Der Mars ist ein seismisch aktiver Planet. Er bebt mehrmals täglich: zwar nicht besonders stark, aber doch deutlich messbar. Dies ist eines von vielen Ergebnissen der Auswertung von Messdaten der NASA-Landesonde InSight, die seit 2019 als geophysikalisches Observatorium auf der Marsoberfläche steht. Die Mission InSight wird vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) in Pasadena, Kalifornien, im Auftrag des Wissenschaftsdirektorats der NASA durchgeführt. Das DLR steuert zur Mission das Experiment HP³ (Heat Flow and Physical Properties Package) bei. Die wissenschaftliche Leitung liegt beim DLR-Institut für Planetenforschung. Der Betrieb von HP³ erfolgt durch das Nutzerzentrum für Weltraumexperimente (MUSC) des DLR in Köln. SEIS läuft unter Verantwortung der französischen Weltraumagentur CNES.
Mit dem Seismometer SEIS (Seismic Experiment for Interior Structure) konnten von Februar bis September 2019 insgesamt 174 seismische Ereignisse auf dem roten Nachbarplaneten aufgezeichnet werden. 20 dieser Marsbeben hatten eine Magnitude von 3 bis 4.
HP³: Mars im Inneren verstehen
In einer Serie von sechs Fachaufsätzen, zu denen auch acht Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Luft– und Raumfahrt (DLR) viele Beiträge geleistet haben, werden das Wetter und die atmosphärische Dynamik an der Landestelle, ihre geologische Umgebung, die Struktur der Marskruste so wie die Beschaffenheit und Eigenschaften der planetaren Oberfläche beschrieben.
Beben dieser Stärke entsprechen schwachen Beben, wie sie auf der Erde immer wieder inmitten von Kontinentalplatten auftreten, in Deutschland beispielsweise am Südrand der Schwäbischen Alb. Obwohl nur eine einzige Messstation zur Verfügung steht, konnte mit Hilfe von Modellen zur Wellenausbreitung im Marsboden der wahrscheinliche Herd zweier dieser Beben ermittelt werden: Er liegt in der Region Cerberus Fossae, einem jungen vulkanischen Gebiet etwa 1.700 Kilometer östlich vom Landeplatz.
„Wegen der höheren Schwerkraft konnte SEIS auf der Erde nur eingeschränkt getestet werden. Wir sind alle begeistert davon, wie empfindlich es tatsächlich ist“, freut sich Dr. Martin Knapmeyer vom DLR-Institut für Planetenforschung, der an der Auswertung der Daten von SEIS beteiligt ist. „Wir sehen auf dem Mars bisher eine seismische Aktivität, die deutlich stärker ist als die des Mondes. Das hatten wir auch so erwartet. Wie viel stärker sie tatsächlich ist und ob es auch stärkere Marsbeben als solche der Magnitude 4 gibt, wird sich im weiteren Verlauf der Mission noch herausstellen“, so die Einschätzung des DLR-Geophysikers.
Aber schon heute können wichtige neue Aussagen zum inneren Aufbau das Planeten getroffen werden: „Ähnlich wie auf dem Mond scheint die Kruste bis in eine Tiefe von einigen Kilometern stark zerrüttet zu sein – dennoch ähneln die seismischen Signale mehr denen, die wir auf der Erde registrieren als denen, die wir vom Mond kennen. Vieles muss also noch verstanden werden. So können wir bei einigen Marsbeben nicht erklären, wodurch sie entstehen. Da betreten wir wissenschaftliches Neuland.“ Die Mission wird noch mindestens das ganze Jahr 2020 fortgeführt und liefert kontinuierlich weitere Daten. „Bisher haben wir noch keine Meteoriteneinschläge registriert. Allerdings war im Voraus klar, dass wir während der Missionsdauer nur mit einzelnen Einschlägen rechnen können.“
InSight am „Puls“ des Roten Planeten
Es ist das erste Mal, dass ein Experiment zur Erfassung von Marsbeben auf unserem Nachbarplaneten solche Daten in größerem Umfang und über einen längeren Zeitraum liefert. Nach dem Mond ist der Mars erst der zweite Himmelskörper neben der Erde, auf dem natürliche Beben registriert wurden. Zwar wurde auch auf den ersten Sonden auf dem Mars, den Landeplätzen der legendären Sonden Viking 1 und 2, die im Juli 1976 gelandet waren, Instrumente für seismische Messungen eingesetzt. Diese befanden sich allerdings nicht direkt auf der Marsoberfläche, sondern auf der Landeplattform und lieferten nur „verrauschte“ Ergebnisse, die wegen störender Begleitsignale vor allem durch Wind nicht besonders aussagekräftig waren.
Nach ihrem Start am 05. Mai 2018 landete InSight am 26. November desselben Jahres in der Ebene Elysium Planum, viereinhalb Grad nördlich des Äquators und 2.613 Meter unterhalb des Referenzniveaus auf dem Mars. „Homestead Hollow“ – so taufte das InSight-Team die Landestelle, wobei homestead im Englischen eine Heimstätte (jetzt für InSight) bezeichnet und „hollow“ die geologische Bezeichnung für alte, von Sand und Staub gefüllte, flache und stark erodierte Krater ist. Homestead Hollow hat einen Durchmesser von 25 Metern. Die weitere Umgebung von InSight ist geologisch nicht besonders aufregend, aber genau das war eines der wichtigsten Kriterien bei der Auswahl der Landestelle: flach, eben, so wenig Felsen und Steine wie möglich. Die ganze Region besteht aus erstarrten Lavaströmen, die vor zweieinhalb Milliarden Jahren erstarrt sind und in der Folgezeit durch Meteoriteneinschläge und Verwitterung zu sogenanntem „Regolith“ zerkleinert wurde. Vermutlich gibt es bis in mindestens drei Meter Tiefe keine größeren Felsbrocken.
Magnetfeld stärker als erwartet
InSight, eine Mission der Discovery-Klasse der NASA, ist das erste rein geophysikalische Observatorium auf einem anderen Himmelskörper im Sonnensystem. Hauptziel ist die Untersuchung von Aufbau und Struktur des Mars, seiner thermischen Entwicklung und seinem jetzigen inneren Zustand und der aktuellen seismischen Aktivität. Kräfte und Energien im Inneren eines planetaren Körpers „steuern“ gewissermaßen über Jahrmilliarden die geologischen Prozesse, deren Ergebnisse an der Oberfläche sichtbar sind, beispielsweise Vulkanismus und tektonische Brüche in der starren Kruste.
Mit SEIS und der vom DLR beigestellten Geothermiesonde HP³ (Heat Flow and Physical Properties Package) sowie einem ganzen Paket von unterstützenden Instrumenten (APSS – die Auxiliary Payload Sensor Suite, bestehend aus Barometer, Windmessgerät, Magnetometer, zwei Kameras, dem HP³-Radiometer sowie RISE, dem Rotation and Interior Structure Experiment) nimmt InSight gewissermaßen den „Puls“ des Roten Planeten, misst Ungleichmäßigkeiten in seiner täglichen Rotation und zeichnet atmosphärische Parameter sowie das Wetter, an der Landestelle auf. Ein überraschendes Ergebnis war beispielsweise die Beobachtung, dass lokal ein Magnetfeld gemessen wurde, das zehnmal stärker ist, als es durch Beobachtungen aus dem Marsorbit vorhergesagt wurde. Dieses Magnetfeld wird durch magnetisierte Minerale im Gestein erzeugt. Die Magnetisierung stammt letztlich von einem planetenweiten Magnetfeld aus der Frühgeschichte des Mars.
Aufwändiges Seismometer für anderen Planeten
Noch vor dem Jahreswechsel 2018/2019 wurde das SEIS-Experiment auf der Marsoberfläche abgesetzt und nahm, geschützt vor Wind und Wetter durch seine charakteristische über das Instrument gestülpte Kuppel (genannt „Käseglocke“) sowie perfekt horizontal ausgerichtet durch ein am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen entwickeltes Nivellierungssystem, im Februar 2019 den Routine-Messbetrieb auf.
Das Experiment ist so empfindlich, dass nahezu jedwede kleine Veränderung an der Landestelle als Signal aufgezeichnet wird: Bewegungen des Roboterarms, Windböen, durch die Temperaturunterschiede hervorgerufener thermaler „Stress“ im Lander, oder natürlich auch die Erschütterungen des hämmernden Marsmaulwurfs direkt nebenan. SEIS kann Erschütterungen wahrnehmen, die den Marsboden vor Ort um weniger als die Größe eines Wasserstoffatoms auslenken. Aus diesem Grund wurden der tägliche Wetterverlauf, insbesondere die Aktivität des Windes und die extremen Schwankungen der Temperaturen im Tag- und Nacht-Rhythmus sowie die Erschütterungen durch den Hammer-Mechanismus des DLR-Experiments HP³ analysiert.
„Wir haben es an der Landestelle mit viel größeren Temperaturunterschieden als auf der Erde zu tun“, erklärt Dr. Nils Müller vom DLR-Institut für Planetenforschung, der die Wärmestrahlung vom Boden mit Hilfe des HP³-Radiometerexperiments analysiert hat. „Mittags erwärmt hier, nahe dem Marsäquator, die hochstehende Sonne den feinen Sand an der Oberfläche auf Temperaturen die an den meisten Tagen über dem Gefrierpunkt liegen, während die dünne Luft 10 bis 20 Grad Celsius kälter bleibt. Nachts sinken die Temperaturen aber dann bis auf minus 90 Grad Celsius und tiefer“.
Tagsüber entwickelt sich infolge der Temperaturzunahme immer ein ganz charakteristisches Wettermuster mit auffrischenden und nachmittags wieder nachlassenden Winden. Sogar die Spuren kleiner Windhosen haben die Wissenschaftler am Boden identifiziert, nachdem ihr Verlauf vom NASA-Orbiter MAVEN aus der Umlaufbahn aufgezeichnet wurde. Diese Windhosen können sogar den Marsboden ein wenig anheben, was vom Seismometer registriert wird. Das erlaubt Rückschlüsse auf Materialeigenschaften im unmittelbaren Untergrund. Nachts beruhigt sich das Wetter merklich, so dass das beste Zeitfenster für die Registrierung entfernter Marsbeben in der ersten Nachthälfte liegt, weil praktisch kein atmosphärisches Rauschen das Experiment beeinträchtigt.
HP³: Marsmaulwurf auf Abwegen
In die bisherige wissenschaftliche Bestandsaufnahme fließen auch Messungen und Beobachtungen des DLR-Experiments HP³ ein, wie beispielsweise die Radiometerdaten und die vom bisherigen Experimentverlauf abgeleiteten Bodeneigenschaften, wobei das Hämmern des Marsmaulwurfs unter anderem als seismische Quelle zur Analyse der oberen Bodenschicht diente. Allerdings war es bisher nicht möglich, mit der selbsthämmernden Thermalsonde tiefer als 38 Zentimeter in den dortigen Marsboden mit seinen auch für den Mars ungewöhnlichen Eigenschaften einzudringen. Im Herbst 2019 schien das Experiment auf einem guten Weg zu sein: Dem Marsmaulwurf konnte durch die Greifarm-Schaufel ein seitlicher Halt gegeben werden, was die für das Vordringen notwendige Reibung bereitstellte.
„Nachdem der Maulwurf fast vollständig im Marsboden war, kam er wieder ein Stück aus dem Boden heraus. Mittlerweile ist er mit wiederholtem seitlichen Druck des Greifarms wieder ein Stück tiefer in den Boden vorgedrungen mit einer zuletzt erneuten leichteren Rückwärtsbewegung“, erklärt der wissenschaftliche Leiter des HP³-Experiments Prof. Tilman Spohn vom DLR-Institut für Planetenforschung den bisherigen Verlauf. „Nun wollen wir in den kommenden Wochen durch Druck des Greifarms von oben effektiver helfen.“ Wissenschaftler des DLR und zahlreiche Techniker und Ingenieure am Jet Propulsion Laboratory (JPL) arbeiten seit Monaten akribisch mit dem Maulwurf auf dem Mars sowie mit Simulationen, Modellen und Tests auf der Erde an einer Lösung. Im Blog erklärt Prof. Tilman Spohn die aktuelle Situation und die Möglichkeiten mit dem Marsmaulwurf doch noch tiefer in den Boden vorzudringen.