Die NASA wird in diesem Jahr mit der Mission Artemis I nach fast 50 Jahren erstmals wieder ein Raumschiff zum Mond schicken. Nun sind die ersten beiden Passagiere Helga und Zohar auf dem Weg zur NASA nach Florida. Für den unbemannten Testflug werden die „Messpuppen-Zwillinge“ im Cockpit der Orion-Kapsel sitzen. Das vom Deutschen Zentrum für Luft– und Raumfahrt (DLR) geleitete MARE Experiment untersucht mit zwei baugleichen Phantomen die Strahlenbelastung während des gesamten bis zu sechswöchigen Fluges, speziell zugeschnitten auf den weiblichen Körper. Denn die NASA plant mit den Artemis-Flügen die erste Frau zum Mond zu schicken.
Forschende des Kölner DLR-Instituts für Luft– und Raumfahrtmedizin haben das Experiment erfolgreich vorbereitet und für den Einbau am Kennedy Space Center (KSC) der NASA nun ausgeliefert. Teil des Experiments ist auch eine Strahlenschutzweste, die erprobt wird. Der Start von Artemis I ist derzeit für den Sommer 2022 geplant. Der Aufbau und Einbau der Messpuppen soll rund vier Wochen vor dem eigentlichen Start beginnen.
Außerhalb des schützenden Erdmagnetfelds ist die Strahlenbelastung für den menschlichen Organismus deutlich erhöht. Der weibliche Körper reagiert darauf wegen strahlungsempfindlicher Organe wie der weiblichen Brust noch empfindlicher als der männliche Körper. Insgesamt ist die Strahlung eine der größten Herausforderungen für längere astronautische Missionen ins tiefere Weltall bis hin zum Mars. „Mit MARE, dem größten je außerhalb der Erdumlaufbahn geflogenen Strahlungsexperiment, wollen wir herausfinden, wie genau sich die Strahlungswerte während eines vollständigen Mondfluges für Astronautinnen verhalten und welche Strahlenschutzmaßnahmen dagegen hilfreich sein können“, sagt Dr. Thomas Berger, Leiter der Arbeitsgruppe Biophysik in der Abteilung Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. „In den vergangenen Wochen und Monaten haben wir Helga und Zohar an den DLR-Standorten in Köln und Bremen vollständig durchgecheckt unter anderem mit Tests zu Auswirkungen der Vibrationen beim Start der Mission Artemis I. Weiterhin haben wir einen vollständigen Testlauf des Aufbaus der Messpuppen durchgeführt, damit später am Kennedy Space Center alles reibungslos verläuft.“
Die „Messpuppen-Zwillinge“ sind weiblichen Körpern nachempfunden. Frauen haben ein allgemein höheres Krebsrisiko und darum gelten für Astronautinnen stets andere Strahlungsgrenzwerte als für ihre männlichen Kollegen. Geschlechtsspezifische Messungen mit Phantomen im All gab es bislang nicht. „Genauer sind beide Puppen aus Materialien hergestellt, die die menschlichen Knochen, Weichteile und Organe einer erwachsenen Frau nachahmen. Mehr als 10.000 passive Sensoren und 34 aktive Strahlungsdetektoren sind in die 38 Scheiben integriert, aus denen die Puppen zusammengesetzt sind“, erklärt MARE-Projektleiter Dr. Thomas Berger. Beide Phantome sind 95 Zentimeter groß und 36 Kilogramm schwer. Eine von ihnen – Helga – fliegt ungeschützt zum Mond, die andere – Zohar – trägt eine neu entwickelte Strahlenschutzweste, AstroRad genannt. Im Vergleich der beiden Datensätze lässt sich dann ermitteln, in welchem Ausmaß die von israelischen Partnern entwickelte Weste eine Astronautin vor schädlicher Strahlenbelastung schützen würde.
Kosmische Strahlung im All
Die Erdatmosphäre und die Abschirmung des Erdmagnetfelds schützen uns vor dem größten Teil der Strahlung im Universum, einschließlich der Strahlung unserer Sonne. Wenn Astronauten die Erde verlassen, sind sie dem gesamten Spektrum der im Weltraum vorhandenen Strahlung ausgesetzt. Das Orion-Raumschiff wird in den ersten Stunden nach dem Start und bei der Rückkehr zur Erde zwei Perioden intensiver Strahlung durchlaufen, wenn es durch die Van-Allen-Gürtel fliegt, welche die vom Magnetfeld der Erde eingefangene Weltraumstrahlung beherbergen.
Wenn Orion über den Schutz des Erdmagnetfelds hinausfliegt, wird es einer härteren Strahlungsumgebung ausgesetzt sein als die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS in der erdnahen Umlaufbahn. Außerhalb der Van-Allen-Gürtel umfasst die Strahlungsumgebung im Weltraum energetische Teilchen, die von der Sonne bei Sonneneruptionen erzeugt werden, sowie Teilchen der galaktischen und extragalaktischen kosmischen Strahlung, die von außerhalb unseres Sonnensystems kommen.
„Die kosmische Strahlung ist eine besondere Herausforderung bei längeren Missionen im freien Weltraum, denn sie sorgt fortwährend für ein gewisses Level an energiereichen ionisierten Teilchen“, erklärt PD Dr. Christine Hellweg, Leiterin der Abteilung Strahlenbiologie am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. „Die Vielfalt der Teilchen in der kosmischen Strahlung reicht von Wasserstoff bis Eisen und weiter bis zum Uran.“
Anthropomorphe Phantome messen Strahlung
Helga und Zohar sind sogenannte anthropomorphe Phantome, dem menschlichen Torso nachempfundene Messkörper. Mit ihnen hat das DLR bereits viel Erfahrung: Zuletzt war ein Phantom, genannt Matroshka, des Kölner DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin zwischen 2004 und 2011 auf der ISS im Einsatz. Außen auf der ISS angebracht, sammelte das Phantom Strahlungswerte eines Astronauten, der einen Weltraumspaziergang absolviert. Außerdem hielt sich das Phantom in verschiedenen Teilen der Raumstation auf, um die Strahlenbelastung zu messen.
„Die Astronautinnen und Astronauten auf der Station sind einer Strahlenbelastung ausgesetzt, die etwa 250-mal höher ist als die der Menschen auf der Erde – in Köln. In größerer Entfernung vom Erdmagnetfeld und im interplanetaren Raum könnte die Strahlenbelastung bei Erkundungsmissionen noch viel höher sein – schätzungsweise bis zu 700 Mal höher“, erklärt Berger.