LNAS im Prasixtest über Frankfurt

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Fluglärm über bewohntem Gebiet vermindern und gleichzeitig Kerosin einsparen – diese doppelte Verbesserung ist das Ziel in einem gemeinsamen Forschungsvorhaben des Deutschen Zentrums für Luft- und (DLR) und des Umwelt- und Nachbarschaftshauses (UNH) in Kelsterbach. Mit dem Forschungsflugzeug ATRA testete das DLR drei Tage lang ein Piloten-Assistenzsystem (Low Noise Augmentation System, LNAS) für ein lärmoptimiertes Anflugverfahren.

Fahrwerk und Klappen lärmschonend einsetzen

Oft ist es für Piloten schwierig, während der Landung – also der allgemein arbeitsintensivsten Phase eines Fluges – die optimalen Zeitpunkte zum Ausfahren der Klappen und des Fahrwerks so zu wählen, dass ein möglichst großer Teil der Landephase komplett im besonders leisen und treibstoffsparenden Leerlauf stattfinden kann. Als Ergebnis einer Doktorarbeit am DLR-Institut für Flugsystemtechnik in Braunschweig wurde ein Assistenzsystem entwickelt, das den Piloten über ein Display im Cockpit anzeigt, an exakt welchen Punkten sie welche Handlung durchführen müssen, um auch mit den Vorgaben der Anfluglotsen einen optimalen Sinkflug zu gestalten. Das System LNAS wurde bisher schon erfolgreich im Simulator und bei ersten Forschungsflügen ohne umgebenden Flugverkehr getestet. Nun galt es, den Realitätstest im Hochbetrieb des Frankfurter Flughafens zu bestehen.

Die Wetterlage, schlechte Sichtbedingungen, das Gewicht eines Flugzeugs oder auch die Vorgaben der Flugsicherung beeinflussen jede Landung auf ihre Weise. Die DLR-Forscher wollen erfahren, wie sich diese schwankenden Einflüsse auf das neue Assistenzsystem auswirken und wie Berufspiloten auf das System reagieren. Deshalb sollten Piloten verschiedener nacheinander im Cockpit des ATRA neben einem DLR-Testpiloten Platz nehmen und die Anflüge auf Frankfurt fliegen – mal mit, mal ohne Assistenzsystem. Die Testflüge, die vom 26. bis zum 28. September stattfanden, wurden mit der Deutschen Flugsicherung (DFS) und dem koordiniert.

Frankfurt prädestiniertes Testfeld

Vor den eigentlichen Flugtests wurden umfassende Versuche im DLR-Forschungssimulator AVES durchgeführt. „Wir freuen uns, das neu entwickelte Assistenzsystem jetzt in den Realitätscheck am größten Flughafen Deutschlands schicken zu können“, sagt Prof. Stefan Levedag, Leiter des DLR-Instituts für Flugsystemtechnik. „Es ist ein wichtiger Entwicklungsschritt, nun die Eindrücke und Erfahrungen routinierter Airline-Piloten mit dem neuen System im anspruchsvollen Flughafenbetrieb Frankfurts mit seinem hohen Verkehrsaufkommen zu sammeln.“ Ein weiterer Vorteil Frankfurts sind die zahlreichen Lärmmessstellen, die im Umfeld des Flughafens eingerichtet sind. Durch sie kann der Lärmminderungseffekt der optimierten Anflugverfahren lokal quantifiziert werden.

Umwelthaus: Motivation für Förderung

Das Umwelt- und Nachbarschaftshaus fördert das Projekt mit insgesamt 560.000 Euro. „Die Verbesserung der Lärmsituation für die -Main-Region durch aktiven Schallschutz hat für das Flughafen und Region (FFR) oberste Priorität. In der Zusammenarbeit mit dem DLR gelingt es uns immer wieder, neue und innovative Verfahren voranzubringen. Das Projekt LNAS hat einen ganz besonderen Reiz, denn hier kann es gelingen, Lärmreduzierung und Kerosineinsparung gleichzeitig zu erreichen“, so Günter Lanz, Geschäftsführer des UNH. „Neben der Aufbereitung von Fakten und der Durchführung von Monitorings ist es auch das Selbstverständnis unserer Arbeit, wissenschaftliche Studien und Forschungsprojekte zu beauftragen und so bestehende inhaltliche und fachliche Lücken zu schließen. Wir möchten so der Debatte rund um das Thema Fluglärm neue Impulse und auch innovativen Ideen eine Chance geben.“ Die Ergebnisse des Projekts werden im November 2016 auf der 4. ICANA 2016, der internationalen Konferenz zum aktiven Schallschutz, präsentiert und anschließend veröffentlicht.

Die AG Perspektive (einer Arbeitsgruppe des FFR-Expertengremiums Aktiver Schallschutz) begleitet das Projekt fachlich. Vertreter der Luftverkehrswirtschaft arbeiten hier gemeinsam mit Behörden und Vertretern von Kommunen, des DLR und der Fluglärmkommission an Maßnahmen des aktiven Schallschutzes, die eine mittel- bis langfristige Realisierungsperspektive besitzen. „Das Forschungsprojekt ergänzt hervorragend die bisherigen Arbeiten des FFR“, erklärt Anke Giesen, Vorstandsmitglied der Fraport AG sowie Vorstandsmitglied des Forums Flughafen und Region.

Praxistest und Akzeptanz der Piloten

Das Programm umfasst insgesamt fünf Testflüge von jeweils fünf Stunden einschließlich Start, Anflug und Turnaround in Frankfurt auf die Landebahn Nordwest. Bei jedem Testflug wird der Flugkapitän, ein des DLR, von vier Piloten begleitet, die jeweils zwei Anflüge im normalen, operationellen Betrieb, einmal mit und einmal ohne Pilotenassistenzsystem durchführen. Die Reihenfolge der Piloten und Verwendung des Systems erfolgt so, dass ein Lerneffekt auszuschließen ist.

Bei den Testflügen werden die Höhen- und Geschwindigkeitsprofile herkömmlicher Anflugverfahren auf ihr Potential bezüglich der Reduktion von Lärm, Treibstoffverbrauch und Flugzeit unter den Randbedingungen eines realen Flugbetriebs untersucht. Neben den konkreten Verbesserungen bezüglich Lärm und Präzision wird zunächst eine fehlerfreie Funktion des Prototyps im tatsächlichen Flugbetrieb erwartet. Gleichzeitig wird eine hohe Akzeptanz von Seiten der Piloten angestrebt.

Assistenzsystem LNAS

Das Assistenzsystem LNAS besteht aus den Teilen Vorabbahnplanung, Korrektur zur Laufzeit und einer energiebasierten Anzeige. Ausgehend von den verfügbaren Daten des ATRA wurde ein vereinfachtes Simulationsmodell für die Vorabbahnplanung eines idealen vertikalen Anflugprofils erstellt. Dieses ideale vertikale Anflugprofil enthält optimale Zeitpunkte für das Setzen von Landeklappen, Fahrwerk und Geschwindigkeitssollwerten. Handelt der nach diesen Vorgaben, kann der Anflug von der Reiseflughöhe bis zur Stabilisierungshöhe mit minimalem Schub (üblicherweise mit „Leerlauf“ bezeichnet) durchgeführt werden. Zum Zeitpunkt dieser Planung befindet sich der Flieger idealerweise vor Beginn des eigentlichen Anfluges.

An dieser Stelle gibt es als Windinformation typischerweise nur den Wind an der aktuellen Flugzeugposition und den Wind am Boden. Somit können alle Zwischenwerte im ersten Schritt nur aus diesen beiden Werten interpoliert werden, da das genaue Windprofil noch unbekannt ist. Über eine geeignete Mensch-Maschine-Schnittstelle werden den Piloten neben dem Höhenprofil vor allem die vorausberechneten Verläufe der Geschwindigkeit in Form der Energiehöhe und die einzelnen Handlungspunkte symbolisch dargestellt.

Während des Anfluges werden nun bei jeder neuen Höhe die aktuellen Werte des Winds erfasst und mit diesen das Windprofil für den gesamten Anflug verbessert. Zusammen mit möglichen Versäumnissen der Piloten (Handlungsschritt zu früh oder zu spät ausgeführt) oder möglichen Vorgaben der Luftraumüberwachung muss die ideale Handlungsabfolge somit ständig angepasst werden. Diese Anpassungen führt der Systemteil „Korrektur zur Laufzeit“ durch entsprechende Verschiebungen einzelner Handlungsschritte durch. Hierbei sind die Optimierungsziele für die Anpassungen stets die Einhaltung der Stabilitätsbedingungen beim „1000 Fuß“-Gate, sowie eine möglichst niedrige Triebwerksdrehzahl und die vollständige Vermeidung von Störklappen.

Auf den Bildern

Airbus A320-232 D-ATRA

Das größte Flottenmitglied, der Airbus A320-232 „D-ATRA“, ist seit Ende 2008 für das Deutsche Zentrum für Luft- und (DLR) im Einsatz. ATRA (Advanced Technology Research Aircraft) ist eine moderne und flexible Flugversuchsplattform, die nicht nur größenmäßig einen neuen Maßstab für fliegende Versuchsträger in der europäischen Luftfahrtforschung setzt.

Im Anflug auf Frankfurt

Das neu entwickelte Piloten-Assistenzsystem (Low Noise Augmentation System, LNAS) für ein lärmoptimiertes Anflugverfahren testet das DLR im Realitätscheck am Frankfurter Flughafen – dem größten Flughafen Deutschlands – mit dem Forschungsflieger ATRA.

Anzeige des Pilotenassistenzsystems

Am DLR-Institut für Flugsystemtechnik in Braunschweig wurde ein Assistenzsystem entwickelt, das den Piloten über ein Display im Cockpit anzeigt, an exakt welchen Punkten sie welche Handlung durchführen müssen um auch mit den Vorgaben der Anfluglotsen einen optimalen lärmarmen Sinkflug zu gestalten.

ATRA im Landeanflug

Das DLR-Forschungsflugzeug A320 ATRA bei der Landung. Unter anderem nutzen Wissenschaftler das Versuchsflugzeug, um lärmarme Anflugverfahren zu testen.

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