ISS-Jubiläum: Das ist die erste ISS-Crew vor 20 Jahren

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Als sich am 02. November des neuen Jahrtausends die Luke der Internationalen Raumstation ISS zum ersten Mal öffnete, zog mit dem ersten ISS-Kommandanten William McMichael Shepherd (NASA/USA) und den Kosmonauten Juri Pawlowitsch Gidzenko und Sergei Konstantinowitsch Krikalev (beide Roskosmos/Russland) vor 20 Jahren die erste ISS-Crew in ihr neues Zuhause im All ein. Ihr 136-tägiger Aufenthalt endete am 19. März 2001 und markierte den Beginn des astronautischen Dauerbetriebes der Raumstation. „Diese drei Pioniere haben Raumfahrtgeschichte geschrieben. Seit der Expedition 1 war der Außenposten der Menschheit im All immer besetzt.

Die ISS-Astronauten sind gekommen, um zu bleiben“, erinnert sich Volker Schmid, ISS-Missionsmanager im Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und (DLR). „Die Expedition 1 war für die sicher ein großer Meilenstein. Nicht nur für die USA, Russland und Europa, sondern für die Raumfahrt allgemein – und Wegbereiter für internationale Kooperationen und Langzeitmissionen“, betont der deutsche ESA- Dr. Matthias Maurer. Auch er möchte zur ISS fliegen. Dann wird er einer von vier deutschen Raumfahrern sein, die dort gelebt, gearbeitet und geforscht haben.

Besondere Crew für einen besonderen Flug

Die Reise des Trios begann am 31. Oktober 2000 von einem ganz besonderen Startplatz: Sheperd, Gidzenko und Krikalev starteten mit ihrer Sojus-TM-31-Kapsel von der legendären Rampe 1 am kasachischen Kosmodrom in Baikonur, von der aus Juri Gagarin 40 Jahre zuvor als erster Mensch in den aufgebrochen war. Für Sheperd war es sein vierter und auch gleichzeitig letzter Raumflug. Der Expedition 1-Kommandant war erst der zweite US-Amerikaner, der damals in einer Sojus-Kapsel mitfliegen durfte. Gidzenko verbrachte zuvor 179 Tage als Kommandant der russischen Raumstation Mir im All. Krikalev war der erste Mensch, der damals zum zweiten Mal die ISS besuchte. Zuvor brachte er im Dezember 1998 an Bord des US-Space Shuttles „Endeavour“ das russische ISS-Modul Sarja (Morgenröte) und das US-amerikanische Unity (Einigkeit) zusammen – damit begann der Aufbau der Raumstation über zehn Jahre. Krikalev verbrachte 803 Tage im und ist noch heute der Raumfahrer mit der drittlängsten Verweildauer im All.

Sojus-Raumschiff TM-31
Start in eine neue Ära: Das Sojus-Raumschiff TM-31 hob am 31. Oktober 2000 um 10:53 Ortszeit vom Kosmodrom Baikonur in der kasachischen Steppe ab. Gestartet wurde von der legendären Rampe 1 – auch „Gagarins Start“ genannt. Denn von hier aus brach mit Juri Gagarin am 12. April 1961 der erste Mensch in den Weltraum auf. (Foto: NASA)

Viel Pionierarbeit an Bord

Während ihres viermonatigen Aufenthalts gab es für Sheperd, Gidzenko und Krikalev viel zu tun. „Die Expedition 1 Crew hat auf der Raumstation Pionierarbeit geleistet. So nahm sie die lebenswichtigen Systeme wie die Wasseraufbereitung, einen Kohlendioxidabsorber sowie die Küche und die Toilette in Betrieb“, betont DLR-ISS-Manager Volker Schmid. Das Trio installierte außerdem Computer für ein US-Kommunikationssystem, die zentrale Steuerung des russischen Swesda-Moduls, das Amateurfunksystem im Sarja-Modul für das ARISS-Projekt sowie eine Handsteuerung und einen Monitor für das TORU-System (Telerobotically Operated Rendezvous Unit), mit dem unbemannte Transportraumschiffe von der Station aus gesteuert werden können.

„Mit den drei Raumfahrern begann aber auch die Forschung auf der ISS. Das erste überhaupt war das deutsch-russische PKE- zur Erforschung des Wachstums von Plasmakristallen in . Damit hat Expedition 1 deutsche Wissenschaft auf die Raumstation gebracht – eine Forschung, die bis heute auf der ISS fortgeführt wird“, erklärt Volker Schmid. „Das heißt die ersten Astronautinnen und Astronauten auf der ISS waren Wegbereiter für das, was wir jetzt, 20 Jahre später, fortführen. Heute natürlich viel zeitgemäßer, moderner und mit ausgereifteren Experimenten. Wir haben mittlerweile sehr viel dazugelernt“, ergänzt Matthias Maurer.

Ein Rohdiamant wird geschliffen

Doch die Forschung auf der ISS war zu Beginn noch sehr begrenzt, weil Hardware und Labore fehlten. „Die ISS war damals ein Rohdiamant, der schon unter der ersten Crew stetig weiter geschliffen wurde“, so Schmid weiter. Die drei Space Shuttle Crews, die Sheperd, Gidzenko und Krikalev während ihrer gemeinsamen Zeit im All beherbergten, brachten nicht nur wichtige Bauteile wie die großen US-amerikanischen Sonnensegel zur ISS. Sie hatten auch das US-Labor Destiny an Bord.

ISS im September 2000
ISS im September 2000: Kurz vor der Ankunft der Expedition 1 sind das Wohn- und Navigationsmodul Swesda gekoppelt. Die siebenköpfige Besatzung des Space Shuttles Atlantis hatte die Raumstation auf die Ankunft von „Expedition 1“, der ersten Langzeitbesatzung, vorbereitet. (Foto: NASA)
ISS im Oktober 2018
ISS im Oktober 2018: Die Internationale Raumstation, fotografiert von einem Besatzungsmitglied der Expedition 56 aus einem Sojus-Raumschiff auf dem Rückweg zur Erde am 4. Oktober. Nach dem Abdocken von Sojus MS-08 hat der deutsche ESA- Alexander Gerst als erster Deutscher das Kommando übernommen. (Foto: Roskosmos/NASA)

„Von nun an ging es stetig Berg auf. Heute haben wir auf der Raumstation ganz andere Möglichkeiten. So wird zum Beispiel das Cold Atoms Lab kalte Atome in untersuchen. Mit dem Fluoreszenzmikroskop FLUMIAS können wir erstmals live im All in Zellen schauen und mit CIMON ist zum ersten Mal ein Crew-Assistent ausgestattet mit Künstlicher Intelligenz an Bord. Die Forschungsmöglichkeiten haben sich seit damals unglaublich erweitert“, betont Volker Schmid und Matthias Maurer fügt hinzu: „In diesen 20 Jahren ist die Station unglaublich gewachsen. Die Experimente sind ausgereifter als damals. Die Experimentatorinnen und Experimentatoren wissen nun viel besser, wie man auch unter Bedingungen der Schwerelosigkeit Experimente ideal durchführt. Von daher ist die Qualität der Experimente heute eine ganz andere. Aber auch damals wurde schon erstklassige Forschung im Weltraum betrieben und die Experimente waren Wegbereiter für die herausragende Wissenschaft, die wir heute im Weltraum betreiben.“

Bis heute wurden insgesamt 2.950 Experimente auf der ISS durchgeführt. Rund 390 davon stammen aus den ESA-Nutzungsprogrammen. In rund 140 dieser europäischen Experimente waren deutsche Wissenschaftler beteiligt.

Europäisches Labor kommt an Bord

Als weiteres Element der ISS wurde das in Bremen gefertigte, europäische Columbus-Labor am 11. Februar 2008 an der Raumstation angebracht. Mit diesem Labor als eine wesentliche Infrastruktur für den permanenten Betrieb im niedrigen Erdorbit konnten die Forschungsmöglichkeiten in der Schwerelosigkeit drastisch erweitert werden. „Ab dann hieß es aus der Erdumlaufbahn auch ‚Calling Munich‘ in Richtung des Columbus-Kontrollzentrums, das war ein ganz besonderer Moment diese Worte erstmals über Funk zu hören“, erinnert sich Prof. Dr. Felix Huber, Direktor des DLR Raumflugbetriebs.

Aufbau der ISS in 20 Jahren
Aufbau der ISS in 20 Jahren: Funktionen, Alter und Herkunft der einzelnen ISS-Module. (Foto: DLR)

Das Columbus-Kontrollzentrum (Col-CC) im Deutschen Raumfahrtkontrollzentrum (German Space Operation Center, GSOC) beim DLR in Oberpfaffenhofen steht seit nun mehr als 12 Jahren in ständigem Kontakt zu den Kontrollzentren der Partneragenturen (NASA, JAXA, RSA und CSA) und zu den Astronauten an Bord der ISS. Es überwacht kontinuierlich das Modul und seine Subsysteme, um den Astronauten einen sicheren und angenehmen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen zu können. Das GSOC bildet so die Nahtstelle zwischen den Columbus-Experimentanlagen auf der ISS und den Wissenschaftlern in den europäischen Nutzerkontrollzentren.

Lohnende Investition

Neben der Wissenschaft bietet die Raumstation auch Chancen für Kommerzialisierung. Ein aktuelles Beispiel dafür ist Bartolomeo, die von Airbus in Bremen gebaute, erste private Außenplattform Europas. An der Außenhülle von Columbus befestigt, können hier seit April 2020 vor allem kommerzielle Nutzlasten untergebracht werden. Mit Bartolomeo startet die ISS in ein neues Zeitalter.  Bei der Kommerzialisierung wirkt sich die deutsche ISS-Beteiligung direkt auf die deutsche Wirtschaft aus. Eine Kosten-Nutzen-Analyse des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Price Waterhouse Coopers hat gezeigt: Jeder investierte Euro hat eine Rendite von einem Euro. Zudem ist die ISS für neue Industriezweige und Technologien wie Laserkommunikation, Robotik und Sensorik ein Innovationsmotor.