Mit Clean Sky hat die Europäische Kommission das größte jemals in Europa existierende Luftfahrtforschungsprogramm aufgelegt: Über 600 Partner arbeiten gemeinsam an neuen Technologien für eine noch sauberere Luftfahrt von morgen. Und das sind die beiden zentralen Vorgaben von Clean Sky: Die europäische Luftfahrt soll nicht nur mit der Entwicklung neuer Technologien für Flugzeuge und Antriebe gestärkt und international wettbewerbsfähiger gemacht werden, sondern auch durch die Qualifizierung neuer Partner aus Forschung und Industrie. Im Fokus des Industriebereiches stehen kleinere und mittlere Firmen. Mit dabei ist Deutschlands führender Triebwerkshersteller, die MTU Aero Engines.
Getriebefan mit neuen Werkstoffen
„Wir entwickeln nicht nur neue Technologien für unsere Komponenten Hochdruckverdichter und Niederdruckturbinen, sondern qualifizieren auch neue Partner für die europäische Luftfahrtbranche“, erklärt Technik-Vorstand Dr. Rainer Martens. Beide Aufgaben löst Deutschlands führender Triebwerkshersteller mit Bravour: Neue innovative Antriebstechnologien wurden entwickelt und in einen Demonstrator integriert: Die MTU verantwortet mit SAGE 4 (Sustainable And Green Engines) einen von fünf Clean-Sky-Triebwerksdemonstratoren, der Ende vergangenen Jahres in München getestet wurde. Basis ist ein Getriebefan, der mit Innovationen ausgestattet wurde, darunter Bauteile aus neuen Werkstoffen sowie mit neuen Designs, etwa Schaufeln. Zudem kommen Teile zum Einsatz, die mit neuen Verfahren gefertigt wurden; auch neue Simulationsmethoden und Messverfahren spielen eine Rolle.
Zusammengearbeitet hat die MTU hier mit mehreren Partnern aus Industrie und Forschung. Die meisten Neuzugänge innerhalb der MTU-Innovations-Wertschöpfungskette kommen aus Deutschland; es gibt aber auch Betriebe und Institute, die in Großbritannien, Italien, Österreich und Schweden ansässig sind. „Unser Ziel war es, die Besten ihrer Klasse an einen Tisch zu bringen und das haben wir geschafft“, resümiert Dr. Jörg Henne, Leiter Entwicklung und Technologie bei der MTU. Für beide Seiten ergibt sich eine Win-Win-Situation: „Wir gewinnen nicht nur neue Hardware sondern auch neue Partner“, erklärt Henne. Die Partner erhalten entweder erstmals Zugang zur europäischen Luftfahrtbranche oder die Möglichkeit, sich in anderen Sparten dieser Branche zu beweisen.
Zum ersten Mal mit der MTU kooperiert hat die britische Firma Meggitt Polymers and Composites, damals noch unter dem Namen Cobham Composite Technologies, ein Spezialist für Kohlefasermaterialien. Gemeinsam wurde ein neues hitzebeständiges Material für einen Dichtungsträger mit Honigwabenstruktur entwickelt: Der innovative Kohlefaser-Innenring wird im Hochdruckverdichter verbaut. „Die Herausforderung bestand zum einen darin, ein Kohlenfasermaterial zu finden, das den hohen Designanforderungen für den Einsatz in einem Hochdruckkompressor standhält. Zum anderen muss das Material natürlich die hohen Temperaturen aushalten, die dort herrschen“, erklärt Matthew Denmead, Entwicklungsingenieur bei Meggitt.
Kohlefaser leichter und günstiger
Mit dem Ergebnis sind beide Seiten sehr glücklich. „Wir haben die Chance bekommen, diese Bauteile in ein Triebwerk zu integrieren, das unter realen Bedingungen getestet wird. Dadurch können wir das Material besser verstehen“, bilanziert Denmead für sein Unternehmen. Teile aus Kohlefasern sind um bis zu 400 Prozent leichter als Bauteile aus Metall, etwa Titan. „Zudem ist ihre Herstellung deutlich günstiger“, ergänzt Dr. Stefan Weber, Leiter Technologie und Vorauslegung bei der MTU in München.
Denmead prognostiziert: „Die Verwendung von Kohlefasern in Triebwerken wird sich in der Branche immer mehr durchsetzen. Durch die deutliche Gewichtseinsparung haben Kohlefasern gerade in Hochtemperaturbereichen großes Potenzial.“ Über die Kooperation mit der MTU sagt er: „Die Zusammenarbeit war sehr erfolgreich und reibungslos. Die Kollegen bei der MTU waren sehr hilfreich, wenn es darum ging, Änderungen des Designs vorzunehmen, um die Herstellung zu erleichtern.“
Additive Herstellung
Kein Unbekannter für die MTU ist das iwb Anwenderzentrum Augsburg der Technischen Universität München. Weber: „Wir kennen uns bereits aus früheren Kooperationen in verschiedenen Bereichen der produktionstechnischen Fertigung.“ Im Rahmen von Clean Sky wagten sich die Partner an die Entwicklung eines Simulationswerkzeugs, mit dessen Hilfe der Fertigungsprozess von in Schichtverfahren hergestellten Triebwerksbauteilen untersucht werden kann. Ziel war, die additive Fertigung besser zu verstehen und die Qualität der produzierten Teile kosteneffizient zu steigern.
Weiterer Vorteil für den Hersteller: Bisher erforderliche Experimente und auch Testfertigungen können durch Computersimulationen ersetzt werden. Konkret ging es um das additive Verfahren, das die MTU für die Fertigung von Boroskopaugen für die schnelllaufende Niederdruckturbine im A320neo-Getriebefan herstellt. Diese Bauteile entstehen per Selektivem Laserschmelzverfahren (Selective Laser Melting = SLM) und werden bereits in Serie gefertigt.
Johannes Weirather, Diplom-Physiker am iwb, resümiert: „Die Simulation des Laserstrahlschmelzens ist ein Schwerpunkt unserer Forschungstätigkeiten im Bereich der additiven Fertigung. Für uns ist es deshalb besonders erfreulich, dass wir mit der Bearbeitung dieses Projektes unser Know-how in diesem Bereich erweitern konnten. Es sind auch neue Forschungsfragen aufgetaucht, die es in den kommenden Jahren zu beantworten gilt, um die Einsatzmöglichkeiten der Simulation in der additiven Fertigung noch weiter auszubauen.“ Für die MTU haben additive Verfahren eine große Bedeutung, weshalb sie konsequent weiter entwickelt werden. Weber blickt in die Zukunft: „Es geht darum, die Potenziale hinsichtlich Designfreiheit für immer mehr Bauteile zu heben. Und es geht auch um weitere Werkstoffe.“
Blisk – Scheibe und Schaufeln in Einem
Mit der Entwicklung eines neuen Mess- und Inspektionssystems hat sich die Firma Hexagon Metrology im Rahmen der Clean-Sky-Zusammenarbeit beschäftigt. Ihre Expertise im Bereich Qualitätssicherung haben die Messspezialisten aus Wetzlar schon in mehreren gemeinsamen Projekten mit der MTU unter Beweis gestellt. Jetzt ging es um eine integrierte, vollautomatische Lösung zur Oberflächeninspektion und Messung von Blisks. Blisks (Blade Integrated Disks) sind Hochtechnologie-Bauteile, bei denen Scheibe und Schaufeln integral gefertigt und nicht mehr zusammengesteckt werden. Zum Einsatz kommen sie derzeit in Verdichtern militärischer und ziviler Anwendungen. Bislang erfolgten Messung und Inspektion getrennt. Das wollte man ändern. „Der Trend in der Industrie geht dahin, mehrere Messverfahren auf einem Gerät zu integrieren“, erklärt Stefan Fall, Projektleiter bei Hexagon Metrology.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Gemeinsam wurde eine praktisch anwendbare, effiziente messtechnische Lösung für Blisks gefunden. Fall: „Wir können so dem Kunden eine erweiterte Funktionalität auf unseren Geräten bieten, hier im Speziellen die Sichtprüfung der Blisks. Es ist ein weiterer Meilenstein auf unserem Weg, automatisiert und flexibel Sensoren optimal passend zur Lösung komplexer messtechnischer Anforderungen einzusetzen.“ Hexagon Metrology möchte die Ergebnisse des Projektes jetzt im Serieneinsatz optimieren. Man sieht gute Chancen, Effi-zienz und Zusatzfunktionalität am Koordinatenmessgerät weiter zu verbessern und dadurch die Möglichkeit, andere Bauteile der Luftfahrtbranche zu bearbeiten. „In einem weiteren Schritt sehen wir sogar das Potenzial, die Technologie branchenübergreifend zu verwenden“, resümiert Fall.
Und der Nutzen für die MTU? „Durch die Integration neuer Messverfahren und die Automatisierung reduzieren sich Rüstzeiten und erhöht sich der Durchsatz“, erklärt Weber. Auf dem Weg in die Praxis absolvieren die neuen Clean-Sky-Technologien, -Materialien und -Verfahren bei der MTU einen wichtigen Tauglichkeitstest: Sie kamen im SAGE-4-Demonstrator in München auf den Prüfstand und wurden auf Herz und Nieren getestet. Dr. Jörg Henne. Für die nächsten Wochen werden uns die Ergebnisse nach detaillierten Befundungen erwartet. Die neuen Technologien sollen schon unmittelbar in die nächste Generation von Getriebefan-Triebwerken zur Anwendung kommen und sie noch ökoeffizienter machen.