Wie lässt sich die Qualität der Schwerelosigkeit auf Forschungsraketen verbessern? Dieser Frage geht ein Team von Studenten der FH Aachen auf der Forschungsrakete REXUS 11 nach. Die Rakete des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) startete am 16. November 2012 um 11:45 Uhr Mitteleuropäischer Zeit vom Raumfahrtzentrum Esrange bei Kiruna in Nordschweden. Neben einem zweiten deutschen Experiment von Studenten der TU Dresden waren Versuche von Teams aus Irland, Schweden und der Schweiz mit an Bord.
Auf seinem Flug erreichte REXUS 11 eine Höhe von etwa 79 Kilometern. Dabei herrschte für etwa zwei Minuten Schwerelosigkeit. Nach der Landung am Fallschirm wurde die Nutzlast von einem Hubschrauber geborgen und zur Raketenbasis zurückgebracht, wo die Studenten mit der Auswertung der Daten beginnen können.
Experimenten-Plattform zu Schwerelosigkeit und Orientierung
Studierende der FH Aachen wollen mit ihrem Experiment ADIOS (Advanced Isolation on Sounding Rockets) die Schwerelosigkeitsforschung auf Höhenraketen verbessern. Während eines Fluges treten Vibrationen auf, die durch die Raketensysteme und Experimentapparaturen verursacht werden. Diese Schwingungen übertragen sich auf sämtliche Experimente und beeinträchtigen so die optimale Wirkung der Schwerelosigkeit.
Um diese Übertragung zu reduzieren, haben die Nachwuchswissenschaftler eine kostengünstige Plattform entwickelt, bei der die Experimentkammer während der Schwerelosigkeitsphase des Raketenflugs frei schwebt. So wollen sie eine durchschnittliche Dämpfung der Vibrationen um 90 Prozent erreichen. ADIOS stellt eine Weiterentwicklung des VibraDamp-Experiments dar, das im März 2007 auf der REXUS-7-Rakete geflogen war.
Das Experiment CaRu (Experiment on Capillarity under Microgravity shown with Runge Pictures) vom Team der TU Dresden bringt während der Schwerelosigkeits-Phase des Fluges in einer Druckkammer eine Flüssigkeit auf stark saugfähiges Papier auf.
Wie breitet sich die Flüssigkeit aus? Gibt es Unterschiede zum Verhalten unter Schwerkraft? Läuft die Reaktion beispielsweise schneller ab? Diese Fragen will CaRu beantworten. Das sichtbare Ergebnis – unregelmäßige Kreise, die sich durch ihre Farbgebung unterscheiden – werden dabei von einer hochauflösenden Kamera aufgezeichnet.
Sowohl die Experimente Telescobe als auch GGES (Gravity Gradient Earth Sensor) demonstrieren neuartige Technologien. Während Telescobe vom Team des Dublin Institute of Technology einen Teleskoparm ausfahren wird, auf dem Messungen in zwei Metern Entfernung von der Rakete vorgenommen werden können, testet GGES, das Experiment von Studenten der EPFL Lausanne Sensoren zur Bestimmung der Ausrichtung der Rakete im Raum. Diese Sensoren können zukünftig auf Satelliten verwendet werden.
Die Gruppe von der KTH Stockholm geht mit ihrem Experiment RAIN (Rocket Deployed Atmospheric Probes Conducting Independent Measurements in Northern Sweden) sogar noch einen Schritt weiter, um Daten außerhalb der Rakete zu sammeln. Zwei eigenständige mit Fallschirmen ausgerüstete Messflugkörper werden während des Fluges abgeworfen um Feinstäube in der Luft zu sammeln.
Planeten- und Raketenforschung auf REXUS 12
Der Flug von REXUS 11 musste wegen eines technischen Problems beim Fallschirmsystem verschoben werden. Die Schwesterrakete REXUS 12 war bereits am Montag, 19. März 2012 mit vier Experimenten zur Vibrationsmessung, Technik-Erprobung und Planetenforschung gestartet.
Das Experiment SPACE (Suborbital Particle Aggregation and Collision Experiment) vom Team der Technischen Universität Braunschweig filmte während des Fluges das Verhalten von Staubkörnern in Schwerelosigkeit. Stoßen die Staubteilchen zusammen, so haften sie unter bestimmten Bedingungen aneinander und bilden Klumpen.
Dieser Vorgang wird heute als wesentlicher Prozess für das Wachstum von Planeten angesehen. Ziel der Studenten war es, die Vorgänge unter Weltraumbedingungen zu erforschen und zu dokumentieren. Nach dem erfolgreichen Experiment arbeitet das Team inzwischen an einem weiteren Raketenexperiment, das mit der STIG-B-Rakete der amerikanischen Firma Armadillo in den nächsten Wochen starten soll.
Das Experiment SOMID (Solid-born Sound Measurement for the Independent Detection of Nominal and Non-Nominal Events on Space Vehicles) von Studenten der Universität der Bundeswehr in München maß mit Hilfe von vier hochsensiblen Sensoren die Vibrationen, die in der Raketenstruktur während des Fluges auftreten.
Da sich das Schwingungsverhalten von intakten und defekten Bauteilen unterscheidet wollten sie so die Funktionsfähigkeit verschiedener Komponenten überprüfen. Ein Mitglied des SOMID-Studententeams, Andreas Winhard, hat mit der Präsentation des Experiments und seiner Ergebnisse auf der Studentenkonferenz des 63rd International Astronautical Congress 2012 in Neapel den zweiten Platz in der Kategorie „Graduate Students“ belegt und die Hermann-Oberth Silbermedaille gewonnen.
Mit Schaum gegen den Weltraumschrott
Mit an Bord war auch das Experiment REDEMPTION (Removal of Debris using Material with Phase Transition Ionospherical tests) von Studenten der Universität Bologna zur Erforschung des Verhaltens von Zweikomponentenschaum in Schwerelosigkeit. Mit seiner Hilfe sollen in Zukunft kleinere Partikel des im All umherfliegenden Weltraumschrotts eingeschlossen und dabei unschädlich gemacht werden.
Mit Suaineadh – der Name ist gälischen Ursprungs und bedeutet „drehen“ – erprobten Studenten der Universitäten Glasgow, Strathclyde und der KTH Stockholm die Entfaltung eines 2 x 2 Meter großen Netzes im Weltraum mit Hilfe der Zentrifugalkraft. Derartige Konstruktionen sparen beim Raketenstart Platz und Gewicht und könnten in Zukunft herkömmliche Strukturen für Weltrauminfrastruktur ergänzen.
REXUS und BEXUS: Forschungsprogramm für den Nachwuchs in der Raumfahrt
Das Deutsch-Schwedische Programm REXUS/BEXUS (Raketen-/Ballon-Experimente für Universitäts-Studenten) ermöglicht Studenten, eigene praktische Erfahrungen bei der Vorbereitung und Durchführung von Raumfahrtprojekten zu gewinnen. Ihre Vorschläge für Experimente können jährlich im Herbst eingereicht werden. Jeweils die Hälfte der Raketen- und Ballon-Nutzlasten stehen Studenten deutscher Universitäten und Hochschulen zur Verfügung. Die schwedische Raumfahrtagentur SNSB hat den schwedischen Anteil für Studenten der übrigen Mitgliedsstaaten der Europäischen Weltraumorganisation ESA geöffnet.
Die deutschen REXUS-Experimente werden vom DLR Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen betreut. Die Flugkampagnen führt EuroLaunch durch, ein Joint Venture der Mobilen Raketenbasis des DLR (MORABA), das für die technische Betreuung der Raketensysteme zuständig ist, und des Esrange Space Center des schwedischen Raumfahrtunternehmens SSC, das die Startinfrastruktur zur Verfügung stellt. Die programmatische Leitung erfolgt durch das Raumfahrtmanagement des DLR in Bonn.