: Es handelte sich dabei um ein existierendes Führungssystem aus Sensoren und Gefechtsständen vom Norden Norwegens bis zur Südflanke in Südosteuropa. Ihnen unterstellt waren Luftverteidigungskräfte mit unterschiedlichen Waffensystemen, die 24 Stunden an sieben Tagen die Woche, jahrein, jahraus, einsatzbereit waren. Multinationalität war schon damals das Maß aller Dinge und so standen unter anderem Dänen, Engländer, Niederländer, Belgier, Amerikaner und Deutsche zusammen bereit, um die Unversehrtheit des NATO-Luftraums sicherzustellen.

Das Waffensystem Nike war das erste Flugabwehrraketensystem der Luftverteidigung der NATO. Die deutschen Nike-Systeme bildeten zusammen mit niederländischen, belgischen und US-amerikanischen Einheiten den sogenannten „Nike-Gürtel“. Wie so viele Bereiche der NATO wurde auch die NATO-Luftverteidigung mit Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er-Jahren deutlich reduziert. Doch der kontinuierliche Schutz des Bündnisgebiets durch die Mitgliedsstaaten wurde stets weiter aufrecht gehalten.

Abwehr von Raketen und Flugkörpern

Zu Beginn der 2010er-Jahre wurde die Integrierte Luftverteidigung um die Aufgabe der Flugkörperabwehr erweitert. Das heißt, auch gegnerische anfliegende Raketen konnten zerstört werden. Deshalb spricht man heute von der Integrierten Luftverteidigung und Flugkörperabwehr (Integrated Air and Missile Defence – IAMD) der NATO.

Diese ist weiterhin eine kontinuierliche Mission der NATO-Aufgabe in Friedens-, Krisen- und Konfliktzeiten mit dem Ziel, vor Bedrohungen und Angriffen aus der Luft zu schützen. Daher ist die NATO IAMD ein wesentliches Element der Abschreckung und der Verteidigung der NATO. Sie trägt somit zur Stabilität, Sicherheit und Handlungsfreiheit des Bündnisses und seiner Mitgliedsstaaten bei.

NATINAMDS: Ein Sicherheitsnetz für Europa

NATO IAMD verfolgt dabei einen 360-Grad-Ansatz im gesamten NATO-Gebiet, um alle taktischen und strategischen Bedrohungen aus der Luft zu bekämpfen. Aufgrund der Aufnahme neuer Mitgliedsstaaten in den vergangenen Jahren ist das ursprüngliche Netz der NATO IAMD weiter gewachsen – zu einem fast den gesamten Kontinent überspannenden System, dem sogenannten NATO Integrated Air and Missile Defence System (NATINAMDS). Wie in der Vergangenheit besteht dieses Netz aus miteinander verbundenen nationalen und NATO-Systemen, das aus Sensoren, Führungs- und Kontrollmitteln sowie Waffensystemen besteht. Das NATINAMDS untersteht dem Obersten Alliierten Befehlshaber Europa der NATO (Supreme Allied Commander Europe) mit dem Hauptquartier im belgischen Mons.

Die IAMD der NATO ist die defensive Komponente der gemeinsamen Luftstreitkräfte des Bündnisses. Sie umfasst alle Maßnahmen, die dazu beitragen, Luft- respektive Raketenbedrohungen abzuschrecken oder die Wirksamkeit feindlicher Luftangriffe zunichte zu machen oder zu verringern. Dem 360-Grad-Ansatz liegt zugrunde, dass die NATO mit modernen Luftkriegsmitteln wie unbemannten Luftfahrzeugen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen aus jeder Richtung angegriffen werden könnte. Die Überwachung des Luftraums kann sich daher nicht auf eine Richtung beschränken. Dafür stellt NATO IAMD eine äußerst reaktionsschnelle, robuste und dauerhafte Fähigkeit bereit.

Kapazität von Frieden bis Krieg

Dieses Netzwerk ist dabei flexibel. Während in Friedenszeiten nur wenige Kräfte dauerhaft Teil von NATINAMDS sind, werden bei einer Alarmierung viele zusätzliche Kräfte, wie die bodengebundene Luftverteidigung, der NATO unterstellt. In Krise und Krieg teilen sich bodengebunde und fliegende Luftverteidigung die Aufgaben. Dabei werden die zu schützenden Lufträume den jeweiligen Waffensystemen zugewiesen und die Waffensysteme zentral durch NATO Gefechtsstände geführt. Besonders schutzbedürftige Ziele, wie beispielsweise Atomkraftwerke, weist die NATO dabei zentral als Schutzaufträge der bodengebundenen Luftverteidigung zu.

Für den Schutz der Landstreitkräfte werden ebenfalls Einheiten der bodengebundenen Luftverteidigung eingesetzt. Diese begleiten die Bodentruppen und bleiben dabei mit dem Netzwerk des NATINAMDS verbunden. Sie bilden damit die vordersten Linien der NATO IAMD. Die NATO-Luftverteidigung setzt sich aus verschiedenen Waffensystemen zusammen. Diese ergänzen sich und schützen einander mit überlappenden Wirkbereichen, so dass ein potenzieller Gegner im Idealfall keine Lücke findet, die er nutzen könnte.

Air Policing: Luftpolizei in Friedenszeiten

Gegenwärtig gibt es bei der NATO IAMD zwei Aktivitäten in Friedenszeiten: das NATO Air Policing und die NATO Ballistic Missile Defence (BMD). Beim Air Policing übernehmen die NATO-Mitglieder gemeinsam kontinuierlich und dauerhaft luftpolizeiliche Aufgaben, um die Integrität des Luftraums der Allianz zu wahren. Dazu gehört die ständige Überwachung des NATO-Luftraums durch einsatzbereite Eurofighter-Abfangjäger und militärische Führungseinrichtungen.

Der Luftraum über Deutschland wird permanent beobachtet und überwacht, um Luftraumverletzungen oder Zwischenfälle im Luftraum unmittelbar erkennen und darauf reagieren zu können. Dafür sorgt ein flächendeckendes Netz aus Radarsensoren am Boden. Diese sind in den verschiedenen Mitgliedsstaaten stationiert. Darüber hinaus verfügen die NATO und ihre Mitgliedsstaaten über flugzeugbasierte Systeme zur Luftraumüberwachung, das Early Warning and Control System, besser bekannt als AWACS. Die AWACS-Flugzeuge NATO E-3A sind mit Radargeräten auf dem Rumpf die Überwachungs- und Frühwarnsysteme des Bündnisses besonders markant.

AWACS-Flugzeug der NATO zur luftgestützten Luftraumaufklärung und -überwachung
AWACS-Flugzeug der NATO zur luftgestützten Luftraumaufklärung und -überwachung mit dem Ziel der Früherkennung und Vorwarnung (Quelle: , Christian Timmig)

Permanent in Deutschland einsatzbereite können im Fall einer Luftraumverletzung unmittelbar starten, um Luftfahrzeuge in Notlagen zu unterstützen und um bei Zwischenfällen im Luftraum einzugreifen. Für Deutschland sind zwei Quick Reaction Alert (QRA) Interceptor Fighters zuständig, die bei Auslösen eines Alarms direkt eingreifen können. Über den deutschen Luftraum hinaus unterstützt die deutsche Luftwaffe auch im Baltikum und in Rumänien bei der Sicherung des Luftraums.

Ballistische Bedrohung

Eine weitere ständige Aufgabe der NATO ist die NATO Ballistic Missile Defence (NATO BMD) zur Abwehr ballistischer Flugkörper. Sie dient dem Schutz der Bevölkerung, des Territoriums sowie der Streitkräfte in NATO-Europa vor der zunehmenden Bedrohung durch ballistische Flugkörper.

Die Verbreitung ballistischer Flugkörper stellt eine deutliche Gefährdung für das westliche Verteidigungsbündnis dar. Denn diese Raketen mit Reichweiten von 1.000 Kilometer und mehr folgen nach ihrem Abfeuern einer ballistischen Flugbahn. Das heißt, sie verlassen für einen Teil der Strecke zu ihrem Ziel die in einem hohen Bogen, bevor sie einschlagen. Besonders gefährlich sind diese Flugkörper deshalb, weil sie potenziell mit Massenvernichtungswaffen bestückt werden können. Wenn sie nukleare, biologische oder chemische Waffen tragen, bedrohen sie nicht nur punktuelle Ziele, sondern große Areale.

Patriot unterstützt bei NATO BMD

Viele Nachbarländer der NATO verfügen bereits über ballistische Raketen oder versuchen, solche zu kaufen oder zu entwickeln. Die NATO verfügt für die Aufgabe BMD über eigene Gefechtsstände zur Führung und stützt sich vor allem auf Fähigkeiten der USA, die sowohl permanent in Europa stationiert sind als auch temporäre Kräfte zu Land und auf See haben. Die BMD-Fähigkeiten bilden, neben den konventionellen Streitkräften und der nuklearen Abschreckung, einen wesentlichen Bestandteil des strategischen Mixes der NATO.

Deutschland kann mit seinen Patriot-Einheiten einen Beitrag zur NATO BMD durch den Schutz besonders gefährdeter Einrichtungen leisten. Ursprünglich zur Abwehr von Flugzeugen gebaut, kann Patriot heute Flugzeuge, Marschflugkörper und ballistische Raketen mit modernster bekämpfen. Es erkennt automatisch, wer Freund und wer Feind ist.

80 Millionen Quadratkilometer Einsatzgebiet

Damit NATO IAMD alle verfügbaren Luftverteidigungs- und Flugkörperabwehrfähigkeiten koordinieren und synchronisieren kann, müssen alle diese unterschiedlichen Systeme integriert werden und möglichst nahtlos zusammenarbeiten.

Ein wichtiges Beispiel dafür sind die NATO-Luftüberwachungssysteme (AirC2 – Air Command and Control), mit der das Bündnis Luftoperationen innerhalb und außerhalb des euro-atlantischen Raums steuern kann. Die NATO-Luftverkehrskontrollsysteme umfassen unter anderem Kontrollfunktionen für Lufteinsätze, , Luftraumüberwachung, Luftraummanagement sowie für die Verwaltung von Ressourcen und die Streitkräfteführung.

Diese Systeme decken zusammen ein Einsatzgebiet von etwa 80 Millionen Quadratkilometern ab, das vom nördlichsten Punkt Norwegens bis zum Mittelmeer und vom östlichsten Punkt der Türkei bis zum Nordatlantik reicht. Sie bilden eine der wichtigsten Säulen der NATINAMDS, um das Bündnisgebiet, die Bevölkerung und die Streitkräfte vor Luft- und Raketenbedrohungen und -angriffen zu sichern und zu schützen.