BO105 S-Abstürze in der Antarktis bei Whiteout-Bedingungen

Geschätzte Lesezeit: 20 Minuten

Hubschrauber-Absturz in der Antarktis im November 2011: Nach Angaben der Piloten und des Kapitäns des Forschungsschiffs "Polarstern" wurden am Unfalltag mit beiden BO105-Bordhubschraubern des Forschungsschiffes mehrere Flüge im Bereich der Atkabucht in der Antarktis durchgeführt, als sich das Wetter dramatisch verschlechterte.

  • Art des Ereignisses: Unfall
  • Datum: 17. Dezember 2011
  • Ort: Atkabucht, Antarktis
  • Luftfahrzeuge: Hubschrauber
  • Hersteller / Muster: Beide Hubschrauber Eurocopter Deutschland / BO105 S
  • Personenschaden: Zwei Personen leicht verletzt
  • Sachschaden: Beide Luftfahrzeuge schwer beschädigt
  • Drittschaden: Keiner
  • Informationsquelle: Angaben des Halters und der Fahrleitung des Forschungsschiffs
  • Aktenzeichen: BFU 4X041-11, BFU 4X042-11

Sachverhalt: Ereignisse und Flugverlauf

Noch am Vormittag wurde mit Hilfe der Hubschrauber die Eissituation für einen geeigneten Anlegeplatz erkundet und Personen zwischen dem Schiff und der Forschungsstation Neumayer III transportiert. Am Nachmittag wurden Wissenschaftler zu Eisbohrungen auf dem Meereis geflogen.

Nach dem Absetzen der Forscher flog einer der Piloten mit dem Hubschrauber (Nr. 1) erneut zur Neumayer-III-Station, um weitere Personen abzuholen. Diesen Flug brach er vor Erreichen der Station aufgrund von Whiteout-Bedingungen ab und kehrte zu dem zweiten, auf dem Meereis parkenden Hubschrauber (Nr. 2) zurück. Aufgrund einsetzender Wetterverschlechterung mit Schneefall entschied er sich mit dem zweiten Piloten zum sofortigen Rückflug zum Forschungsschiff. Bis zum Start hatte sich das Wetter verschlechtert, sodass von dem Rückflug zunächst abgesehen wurde. Nach telefonischer Rücksprache mit den Meteorologen der Neumayer-III-Station wurde auf eine kurzfristige Wetterbesserung gewartet. Inzwischen machte sich ein Team mit Skidoos von der Neumayer-III-Station auf den Weg zur Bergung der Hubschrauberbesatzungen.

Um ca. 19:30 Uhr UTC hörte der Schneefall auf und die Sichten verbesserten sich, so dass beide Piloten entschieden, einen Rückflug zu versuchen. Nach ca. 20 km Flugstrecke verschlechterten sich die Sichten erneut. Es wurde eine Landung auf dem Schelfeis in einem unerkundeten Eisbereich mit möglichen Eispalten durchgeführt.

Da diese Stelle ungeeignet für eine bodengebundene Bergung des Personals war, entschloss man sich, zu einer ca. drei nautische Meilen (NM) entfernten Pinguin-Kolonie zu starten. Dort landeten beide Hubschrauber. Da von dieser Position sowohl der Anlegeplatz der Polarstern als auch die Neumayer-III-Station jeweils nur ca. vier NM entfernt und zu diesem Zeitpunkt zu sehen waren, entschieden die beiden Piloten erneut zu starten, um zum Anlegeplatz zu fliegen. Hierbei verschlechterten sich wiederum die Sichtbedingungen und die Referenzen zum Boden gingen verloren.

Daraufhin entschied der des vorausfliegenden Hubschraubers (Nr. 1) den Abbruch des Fluges. Bei dem Versuch einer Sicherheitslandung setzte der dahinter folgende Hubschrauber (Nr. 2) hart auf dem Eisboden auf und wurde schwer beschädigt. Die fünf Insassen blieben unverletzt. Der des vorausfliegenden Hubschraubers wollte nun mit einer Rechtskurve in Richtung des zweiten Hubschraubers abdrehen. Dabei bekamen die Hauptrotorblätter Bodenkontakt und der Hubschrauber stürzte zu Boden. Zwei Passagiere konnten unverletzt das Wrack verlassen. Ein weiterer Passagier und der Pilot wurden leicht verletzt. Der Notfunksender (ELT) des Hubschraubers (Nr. 1) löste aus; dessen Signal wurde um 20:19 Uhr UTC erstmalig aufgezeichnet. Es entstand kein Brand.

Der Unfall des Hubschraubers Nr. 1 wurde der BFU zwei Tage nach dem Ereignis vom Halter gemeldet. Die harte Landung des Hubschraubers Nr. 2 wurde am 06.01.2012 angezeigt.

Angaben zu Personen

Hubschrauber Nr. 1

Der 55-jährige verantwortliche Pilot war im Besitz einer Verkehrspilotenlizenz für Hubschrauber (ATPL(H)) nach JAR-FCL deutsch, erstmalig erteilt am 24.03.1994, gültig bis 06.10.2015, mit eingetragenen Musterberechtigungen für B117, BO105/105LS/105CBS und EC135P/EC135T, jeweils als verantwortlicher Pilot (PIC). Er verfügte über ein Flugtauglichkeitszeugnis Klasse 1 mit der Auflage eine Brille zu tragen, gültig bis 22.05.2012.

Die Gesamtflugerfahrung auf Hubschraubern betrug ca. 6.378 Stunden. Davon wurden innerhalb der letzten 90 Tage ca. 78 Stunden auf dem Muster geflogen. Der Pilot hatte seit 1996 an insgesamt 20 Expeditionen mit fliegerischem Einsatz im Antarktis- bzw. Arktisgebiet teilgenommen. Auf dieser Fahrt des Forschungsschiffs hatte er gleichzeitig die Funktion des Flugbetriebsleiters an Bord.

Hubschrauber Nr. 2

Der 34-jährige verantwortliche Pilot war im Besitz einer Berufspilotenlizenz für Hubschrauber (CPL(H)) nach JAR-FCL deutsch, erstmalig erteilt am 09.05.2008, gültig bis 09.05.2015, mit eingetragenen gültigen Musterberechtigungen für BO105/105LS/105CBS als verantwortlicher Pilot (PIC). Er verfügte über ein Flugtauglichkeitszeugnis Klasse 1 ohne Auflagen, gültig bis 05.02.2012. Die Gesamtflugerfahrung auf Hubschraubern betrug ca. 2.332 Stunden. Davon wurden innerhalb der letzten 90 Tage ca. 27 Stunden und insgesamt auf dem Muster ca. 2.222 Stunden geflogen. Der Pilot hatte an drei Expeditionen mit fliegerischem Einsatz im Antarktis- bzw. Arktisgebiet teilgenommen.

Angaben zu den Luftfahrzeugen

Der zweimotorige Hubschrauber BO105 S des Herstellers Eurocopter Deutschland GmbH (vormals Messerschmidt-Bölkow-Blohm GmbH, Unternehmensgruppe Hubschrauber und Flugzeuge) ist ein leichter Mehrzweckhubschrauber für bis zu fünf Insassen. Er wurde 1977 nach den Richtlinien FAR 27 zugelassen (LBA TCDS No.3025 / EASA.R.011). Der Hubschrauber verfügt über ein Kufenlandegestell, einen Vierblattrotor, einen gelenklosen Rotorkopf und einen Heckrotor für den Drehmomentausgleich. Gegenüber den anderen BO105-Modellen unterscheidet sich die S-Variante durch eine gestreckte, vergrößerte Kabine. Die maximale Abflugmasse für die S-Variante BO 105CBS-4 beträgt 2.500 kg.

Der verunfallte Hubschrauber Nr. 1, Baujahr 1984, hatte die Werknummer S-683. Die Betriebsleermasse betrug ca. 1.543 kg. Die letzte Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit (ARC) wurde am 06.10.2011 bei 8.776 Betriebsstunden ausgestellt. Zum Unfallzeitpunkt hatte der Hubschrauber eine Gesamtbetriebszeit von ca. 8.789 Stunden.

Der verunfallte Hubschrauber Nr. 2, Baujahr 1987, hatte die Werknummer S-776. Die Betriebsleermasse betrug ca. 1.547 kg. Die letzte Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit (ARC) wurde am 27.05.2011 bei 14.392 Betriebsstunden ausgestellt. Zum Unfallzeitpunkt hatte der Hubschrauber eine Gesamtbetriebszeit von ca. 14.528 Stunden.

Meteorologische Informationen

Nach Angaben der Bordwetterwarte des Forschungsschiffes (Flugbericht Nr. 21) lautete die Gebietsvorhersage um 10:00 Uhr UTC, gültig bis 14:00 Uhr UTC, wie folgt: Vorwiegend starke bis geschlossene Schicht- und Schichthaufenbewölkung mit wechselnden Untergrenzen, daraus gelegentlich etwas Schnee, lokal schauerartig verstärkt mit Vereisungsgefahr. Außerdem Vereisungsgefahr nahe der Wolkenuntergrenze möglich durch unterkühltes Nieseln. Sichten ausreichend, bei Schauern deutlich zurückgehend.

Die Flugwettervorhersage auf der Polarstern (TAF DBLK) um 09:50 UTC, gültig bis 14:00 Uhr UTC, lautete: Wind aus 120 Grad mit 10 kt, Sicht größer 10 km, geringe (SCT) Bewölkung in 500 ft und geschlossene (OVC) Bewölkung in 700 ft. Zeitweise Sichten 8.000 m, leichter Schneefall, OVC in 500 ft. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent Sichten 1.000 m, Schneeschauer, OVC 100 ft.

Als mögliche Gefahren wurden: Vereisung: teils mäßig, Sichtkontraste: ausreichend, aber lokal whiteout möglich, und Horizontsicht: ausreichend, aber lokal whiteout möglich […] vorhergesagt.

Die Gebietsvorhersage um 18:00 Uhr UTC, gültig bis 22:00 Uhr UTC (Flugbericht Nr. 23), lautete wie folgt: Bedeckt mit weiter absinkender Untergrenze und zeitweise Schnee. Deutlich verschlechternde Bedingungen mit Gefahr von whiteout. Vereisungsgefahr.

TAF DBLK um 17:50 UTC, gültig bis 22:00 Uhr UTC, lautete: Wind aus 250 Grad mit 15 kt, Sicht größer 10 km, leichter Schneefall, geringe (SCT) Bewölkung in 900 ft und geschlossene (OVC) Bewölkung in 3.500 ft. Veränderung (BECMG) zwischen 18:00 Uhr UTC und 19:00 Uhr UTC Sichtrückgang auf 3.000 m, Schneefall, SCT in 500 ft und OVC in 1.000 ft. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent Wind aus 150 Grad mit 20 kt, Sichten 500 m, starke Schneeschauer, Vertikalsicht (VV) 100 ft. Als mögliche Gefahren wurden: Vereisung: mäßig, teils stark, Sichtkontraste: schlecht, teils whiteout, und Horizontsicht: schlecht, teils whiteout […] vorhergesagt. Ab 16:50 Uhr UTC wurden im Bereich der Neumayer-III-Station Schneeschauer beobachtet. Ab 18:20 UTC wurden diese Schauer zeitlich länger und intensiver. Dabei wurde der Sichtkontrast und die Horizontsicht als nicht vorhanden beobachtet. Der BFU lag eine Webcam-Aufzeichnung mit Blickrichtung auf die Neumayer-III-Station vor. Diese zeigte zum Unfallzeitpunkt einen durchziehenden Schneeschauer mit reduzierten Sichtweiten.

Navigationshilfen

Die Flüge wurden mit Unterstützung von GPS-Navigationsgeräten durchgeführt.

Funkverkehr

Die Piloten standen je nach Erreichbarkeit in Funkkontakt zum Forschungsschiff bzw. zur Forschungsstation. Auf dem Meereis wurde mit einem Iridium-Telefon Kontakt zum Forschungsschiff aufgenommen. Die Inhalte der Kommunikation wurden durch die Beteiligten beschrieben, lagen der BFU jedoch nicht als Aufzeichnung oder Protokoll vor.

Flugdatenaufzeichnung

Beide Hubschrauber waren nicht mit einem Flight Data Recorder (FDR) bzw. Voice Recorder (CVR) ausgestattet. Diese waren nicht vorgeschrieben. Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug Die Unfallstelle befand sich auf der Position 70°34,91S 008°08,71W auf dem Schelfeis. Dies lag ca. 5,7 NM nordnordöstlich der Neumayer-III-Station und ca. 4,6 NM südsüdwestlich der Position des Forschungsschiffs zum Unfallzeitpunkt.

Als Überblick der Position der Unfallstelle ist ein Bildausschnitt aus Google EarthTM angefügt.

Die Hubschrauberinsaßen wurden geborgen. Aufgrund der herrschenden Wetterbedingungen wurden die Schäden erst zwei Tage später an der Unfallstelle beurteilt. Bodenspuren waren zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden.

Der Hubschrauber (Nr. 1) lag auf der linken Rumpfseite, die Cockpitverglasung war zerstört, die Rotorblätter waren am Rotorkopf z.T. abgerissen, die rechte Kufe war vorne zur Rumpfmitte hin verbogen und die linke Kufe vorne von der Quertraverse abgerissen.

Der Hubschrauber (Nr. 2) stand aufrecht auf seinen Kufen im Eis. Die hintere Quertraverse des Kufenlandegestells war durchgebogen. Die Bodenfreiheit des Rumpfes betrug ca. 15 cm. Der hintere Hauptspant im Rumpf und das Triebwerksdeck waren verformt. Eine Übersicht von den Unfallstellen der Hubschrauber ist auf den Fotos angefügt.

Organisationen und deren Verfahren

Halter und Flugbetrieb

Der Halter der Hubschrauber war zum Unfallzeitpunkt ein vom -Bundesamt (LBA) zugelassenes Luftfahrtunternehmen und zugelassener Instandhaltungsbetrieb nach Teil 145. Das Unternehmen hatte sich auf Flüge über See spezialisiert und stellte seit mehreren Jahren die Bordhubschrauber für das Forschungsschiff. Für den Flugbetrieb auf dem Forschungsschiff "Polarstern" und für Operationen in der Arktis bzw. Antarktis lag eine durch das -Bundesamt genehmigte Ergänzung (Standard Operation Procedure (SOP), Revision 12 vom 30.09.2011) des Halters zum Operational Manual nach JAR-OPS 3 vor.

Im Kapitel 1.5.4 "Einsatzgrundsätze" stand: Vor jedem Einsatz ist sicherzustellen, dass die Zustimmung der Schiffsleitung dafür vorliegt. Dies erfolgt durch Abzeichnung des Flugauftrags durch den Kapitän und den wissenschaftlichen Fahrtleiter. […] Der nicht fliegende Pilot bzw. der eingewiesene Techniker versehen während des Einsatzes eines bzw. beider Hubschrauber ihren Dienst auf der Brücke im Flugleitstand. […] Die grundsätzliche Sicherheitsmindesthöhe beträgt 500 ft über Grund. Sie darf unterschritten werden, wenn die Art des Einsatzes […] eine geringere Flughöhe unabdingbar macht.

Kapitel 1.7 der SOP "Wetterbedingungen" lautete: Die Mindestsichten betragen: über Schelfeis und anderen schneebedeckten Flächen, Wolkenbasis mehr als 500 Fuß: 5,0 km, über dem offenen Wasser, wenn Wolkenbasis mehr als 600 Fuß: 1,5 km, über dem offenen Meer, wenn Flug über Wasser mehr als 10 NM und Wolkenbasis mehr als 300 Fuß: 3,0 km, für alle anderen Bedingungen (kann kurzfristig bis 0,8 km betragen): 1,5 km Sicherheitsmindesthöhe siehe Abschnitt 1.5.4.

Whiteout ein "NO-GO" laut SOP

"Whiteout Bedingungen und Vereisungsgefahr" sind in jedem Fall ein "NO-GO- ITEM" […] Treten während eines Fluges unvorhergesehene Whiteout Bedingungen auf, hat der Pilot unverzüglich ein Ziel anzufliegen, welches genügend Kontrast für eine sichere Landung bietet.

In der SOP waren mögliche Piloten, die für Einsätze der Bordhubschrauber auf dem Forschungsschiff "Polarstern" in Betracht kamen und deren Funktion namentlich aufgeführt. Ebenfalls angegeben waren die möglichen Personen für die Funktion als Flugbetriebsleiter an Bord (FaB), der die Aufsicht und Einhaltung der gesetzlichen wie auch der Unternehmensvorgaben sicherstellen sollte. Beide betroffenen Piloten waren in der SOP als Kommandanten aufgeführt, jedoch nicht als Flugbetriebsleiter an Bord. Der Pilot des vorausfliegenden Hubschraubers versah im Auftrag des Unternehmens die Funktion als FaB. Die Meldung des Personals für die Antarktisexpedition ANT XXVIII / 2 und die Benennung des Flugbetriebsleiters an Bord erhielt das LBA etwa zwei Monate nach den Unfällen am 14.02.2012.

Laut SOP, Kapitel 1.5.4 versieht der nicht fliegende Pilot bzw. der eingewiesene Techniker während des Einsatzes eines oder beider Hubschrauber ihren Dienst auf der Brücke im Flugleitstand. Der Flugleitstand auf der Brücke war während der Flüge am Nachmittag nicht besetzt.

Flugvorbereitung

Für Einsatzflüge im Rahmen der Expeditionen sah die SOP im Kapitel 1.4 vor, dass der FaB einen schriftlichen Flugauftrag erstellt und dieser vom Fahrtleiter und vom Kapitän des Schiffes abgezeichnet wird. Nach Angaben des Kapitäns war ihm bis zur Information durch den Bordfunker um ca. 18:00 Uhr UTC nicht bekannt, dass die beiden Hubschrauber an diesem Tag für eine Meereisbohrung eingesetzt waren. Der BFU wurden je Hubschrauber zwei Flugaufträge vorgelegt. Die Flugaufträge für die ersten Flüge zur Anlegeplatzerkundung waren von dem Kapitän und die Flugaufträge für die Meereiserforschung durch den Fahrtleiter abgezeichnet worden.

Die Flugaufträge enthielten eine gekürzte (Abbreviated Flight Log). Sie beinhalteten z.B. Kraftstoff- und Gewichtsberechnungen. Bei den Kraftstoffberechnungen wurden neben dem Kraftstoff für die Flugphase (Trip Fuel) ein 20-minütiger Endreservekraftstoff und ein zehnprozentiger Kraftstoffzuschlag für unvorhergesehenen Mehrverbrauch (Contingency Fuel) berücksichtigt. Bei den Berechnungen ergaben sich Kraftstoffmengen, die über den maximal möglichen im Hubschrauber lagen.

Im Feld "Remarks" des Flugauftrages war vermerkt: Refueling at Neumayer. Auf Nachfrage erklärten Vertreter des Unternehmens, dass es sich bei der Kraftstoffberechnung um eine Sammelberechung aller Flüge des jeweiligen Flugauftrages handelte und daher sich Kraftstoffmengen ergeben konnten, die oberhalb der maximalen Tankkapazität lagen.

Eine Betankung an der Neumayer-III-Station ist nach Angaben des Forschungsinstituts prinzipiell möglich. Am Unfalltag wurden beide Hubschrauber am Vormittag dort betankt. Bei der Gewichtsberechnung wurde die Besatzung und jeder Passagier inklusive seiner persönlichen Ausrüstung, dem Überlebensanzug und der Schwimmweste mit 85 kg berücksichtigt.

Luftrechtliche und Unternehmensvorgaben für die Flugvorbereitung

Grundlage für den Betrieb von zivilen Hubschraubern zum Zwecke der gewerbsmäßigen Beförderung in Luftfahrtunternehmen mit Hauptniederlassung in einem JAA-Mitgliedsstaat waren die Bestimmungen nach JAR-OPS 3. Diese beschrieben u.a. im Abschnitt D in 3.255 – Kraftstoff – die in der zu berücksichtigenden Aufschläge und Reserven.

Im Operational Manual, Part A, Kapitel 8.1.7 ff – Bestimmung der mitzuführenden an Kraftstoff-, Öl- und Wasser/Methanolvorräte (JAR-OPS 3.225, 3.350) – des Unternehmens waren die Aufschläge bzw. Reserven für die Flugplanung ebenfalls aufgeführt: Taxi Fuel, Trip Fuel, Contingency Fuel, Alternate Fuel, Final Reserve Fuel, Additional Fuel and Extra Fuel.

In der SOP, Kapitel 2.9 – Betankung – wurde bei der Kraftstoffberechnung Trip Fuel, eine Reserve im Ermessen des Kommandanten, bei Außenlastflügen in Schiffsnähe mit Zustimmung des FaB ggf. eine Reserve von weniger als 20 Minuten und eine Zusatzreserve von 10 Prozent gefordert.

In JAR-OPS 3.620 – Massewerte für Fluggäste und Gepäck – wurden je nach maximal möglicher Passagierplatzzahl des verwendeten Hubschraubers Standardgewichte bei der Flugplanung vorgegeben. Im Falle eines Hubschraubers mit 1-5 Fluggastsitzen waren für männliche Passagiere 98 kg, Handgepäck 6 kg und für einen Überlebensanzug 3 kg zu berücksichtigen.

Nach dem Operational Manual des Unternehmens, Part A, Kapitel 8.1.8.1.1 – Grundlagen für die Berechnung – wurden Fluggäste grundsätzlich mit einem Gewicht von 85 kg berücksichtigt. Das mögliche Handgepäck sollte mit dem tatsächlichen Gewicht dazugerechnet werden.

Zusätzliche Informationen

In den Polregionen, wie auch im Hochgebirge, kann es neben dem Orientierungsverlust durch Schneefall bzw. aufgewirbelten Schnee über schneebedecktem Untergrund zu einem meteorologischen Phänomen kommen, dem so genannten "Whiteout". Als "Whiteout" wird eine kontrastlose Helligkeit bezeichnet, die z.B. durch diffuse Reflexion des Sonnenlichts über weitläufigen Schneeflächen bei dünner lichtdurchlässiger Bewölkung entsteht. Hierdurch können jegliche Kontraste und Konturen der Landschaft verloren gehen, was im Extremfall zur völligen Orientierungslosigkeit und Beeinträchtigung des Gleichgewichtssinnes führen kann. Bereits im Jahr 2008 verunfallte ein Bordhubschrauber des Forschungsschiffs "Polarstern" in der Atkabucht (BFU Az: 4X003-0/08).

Im Winterhalbjahr 2010 ereigneten sich mehrere Unfälle aufgrund von "Whiteout"-Bedingungen (BFU Az: 3X002-10, 3X005-10, 3X007-10).

Aufgrund der Unfallhäufigkeit in Gebieten mit schneebedecktem Untergrund hat die amerikanische Luftfahrtbehörde (Federal Aviation Authority (FAA)) im Jahr 2003 ihre Inspektoren angewiesen, alle Luftfahrtunternehmen, die unter Umgebungsbedingungen fliegen, in denen diffuse Lichtverhältnisse bzw. "Whiteout"-Bedingungen herrschen könnten, auf die möglichen Gefahren und mögliche Gegenmaßnahmen hinzuweisen.

Zusätzlich sollten die Inspektoren darauf achten, dass in den genehmigten Trainingsprogrammen der Unternehmen geeignete Verfahren beschrieben wurden, um "Whiteout"- bzw. unvorhergesehene Instrumentenflugwetter-Bedingungen sicher verlassen zu können. Zusätzlich veröffentlichte die FAA einen Beitrag (FAA-P-8740- 68(AFS-803[2002]) im Aviation Safety Program und erstellte einen Lehrfilm, jeweils mit dem Titel "Flying in Flat Light and White Out Conditions".

Besatzung

Die beiden Piloten waren für die Flugvorhaben entsprechend den bestehenden Vorschriften lizenziert und qualifiziert. Beide Piloten verfügten über eine hohe Anzahl von Flugstunden und eine große Mustererfahrung bei einem gleichzeitig hohen Übungsstand. Erfahrungen mit den Besonderheiten des Flugbetriebs in arktischen Bereichen hatten beide auf den vorangegangenen Expeditionen gesammelt. Beide Piloten waren jedoch nicht im Besitz einer Instrumentenflugberechtigung. Erfahrung mit Flügen unter Instrumentenflugbedingungen wäre aus Sicht der BFU vorteilhaft, da in den arktischen Regionen jederzeit die Gefahr besteht "Whiteout"-Bedingungen anzutreffen.

Publikationen über das "Whiteout"-Phänomen verweisen darauf, dass Besatzungen, die in "Whiteout"-Bedingungen einfliegen in den Instrumentenflug wechseln sollen, vergleichbar dem Einflug in Wolken bzw. einem Nachtflug ohne Horizontsicht und fehlenden Lichtquellen am Boden, um die "Whiteout"-Bedingungen zu verlassen. Hierzu wäre eine Instrumentenflugberechtigung und entsprechende Luftfahrzeugausstattung unumgänglich.

Luftfahrzeuge

Die Hubschrauber waren zugelassen und für Flüge über See ausgerüstet. Zum Zeitpunkt der Starts vom Forschungsschiff wurden die Hubschrauber im Bereich der maximal zulässigen Abflugmasse betrieben. Die Piloten beschrieben keine technischen Probleme.

Das verwendete Hubschraubermuster verfügte über keine Zulassung für Flüge in Vereisungsbedingungen. Laut den Wetterwarnungen war jedoch zumindest zeitweise und vor allem in den Schneeschauern Vereisung möglich. Zum Unfallzeitpunkt flogen die Hubschrauber in einem Schneeschauer.

Wetter

Die Großwetterlage zeigte eine heranziehende Front, die nach dem Eintreffen über Tage keine geeigneten Bedingungen für den Flugbetrieb erwarten ließ. Das Wetter am Unfalltag war schnell wechselnd. Von guten Flugbedingungen am Vormittag bis zum frühen Nachmittag verschlechterte sich das Wetter mit der Annäherung eines Frontensystems in kurzer Zeit. Bereits ab 16:50 UTC traten im Bereich der Neumayer-III-Station Schneeschauer auf. In den Schauern waren die Bedingungen ungeeignet für einen weiteren Flugbetrieb. Die Piloten erhielten eine Wetterberatung vor den ersten Flügen des Tages zur Anlegeplatzerkundung.

Eine Warnung, dass das Frontensystem schneller heranzieht als vorhergesagt, erhielten sie z.B. über Funk nicht. Erst nachdem sich das Wetter bereits verschlechtert hatte, nahmen die Piloten vom Boden aus mit Hilfe eines Telefons Kontakt zu den Wetterberatern auf. Zu diesem Zeitpunkt waren die Bedingungen zeitweise unterhalb der Mindestvorgaben im Operational Manual (OM).

Der Versuch, trotz des schlechten Wetters mit den Hubschraubern die schützende Station bzw. das Forschungsschiff zu erreichen, ist verständlich. Jedoch widersprachen die Flüge den vorgegebenen und bindenden Verfahren im OM. Die Besatzungen erreichten in schlechten Flugbedingungen einen Bereich, aus dem alle Personen bodengestützt hätten verbracht werden können.

Besonderheiten in Polregionen nicht berücksichtigt

Die Wettermindestvorgaben der SOP sind aus Sicht der BFU zum Teil grenzwertig. Sie spiegeln die bestehenden Mindestwerte nach JAR-OPS 3.465 und Anhang 2 zu JAR-OPS 3.465 wider. Hierbei wurden jedoch die örtlichen Besonderheiten in der Arktis bzw. Antarktis außer Acht gelassen. In der SOP sind so geringe Wolkenhöhen und Sichtwerte für Flüge zugelassen, sodass keine Spielräume für eventuelle Wetterverschlechterungen mehr vorhanden sind.

Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass es in den Polregionen eine im Vergleich zu Westeuropa geringere Anzahl von Wettermeldestationen gibt und es nicht jederzeit möglich ist, Sicherheitslandungen durchzuführen bzw. überall kurzfristig Hilfeleistung zu erwarten. Die Vorgabe der grundsätzlichen Sicherheitsmindesthöhe von 500 ft AGL laut dem Kapitel 1.5.4 "Einsatzgrundsätze" der SOP stand im Widerspruch zu den Angaben im Kapitel 1.7.

Organisation

Die Untersuchung der Unfälle ergab aus Sicht der BFU Ungereimtheiten in Bezug auf die Organisation, die Flugvorbereitung und Durchführung der Flüge am Unfalltag bzw. den Flugbetrieb auf dem Forschungsschiff.

Bei der Flugauftragserteilung gab es Kommunikationsdefizite, die dazu führten, dass der Kapitän nicht über den Einsatz der Bordhubschrauber am Nachmittag für die Wissenschaftler informiert war.

Während der Forschungsflüge war entgegen der SOP der Leitstand für den Flugbetrieb nicht besetzt und somit die Flugüberwachung nach der SOP nicht gegeben bzw. eingeschränkt: Alle Personen des Unternehmers, die drei Piloten und auch die Mechaniker waren an Bord der Hubschrauber.

Bei der Kraftstoffberechnung in der Flugplanung wurden 20 Minuten Reservekraftstoff und 10 Prozent Contingency Fuel entsprechend der SOP berücksichtigt. Dies entsprach nicht den gesetzlichen Vorgaben nach JAR-OPS 3.255 und auch nicht den vorgegebenen Verfahren im Operation Manual in vollem Umfang. Zumindest hätten eine Ausweichkraftstoffmenge von 10 Prozent und ein zusätzliche Kraftstoffmenge aufgrund der möglichen Wetterverschlechterung und Zeitverzögerungen bei den durchzuführenden wissenschaftlichen Arbeiten bei laufenden Triebwerken berücksichtigt werden müssen.

Außerdem hätte die Endreserve auf 30 Minuten erhöht werden müssen, da die Flüge über so genannten schwierigen Umgebungsbedingungen (hostile envirement) und zum Teil außerhalb der Sichtweite von Landmarken erfolgten. Weiterhin wurde bei der Flugplanung festgestellt, dass unter Berücksichtigung der Reserven mehr Kraftstoff benötigt wurde als sich maximal an Bord des Hubschraubers befand. Dennoch wurden die Flüge angetreten. Die auf den Flugaufträgen als Vermerk angegebene Betankung an der Neumayer-III-Station war zwar prinzipiell gegeben und wurde am Vormittag mit beiden Hubschraubern auch jeweils einmal durchgeführt. Nicht berücksichtigt wurde die Tatsache, dass die Station nicht verlässlich in jedem Fall angeflogen werden kann, wie der abgebrochene Anflug am Nachmittag aufgrund von "Whiteout"-Bedingungen zeigte.

Bei der Gewichtsberechnung bei der Flugplanung wurden die Personen an Bord des Hubschraubers mitsamt Handgepäck und Überlebensanzug mit je 85 kg berücksichtigt. Dies stand im Widerspruch zu den Vorgaben nach JAR-OPS 3.620, nach denen z. B. für weibliche Passagiere 80 kg, für männliche Passagiere 98 kg und ggf. 3 kg für den Überlebensanzug zu berücksichtigen waren, und dem OM des Unternehmens, wonach zumindest bei den Passagieren die Zusatzausrüstung hätte gewogen und dazugerechnet werden müssen. Unter Berücksichtigung der Betriebsleermassen der Hubschrauber gemäß den Wägeberichten, der Notschwimmerausrüstung und der vollen Kraftstofftanks ergaben sich 501 kg bzw. 497 kg Nutzlast für die vier bzw. fünf Personen an Bord in Überlebensanzügen und der wissenschaftlichen Ausrüstung.

Eine sichere Notlandung im Einmotorenbetrieb auf dem Deckslandeplatz des Forschungsschiffs im Falle einer Triebwerksstörung beim Start bzw. der Landung war mit einem Fluggewicht nahe der maximal zulässigen Flugmasse nicht gewährleistet. Der Pilot des vorausfliegenden Hubschraubers (Nr. 1) war zugleich der Flugbetriebsleiter an Bord für diese Expedition. In der SOP des Luftfahrtunternehmens war er nicht für diese Funktion benannt. Erst nach der Expedition war er der Aufsichtsbehörde für diese Funktion gemeldet worden.

Die verspäteten Unfallmeldungen an die BFU entsprachen nicht den Forderungen des § 5 Luftverkehrs-Ordnung, nach dem Ereignisse unverzüglich der BFU von der Besatzung bzw. dem Halter zu melden sind.

Schlussfolgerungen

Beide Unfälle sind auf einen Verlust der Wahrnehmung der Fluglage in "Whiteout"-Bedingungen zurückzuführen.

Dazu beigetragen haben:

  • Das sich schnell verschlechternde Wetter mit Schneeschauern
  • Der konturlose verschneite bzw. vereiste Untergrund
  • Fehlende Informationen der Piloten über die schneller als vorhergesagt heranziehende Front
  • Die Entscheidung, trotz sicherer Landung in einem bodengebunden erreichbaren Bereich, den Flug bis zum Anlegeplatz fortzusetzen

Sicherheitsempfehlungen

Aus Anlass der Unfälle überarbeitete das betroffene Luftfahrtunternehmen die Standard Operation Procedure (SOP) für den Flugbetrieb auf dem Forschungsschiff "Polarstern" und für Operationen in der Arktis bzw. Antarktis. Unter anderem wurden hierbei die Verfahren der Flugauftragserteilung erweitert bzw. ausführlich beschrieben und die Zuständigkeiten bei der Flugauftragsdurchführung festgelegt bzw. die Durchführung beschrieben. Für die Ermittlung der Passagiergewichte wurden die Vorgaben in JAR-OPS 3 übernommen.

Weiterhin beschloss das betroffene Unternehmen laut internem Luftsicherheitsbulletin 1/2012 folgende Maßnahmen, die sofort bzw. schnellstmöglich umgesetzt werden sollen:

  • Ein einsatzortspezifisches Crew Resource Management(CRM)-Training für alle vorgesehenen Luftfahrzeugführer und Techniker auf dem Forschungsschiff "Polarstern"
  • Ein spezifisches Instrumentenflug(IR)-Simulator-Training mit anschließendem IR-Flugtraining auf dem Einsatzhubschrauber. In Zukunft sollen nur noch Luftfahrzeugführer mit einer IR-Berechtigung in den Polregionen zum Einsatz kommen
  • Die Anschaffung von zusätzlichen kleinen Survival-Packs, die eine Übernachtung im/am Hubschrauber ermöglichen
  • Die Anschaffung von Helmen, auch für Passagiere, um die Arbeitssicherheit im und um den Hubschrauber herum (mit laufendem Rotor wartend) zu erhöhen
  • Die Festlegung von Kommunikationsregeln, damit sichergestellt ist, dass allen Beteiligten vor der Auftragsdurchführung sämtliche relevanten Fakten bekannt sind
  • Zusätzlich zur theoretischen Einweisung "Überleben im Eis" haben alle für einen Einsatz in Polregionen vorgesehenen Mitarbeiter des betroffenen Unternehmens an einem Praxistraining im Hochgebirge (Gletscher) teilzunehmen
  • Weiter soll der bereits vorhandene Pilot Information Folder (PIF) auf dem Schiff um Angaben zu bekannten ausgeprägten Eisspalten und erfahrenen Piloten bekannte sonstige örtliche Besonderheiten ergänzt werden. Die Kenntnisnahme des PIF ist vor der Aufnahme des Flugbetriebs Pflicht und zu dokumentieren.

Aufgrund dieser weit reichenden Maßnahmen des betroffenen Luftfahrtunternehmens sah die BFU von Sicherheitsempfehlungen ab.

Untersuchungsführer: Axel Rokohl , 27. November 2012

Quelle: BFU