Indien hat versucht, Raumfahrtgeschichte zu schreiben. Zwischen 21:30 Uhr und 22:00 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit sollte die anderthalb Tonnen schwere Landesonde Vikram auf dem Mond aufsetzen.
Die Landestelle liegt im Süden der von der Erde sichtbaren Hemisphäre des Mondes auf einer Ebene zwischen den Kratern Manzinus C und Simpelius N, in einer Entfernung von nur 500 Kilometern vom Südpol. Aus technischer Sicht ist die Landung in der Nähe des Mond-Südpols besonders anspruchsvoll. Doch sie scheint gescheitert zu sein. Zu dem Lander gibt es keinen Kontakt mehr. Indien wäre bei einer erfolgreichen Landung die vierte Nation, der eine kontrollierte Mondlandung gelänge.
„Die indische Mission Chandrayaan-2 mit Orbiter, Landemodul und einem Mondrover ist hochkomplex und bereits mit dem Erreichen der Mondumlaufbahn ein großartiger Erfolg, zu dem wir unseren indischen Kollegen nur gratulieren können“, betont Professor Hansjörg Dittus, DLR-Vorstand für Raumfahrtforschung und -technologie. Chandrayaan-1 war eine gelungene Demonstration der technischen und wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit des ehrgeizigen indischen Raumfahrtprogramms. Insgesamt waren 13 Experimente für die Mondforschung geplant.
Rover „Weisheit“ für Mond-Tag
Schon wenige Stunden nach der Landung, zwischen 05:30 Uhr und 06:30 Uhr MESZ, sollte ein kleines, 27 Kilogramm schweres Mondfahrzeug mit dem Namen Pragyan (Sanskrit für „Weisheit“) von Vikram auf die Mondoberfläche rollen und mit der wissenschaftlichen Erkundung der Landestellenumgebung beginnen. Pragyan sollte einen Mond-Tag, also etwa zwei Wochen, aktiv sein; an der Landestelle ging bei aktuell zunehmendem Mond heute die Sonne auf. Vikram ist nach dem „Vater“ des indischen Weltraumprogramms, Vikram Sarabhai (1919 bis 1971) benannt, Chandrayaan bedeutet Mondfahrzeug.
Der sechsrädrige Rover hätte sich bis zu 500 Meter vom Landeplatz auf dem Mond entfernen sollen. Neben Kameras befinden sich auf der stationären Landesonde Vikram ein Experiment zur Aufzeichnung von Mondbeben, eine Sonde zur Messung der Mond-Ionosphäre und ein Radiometer zur Bestimmung der thermischen Leitfähigkeit und des Tiefengradienten.
Als passives Experiment führt Vikram einen Laser-Retroreflektor mit, der von der Erde mit Laserstrahlen angepeilt werden kann. Aus der Laufzeit der Laserpulse lassen sich die um etwa dreieinhalb Zentimeter pro Jahr zunehmende Entfernung des Mondes von der Erde sowie seine Rotations- und Taumeleigenschaften besser bestimmen – ein Experiment, das bereits in der Apollo-Ära sehr erfolgreich durchgeführt wurde. Auf dem Rover Pragyan befindet sich ein Alphateilchen-/Röntgenspektrometer zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der Landestelle und ein Spektroskop zur Messung der Elementhäufigkeiten.
„Gewaltiger Sprung“ für indische Raumfahrt – mit Fehlschlag?
Bei einer erfolgreichen Landung wäre Indien nach der ehemaligen UdSSR, den USA und China das vierte Land, dem eine kontrollierte, weiche Landung auf dem Mond gelänge. Zuletzt setzte am 02. Januar 2019 die chinesische Mondsonde Chang’e-4 auf der erdabgewandten Seite des Mondes auf und erkundet dort mit dem kleinen robotischen Fahrzeug Yutu („Jadehase“) den Krater Von Kármán. Ein Versuch Israels mit der Raumsonde Beresheet scheiterte ebenfalls kurz vor der Landung im April 2019.
Der an der Mission beteiligte indische Wissenschaftler Dr. Rishitosh K. Sinha bezeichnete die Landung von Vikram in Anlehnung an Neil Armstrongs vor 50 Jahren auf dem Mond ausgesprochenen Satz als einen „gewaltigen Sprung für die Indische Weltraumorganisation“. Chandrayaan-2 ist nach dem ersten indischen Mondorbiter Chandrayaan-1 (2008 bis 2009) die zweite indische Mondmission. Chandrayaan-2 startete am 22. Juli vom Satish Dawan-Weltraumzentrum bei Sriharikota im Südosten des indischen Subkontinents.
Der Transfer zum Mond erfolgte aus einer hochelliptischen Erdumlaufbahn. Vier Wochen später, am 20. August 2019, wurde Chandrayaan-2 von der Schwerkraft des Mondes „eingefangen“ und in einen wiederum hochelliptischen Mondorbit gelenkt, dessen mondfernster Punkt in der Folgezeit abgesenkt wurde. Am 2. September wurde die Landesonde von Chandrayaan-2 abgetrennt und absolvierte erfolgreich zwei Steuermanöver, die das Modul in einen elliptischen Orbit von 101 Kilometern mal 35 Kilometern über der Mondoberfläche lenkten. Alle Systeme arbeiten laut ISRO wie vorgesehen.
DLR-Planetengeodäsie berechnete Topographie der Landestelle
Die Forschergruppe von Prof. Jürgen Oberst am DLR-Institut für Planetenforschung und der Technischen Universität Berlin hat die voraussichtliche Landestelle von Vikram auf Bildern der Kamera LROC NAC (Narrow Angle Camera) auf dem Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) der NASA genau betrachtet und anhand der Bilder ein hochgenaues Digitales Geländemodell (DGM) mit einer Bodenpixelgröße von 1,5 Metern berechnet.
Das DGM zeigt die Topographie in einer 15 Kilometern mal 8 Kilometern großen „Landeellipse“, dem voraussichtlichen Landegebiet bei 71 Grad südlicher Breite und 23 Grad östlicher Länge. Die „Berliner Planetengeodäsie“ an DLR und TU Berlin genießt international große Anerkennung und ist unter anderem spezialisiert auf die Berechnung topographischer 3D-Modelle und Karten von Landestellen auf Mond und Mars.
Mondlandung aus Indien auf den Bildern
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Technischen Universität Berlin haben aus Stereobilddaten der NASA-Raumsonde Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) ein digitales Geländemodell der Landestelle von Vikram berechnet. In blauen Farbtönen sind die am tiefsten gelegenen Gebiete dargestellt, in rot die höchsten: Die maximale Höhendifferenz beträgt 750 Meter (+ 512 Meter bis + 1259 Meter. Das Bezugssystem für die Höhenangaben ist eine ‚Mondkugel‘ mit einem Radius von 1.737,4 Kilometern).
Die Erhebungen um die vorgesehene Landestelle haben also etwa „Mittelgebirgscharakter“. Das digitale Geländemodell hat eine Genauigkeit von 1,5 Metern pro Pixel. Norden ist im Bild rechts, die Ellipse der Landeregion hat eine Ausdehnung von 15 Kilometer mal acht Kilometer. Der weiße Punkt zeigt die angepeilte Landestelle.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Technischen Universität Berlin haben aus hochaufgelösten Bilddaten der NASA-Raumsonde Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) ein Bildmosaik der Landestellenumgebung von Vikram in einer Bildauflösung von 0,5 Metern pro Bildpunkt (Pixel) berechnet.
Norden ist im Bild rechts, die Ellipse der Landeregion hat eine Ausdehnung von 15 Kilometer mal 8 Kilometer. Der weiße Punkt zeigt die angepeilte Landestelle. LROC liefert seit zehn Jahren Bilder in höchster Auflösung aus der Mondumlaufbahn. Die Berliner Wissenschaftler arbeiten als „Participating Scientists“ im LROC-Team mit den Bilddaten und erstellen beispielsweise hochpräzise digitale Geländemodelle von früheren und zukünftigen Landestellen auf dem Mond.
Die Landesonde Vikram der indischen Mondmission Chandrayaan-2 soll in etwa 500 Kilometer Entfernung vom Südpol bei 70 Grad südlicher Breite und 23 Grad östlicher Länge auf der Mondvorderseite (links) aufsetzen. Noch nie ist eine Mondsonde kontrolliert so weit südlich gelandet. Am 31. Juli 1999 endete die Mission des NASA-Orbiters Lunar Prospector mit einem gezielten Aufschlag in einem Krater in der Nähe des Südpols.
„Weiche“ Landungen gelangen als erstes der ehemaligen UdSSR mit dem Programm Luna: Am 03. Februar 1966 landete Luna 9 kontrolliert auf der Mondoberfläche, gefolgt von fünf weiteren erfolgreichen Missionen, die dreimal auch Proben von Mondstaub zur Erde zurückbrachten. Das NASA-Programm Surveyor zur Vorbereitung der Apollo-Missionen konnte viermal auf dem Mond landen. Zwischen 1969 und 1972 gelangen sechs Landungen mit den Apollo-Mondfähren. China landete 2013 mit Chang’e 3 auf der Mondvorderseite und mit Chang’e 4 am 02. Januar 2019 erstmals auf der Mondrückseite. Weitere hier eingezeichnete Mondmissionen bedeuten (zum Teil gezielte) Abstürze von Sonden.