Wie die Luftfahrtbranche neue Entwicklungen – vom Flugzeugsitz über das Cockpit bis zum Fluggerät an sich – nutzen kann, um eine erfolgreiche Luftfahrt der Zukunft zu gestalten, diskutieren die Teilnehmer des 68. Deutschen Luft- und Raumfahrtkongresses (DLRK) in Darmstadt.
Die Zukunft der Luftfahrt soll nachhaltig und umweltfreundlich werden. Darüber sind sich Politik, Industrie und Forschung seit vielen Jahren einig. Neue Technologien bringen innovative Konzepte und kontinuierliche Verbesserungen. Der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) ist das größte wissenschaftlich-technische Networking-Event der Luft- und Raumfahrtbranche Deutschlands und bringt jährlich rund 600 Experten und den wissenschaftlichen Nachwuchs zusammen, um gemeinsam über aktuelle Themen der Branche zu diskutieren. Der Kongress findet vom 30. September bis 02. Oktober 2019 in Darmstadt statt.
Air Traffic Management im wachsenden Luftverkehr
Im letzten Jahr sorgten Flugreisen bei vielen Passagieren für Unmut. Zahlreiche Verspätungen und Flugausfälle führten im Oktober 2018 zum ersten Luftfahrtgipfel, auf dem Vertreter aus Politik und Wirtschaft zusammenkamen, um Lösungsvorschläge für den steigenden Luftverkehr zu erarbeiten. Es entstand eine Liste von 24 Maßnahmen, an der sich auch die größte deutsche Airline, Lufthansa, beteiligte. Beim DLRK 2019 spricht Klaus Froese, CEO für den Lufthansa Hub Frankfurt, in seinem Plenarvortrag darüber, wie das Luftverkehrssystem angesichts wachsender Passagierzahlen und steigender Umweltanforderungen zukünftig besser organisiert werden kann.
Für Froese steht fest, dass die schwierige Situation nicht nur symptomatisch behandelt werden darf. Alle Systempartner müssten gemeinsam eine nachhaltige Verbesserung erzielen, um ein stabiles und effizientes Air Traffic Management in Europa gewährleisten zu können. Beim DLRK erläutert er, welche Initiativen und Ideen es gibt, um diese Herausforderung zu meistern.
Ein großes Problem im europäischen Luftverkehr sind noch immer die einzelnen Lufträume der Länder und deren Zuständigkeiten. Trotz des Ende der 1990er-Jahre von der Europäischen Kommission angestoßenen Projekts „Single European Sky“ (SES), ein Programm für einen einheitlichen europäischen Luftraum, das ursprünglich bis 2020 abgeschlossen sein sollte, gibt es an vielen Stellen Nachholbedarf. Insbesondere mit Blick auf den weiterhin wachsenden Luftverkehr würde ein Luftraum ohne Grenzen wohl zu deutlich weniger Verspätungen und nicht zuletzt auch zu CO2-Einsparungen führen.
Das „Air Traffic Management“ der Zukunft diskutiert Froese im Anschluss an seinen Vortrag noch einmal mit Vertretern aus Forschung und Flugführung, darunter Prof. Rolf Henke, DGLR-Präsident und Luftfahrtvorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), Prof. Klaus-Dieter Scheuerle, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Flugsicherung, und Diskussionsleiter Prof. Dr. Peter Hecker, Leiter des Instituts für Flugführung an der Technischen Universität Braunschweig.
Leise Flugzeuge für Metropolregionen
Aber nicht nur ein besseres Management, sondern auch die Flugzeuge selbst sollen zu einem effizienteren Luftverkehr beitragen. Dazu wird kontinuierlich an den bestehenden Technologien geforscht. Einzelne Änderungen am Flugzeug reichen aber auf Dauer nicht aus, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Größere Änderungen lösen aber auch immer Wechselwirkungen mit anderen Komponenten der Maschine aus. Deswegen arbeitet der Sonderforschungsbereich 880 der TU Braunschweig an einem leisen Flugzeug mit Kurzstart- und -landefähigkeit, das neue Perspektiven für den Einsatz in Metropolregionen eröffnen soll.
Dazu forschen die Wissenschaftler gleichzeitig auf den Gebieten der Aeroakustik, der Auftriebssteigerung und der Flugdynamik. Bei der Aeroakustik geht es ihnen darum, die Umströmungsgeräusche von Tragflügeln zu reduzieren. Untersucht wurde hier bereits die aerodynamische und aeroakustische Wirkung von porösen Materialien. Diese sollen Geräusche und Vibrationen mindern.
Für die Auftriebssteigerung arbeitet der Sonderforschungsbereich unter anderem an aktiven Hochauftriebsklappen, die durch das Zugeben oder Absaugen von Luft dafür sorgen können, dass die Luft den Flugzeugflügel noch besser umströmt. Mit Flugsimulationen gewinnt der SFB 880 neue Erkenntnisse über die Sensitivitäten von Start und Landung bei sehr hohen Auftriebsbeiwerten. Die genaue Vorgehensweise und den aktuellen Stand der Forschung erläutert der Leiter des Instituts für Strömungsmechanik der TU Braunschweig, Prof. Dr. Rolf Radespiel, in seinem Plenarvortrag.
Passagiersitz entscheidend für bequemeren Flug
Auch im Inneren der Flugzeuge findet ein Umdenken statt: Mit dem steigenden Luftverkehr und den zunehmenden Langstreckenflügen wird auch der Passagierkomfort immer wichtiger. Auf dem DLRK präsentiert Dr. Bartosz Gladysz von RECARO deshalb den „iSeat“ für die „digitalisierte Kabine“ der Zukunft. Der Flugzeugsitz-Hersteller RECARO hat diesen intelligenten Sitz entwickelt, der unter anderem seinen Betriebszustand automatisch an das Flugpersonal übermittelt.
Die Sensoren, Scanner und Sendeeinheiten sollen unter anderem dazu beitragen, durch frühzeitige Fehlererkennung und Diagnose Kosten zu senken sowie händische Kontrollen und vorausberechnete Wartungsintervalle einzusparen. Der Passagier kann derweil Sitzeinstellungen, Licht und Klima individuell per Smartphone steuern. Darüber hinaus kann der Sitz auch mit einer Massagefunktion entwickelt werden. Neue Anforderungen der Fluggäste und daraus abgeleitete Innovationen der Flugzeugkabine stehen auch in anderen DLRK-Sitzungen auf dem Programm.
Dialogtage Luftfahrt: Reizüberflutung im Cockpit
Bereits seit 2015 findet jährlich der Dialogtag Luftfahrt im Rahmen des DLRK statt. Hier treffen sich Ingenieure und Piloten, um Erfahrungen auszutauschen und Konzepte aus ihrer jeweiligen Perspektive zu diskutieren. Ziel ist es, die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen zu verknüpfen, sodass angepasste technische Systeme entstehen, mit denen bessere operationelle Ergebnisse erreicht werden können. Wie schon im letzten Jahr gibt es wegen der hohen Nachfrage gleich zwei Dialogtage beim DLRK in Darmstadt.
Beim „Dialogtag Verkehrsluftfahrt“ geht es zum einen um die steigende Anzahl an Systemen im Cockpit. Die Systeme können den Piloten bei seiner Arbeit unterstützen, führen aber in der Menge zu Reizüberflutung. So ist das Cockpit eines Airbus A350 XWB zum Beispiel mit insgesamt sechs großen Bildschirmen ausgestattet. Darunter befinden sich hochzuverlässige Systeme aber auch solche, die weniger qualifiziert sind. Es geht also auch um die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Systeme sowie ihre Echtzeit-Datenverbindung.
Zum anderen beschäftigen sich die Piloten und Ingenieure mit Technologien für die nächste Generation der Verkehrsflugzeuge. Unter anderem soll es dabei auch um ein System gehen, das es ermöglichen soll, ein Flugzeug nur noch mit einem Piloten zu betreiben. Prognosen sagen voraus, dass die Zukunft aufgrund des steigenden Verkehrs einen starken Pilotenmangel mit sich bringt. Derzeit sind immer zwei Piloten im Cockpit Pflicht.
Der „Dialogtag UAV“ diskutiert Möglichkeiten und Grenzen von unbemannten Luftfahrzeugen für die zukünftige urbane und regionale Mobilität. Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Integration von unbemannten Systemen in den Luftraum. Dabei werden verschiedene Aspekte angesprochen, zum Beispiel auch die Problematik der Beeinflussung von Drohnen durch Dritte.
„50 Jahre Airbus“ und Ausblick auf das was kommt
2019 ist das Jahr, in dem der europäische Flugzeughersteller Airbus sein 50-jähriges Bestehen feiert. Am 29. Mai 1969 unterzeichneten Minister aus Westdeutschland und Frankreich ein Abkommen zur gemeinsamen Entwicklung des Airbus A300. Schon in seinen Anfängen war der neue Airbus ein großes Thema beim DLRK. Bei den Kongressen wurden Konzepte vorgestellt und Ideen ausgetauscht. In der Sitzung „50 Jahre Airbus – Ein technologischer Ausblick auf die nächsten 50 Jahre“ wird in diesem Jahr wieder ein Blick in die Zukunft gewagt. Welche Technologien bestimmen den Markt der Zukunft? Wie wird sich die Produktion verändern? Wie müssen Forschung und Entwicklung auf veränderte Anforderungen für Umwelt und Sicherheit reagieren? Welche Herausforderungen stellt die Mobilität der Zukunft? Auf diese Fragen versuchen die Teilnehmer der Sitzung Antworten zu finden.
Viele weitere Sitzungen stehen ganz im Zeichen neuer Entwicklungen für die Luftfahrt der Zukunft. So geht es neben alternativen Antrieben auch um neue Möglichkeiten der Enteisung von Flugzeugen oder die zukünftige Nutzung künstlicher Intelligenz in der Luftfahrt. Insgesamt behandeln mehr als 40 Sitzungen beim DLRK 2019 die verschiedensten Themen aus der Luftfahrt. Zum Vortragsprogramm finden Sie hier.