Am 15. Oktober 2013 hat das Deutsche Zentrum für Luft– und Raumfahrt (DLR) in einer feierlichen Zeremonie seinen ehemaligen "Fliegenden Simulator" ATTAS (Advanced Technologies Testing Aircraft System) an die Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums in München übergeben.
Die ursprünglich als Passagierflugzeug konzipierte Maschine vom Typ VFW 614 war nahezu 27 Jahre im Dienst der Luftfahrtforschung unterwegs, bevor sie am 07. Dezember 2012 zu seinem letzten Flug in die Flugwerft aufbrach.
Erfahrene Restauratoren präparierten das besondere Exponat in den letzten Monaten. Fortan kann der ehemalige DLR-Flugversuchsträger in der großen Ausstellungshalle von den Museumsbesuchern aus nächster Nähe bestaunt werden. Das Forschungsflugzeug hat in seiner Dienstzeit Wirbelschleppen sowie lärmarme Anflüge untersucht, war als fliegender Simulator im Einsatz und hat Flugführungstechnologien erprobt.
"Die Flugwerft Schleißheim ist seit langem bekannt für die sorgfältige Pflege ihrer Luftfahrtsammlung – hier ist ATTAS in allerbesten Händen", sagt der DLR-Vorstandsvorsitzende Prof. Dr.-Ing. Johann-Dietrich Wörner anlässlich der feierlichen Übergabe. "Nun können die Besucher ein Stück DLR und deutscher Luftfahrtgeschichte im Detail erkunden."
Herausforderung: Landung des letzten Fluges
Lange Jahre war ATTAS das größte Flugzeug der DLR-Forschungsflotte. "Mit dem ATTAS haben wir sowohl deutsche Luftfahrtgeschichte bewahrt, als auch Luftfahrtzukunft gestaltet", unterstreicht Prof. Rolf Henke, Luftfahrtvorstand des DLR. "Wir werden die auf diesem Flugzeug konzipierten Technologien weiter vorantreiben."
Am 07. Dezember 2012 startete ATTAS zum Überführungsflug vom Forschungsflughafen Braunschweig und landete punktgenau auf der vergleichsweise kurzen Landebahn des Flugplatzes Schleißheim. Anschließend wurde der Flugversuchsträger in der Gläsernen Werkstatt der Flugwerft aufbereitet. An technisch interessanten Stellen wie der Landeklappenführung haben die Restauratoren ATTAS nun mit transparenten Elementen versehen.
"Das Innere des Flugzeugs wird demnächst auch für die Besucher betretbar sein, so dass man auch hier, wie überall im Deutschen Museum, auf Tuchfühlung mit Wissenschaft und Technik gehen kann", freut sich Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums, über das einzigartige Exponat.
Fly-by-Wire Steuerungssystem auf ATTAS getestet
Bevor ATTAS bei der damaligen DFVLR (Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft– und Raumfahrt – heute DLR) am 24. Oktober 1985 seinen Dienst als Forschungsflugzeug antrat, wurde der Jet bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) von 1982 bis 1985 für seinen Forschungseinsatz massiv umgerüstet: Neben einer Messanlage und zusätzlichen Sensoren war besonders das neue Flugsteuerungssystem ein wesentliches Element.
Zusätzlich zur vorhandenen mechanischen Lenkung fügten die Ingenieure eine elektronische Flugsteuerung hinzu. Damit konnten die Wissenschaftler wählen, ob sie ATTAS mechanisch oder mit der neuen Fly-By-Wire-Technik fliegen wollten. Bei einer Fly-by-Wire-Steuerung, wie sie heute Standard ist, wird das Flugzeug von elektrischen Signalen und hydraulischen Stellern gesteuert. Im ATTAS konnten die Wissenschaftler die Steuerung umprogrammieren und so neue Regelungstechniken fliegend simulieren.
Blended Wing Body – Flug in Rochenform simuliert
Mit der Möglichkeit, die Flugeigenschaften gezielt zu beeinflussen, war ATTAS ein wahrer Verwandlungskünstler: Für die Simulation eines anderen Flugzeugs wurden die Einstellungen des ATTAS-Bordcomputers verändert. Das Flugzeug folgte damit als Simulator Bewegungen, die die Bordcomputer aufgrund eines mathematischen Modells errechneten. Klappen und das Leitwerk wurden direkt vom Rechner angesteuert.
Auf diese Weise konnten Eigenschaften neuer, noch im Entwicklungsstadium befindlicher Flugzeuge oder Flugregler im Flug realitätsnah getestet werden. 2010 und 2011 simulierte ATTAS beispielsweise einen so genannten Blended Wing Body. Aus dem 20,8 Tonnen leichten ATTAS wurde während der Simulation ein 700 Tonnen schweres Flugzeug in Rochenform.
In den Jahren 2002 bis 2004 war ATTAS zudem vom Boden aus ferngesteuert unterwegs. Die Piloten führten hierbei zunächst den Start selbst aus, stellten dann aber im Flug auf die Fernführung um. Die an Bord befindliche Besatzung hatte nur eine Sicherheitsfunktion für mögliche Fehler des Versuchssystems. Außerdem standen Parabelflüge mit verringerter Schwerkraft auf Marsniveau im ATTAS-Flugbuch sowie neue Anflugverfahren oder Flüge britischer Testpilotenschüler.
Technisches Denkmal fürs Luftfahrtmuseum
ATTAS ist in seinen fast 27 Forschungsjahren zu einem technischen Denkmal gereift und steht für ein Stück deutsche Luftfahrtgeschichte. Ein ganzes Forschungsfeld lässt sich mit diesem Flugzeug verbinden. Seit 2007 hatte sich das Deutsche Museum um die Aufnahme des Flugversuchsträgers in seine Sammlung bemüht und schließlich den Zuschlag des DLR erhalten. Das Deutsche Museum erhält ATTAS als Geschenk für seine umfangreiche Luftfahrtsammlung.