Der Fluglehrer und sein Flugschüler hatten sich am Flugplatz zu einem Ausbildungsflug getroffen. Zeugen sahen, wie eine Vorflugkontrolle durchgeführt und das Ultraleichtflugzeug (UL) mit 30 l Kraftstoff nachbetankt wurde. Der Start erfolgte um 14:39 Uhr auf der Piste 23. Nach einer ausgedehnten Platzrunde wurde ein Anflug mit Aufsetzen und Durchstarten durchgeführt. Als Abschlusslandung wurde der Flugleitung eine Landung in Richtung 23 angekündigt.
Zeugen sahen den Eurostar im Bereich des Querabfluges der Piste 23 in ca. 150 Meter aus einem Horizontalflug in einen steilen Bahnneigungsflug übergehen. Ein Zeuge beschrieb die Flugbahn als nahezu senkrecht nach unten verlaufend. Das UL prallte auf den Boden. Bei dem Aufprall wurden beide Insassen tödlich verletzt und das Luftfahrzeug zerstört.
Angaben zu Personen
Der 41-jährige Fluglehrer des Eurostar war im Besitz eines Luftfahrerscheins für Luftsportgeräteführer, erstmalig ausgestellt am 25.04.2007 und bis zum 25.04.2012 gültig. Die Lehrberechtigung zur Ausbildung von Luftsportgeräteführern war bis 04.06.2013 gültig. Der Luftfahrerschein für Segelflugzeugführer nach den Regelungen der ICAO deutsch war erstmalig am 08.10.1987 ausgestellt. Eingetragen waren die Startarten: Selbststart, Windenstart, Flugzeugschleppstart, Reisemotorsegler (TMG) und Lehrberechtigung (FI), gültig bis zum 14.07.2013. Das Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis zum 27.03.2013 gültig mit der Auflage, eine Sehhilfe zu tragen (VDL).
Die Flugerfahrung auf Ultraleichtflugzeugen betrug ca. 65 Stunden bei 300 Starts, davon ca. 35 Stunden als Fluglehrer auf Ultraleichtflugzeugen. Vor dem Flugunfall war er in den letzten 90 Tagen sechs Stunden und in den letzten 30 Tagen 1:37 Stunden mit dem betroffenen UL geflogen.
Der 47-jährige Flugschüler begann seine Ausbildung zum Luftsportgeräteführer Anfang 2011. Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von 4:31 Stunden. In den letzten 90 Tagen hatte er 3:27 Stunden geflogen. In den letzten 30 Tagen wurden keine Flugstunden absolviert.
Identifikation
- Art des Ereignisses: Unfall
- Datum: 20. Mai 2011
- Ort: Kedingshagen
- Luftfahrzeug: Ultraleichtflugzeug
- Hersteller / Muster: Evektor Aerotechnik a.s./ Eurostar EV97
- Personenschaden: zwei Personen tödlich verletzt
- Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört
- Drittschaden: Flurschaden
- Informationsquelle: Untersuchung durch Mitarbeiter der BFU
- Aktenzeichen: BFU 3X056-11
Angaben zum Luftfahrzeug
Der EV97 Eurostar ist ein zweisitziges, aerodynamisch gesteuertes Ultraleichtflugzeug in Metallbauweise.
- Hersteller: Evektor Aerotechnik a. s.
- Muster: Eurostar EV97
- Werknummer: 2007-2915
- Baujahr: 2007
- MTOM: 472,5 kg
- Triebwerk: Rotax 912 ULS
- Propeller: Woodcomp Varia
- Gesamtflugzeit: 625 Stunden
Das Ultraleichtflugzeug war mit dem Rettungssystem BRS-5 UL ausgerüstet.
Das Ultraleichtflugzeug befand sich in Vereinsbesitz und war in Deutschland zum Verkehr zugelassen. Die letzte Jahresnachprüfung wurde am 22.10.2010 durchgeführt. Seitdem waren 64 Stunden geflogen worden.
Laut Wägebericht vom 15.10.2010 betrug das Leergewicht 312,2 kg. Die Nachwägung der Wrackteile bei der BFU ergab eine Leermasse von 297,5 kg, ohne das ausgebaute Rettungsgerät und ohne Betriebsstoffe. Laut Obduktionsgutachten vom 23.05.2011 betrug das Gewicht beider Insassen 187,8 kg.
Die vom Luftsportgeräte-Büro des Deutschen Aero Club e.V. am 18.12.2009 herausgegebene Lufttüchtigkeitsanweisung (LTA) LSG 09-004 (Mögliche Abweichung der geforderten Materialqualität) wurde am 15.05.2010 vom Hersteller durchgeführt. Die Konformität von Materialstärke und Güte wurde bescheinigt.
Meteorologische Informationen
Die Routinewettermeldung (METAR) des ca. 65 Kilometer südwestlich gelegenen Flugplatzes Rostock-Laage (ETNL) lautete:
13:20 UTC:
- Wind: 080° mit 3 kt
- Sicht: 10 km oder mehr
- Wolken: 1/8 – 2/8 in 2 200 ft über Flugplatzniveau
- 5/8 – 7/8 in 8.000 ft über Flugplatzniveau
- Temperatur: 18 °C
- Taupunkt: 12 °C
- Luftdruck (QNH): 1.018 hPa
04:20 UTC:
- Wind: umlaufend mit 2 kt
- Sicht: 10 km oder mehr
- Wolken: 1/8 – 2/8 in 2 400 ft über Flugplatzniveau
- 3/8 – 4/8 in 8.000 ft über Flugplatzniveau
- Temperatur: 19 °C
- Taupunkt: 12 °C
- Luftdruck (QNH): 1.017 hPa
Funkverkehr
Es bestand Sprechfunkverbindung zwischen der Luftaufsicht und dem Flugzeugführer. Der Sprechfunkverkehr wurde nicht aufgezeichnet.
Angaben zum Flugplatz
Der nordwestlich der Stadt Stralsund liegende Sonderlandeplatz Stralsund (EDBV) liegt 15 m über Normalnull (NN) und verfügt über eine 900 m lange und 40 m breite Graspiste mit der Ausrichtung 05/23.
Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Die Unfallstelle befand sich im Bereich des Querabfluges der Piste 23 des Flugplatzes Stralsund auf einem Feld südwestlich der Gemeinde Groß Kedingshagen.
Die abgetrennte rechte Tragfläche lag 1,5 m östlich der ersten Bodenberührung. Der Rumpf befand sich ca. 3,5 m nordöstlich der ersten Bodenberührung und war 90° nach rechts gedreht. Der Kabinenhaubenrahmen lag ca. 1,5 m östlich des Rumpfes. Die rechte Seite des Wracks war im Bereich der abgerissenen Tragfläche eingedrückt. Das rechte Fahrwerksbein war in den Rumpf gedrückt. Das unter dem Motorträger abgeknickte Bugrad lag unter dem Rumpf.
Die Propellerblätter waren an den Blattspitzen gebrochen. Das Seitenleitwerk war gestaucht. Das Höhenleitwerk war auf der rechten Seite wellenförmig verbogen. Die linke Tragfläche war mit dem vorderen Beschlag mit dem Rumpf verbunden. Der hintere Beschlag und die Holmbrücke waren ausgerissen. Die Flügelnase war im Bereich von ca. einem Meter von der Flügelspitze aus zum Rumpfbereich eingedrückt.
Bei der Untersuchung des Ultraleichtflugzeuges wurden keine technischen Mängel oder Einschränkungen in der Steuerung festgestellt. Das Rettungssystem war nicht ausgelöst.
Medizinische und pathologische Angaben
Die Leichen der Insassen wurden durch die Universitätsmedizin Greifswald obduziert. Es wurden keine organisch feststellbaren gesundheitlichen Vorerkrankungen festgestellt. Bei dem Flugschüler fielen markante Verletzungen an der linken Hand auf, die darauf schließen lassen, dass beim Absturz ein Gegenstand festgehalten wurde.
Bei beiden Insassen wurden als Todesursache absturzbedingte schwere Verletzungen festgestellt, die zum sofortigen Tod führten.
Brand
Es entstand kein Brand.
Überlebensaspekte
Beide Insassen waren angeschnallt. Das Gesamtrettungssystem war nicht aktiviert. Aufgrund der hohen Aufschlagkräfte beim Aufprall des Flugzeugs war der Unfall für die Insassen nicht überlebbar.
Versuche und Forschungsergebnisse
Der Hersteller führte im Jahr 2004 Versuchsflüge mit einer im Flug geöffneten Kabinenhaube durch (ZBEV97-07/2004). Bei diesen Flügen kam es zu Vibrationen am Heck des Luftfahrzeuges. Zudem schaukelte sich das Luftfahrzeug in einer amplitudenförmigen Flugbahn auf. Dabei wurden Beeinträchtigungen der Steuerfähigkeit durch die nach vorn geöffnete Kabinenhaube festgestellt. Die Kräfte zum Schließen der Kabinenhaube wurden im Bereich von 10-20 kg gemessen.
Nach Auffassung des Herstellers hielten sich die Kräfte zum erneuten Schließen der Kabinenhaube im Flug in einem annehmbaren Rahmen. Bei den Versuchen gelang es nicht, die Haube ordnungsgemäß im Flug zu schließen. Die seitlichen Führungsstifte konnten nicht eingeführt werden. Dadurch war eine seitliche Führung der Haube nicht gewährleistet. Um die Kabinenhaube dennoch zu schließen, war es nötig, gleichzeitig den Verschlusshebel zu drehen und nach hinten zu drücken. Der begleitende Flugversuchs-Ingenieur schlug abschließend vor, ein Verfahren zum Verhalten bei geöffneter Kabinenhaube in das Flug- und Betriebs-Handbuch, Section 3 – Notverfahren, aufzunehmen.
2006 gab der Hersteller das Bulletin "Mandatory Bulletin No. EV-97-009 a (ZBEV-97-009a) und SPORTSTAR-004 a (ZBSPORTSTAR-004a)" für den Eurostar und Sportstar heraus, das eine Anweisung zur Umrüstung des Haubenverschlusses beinhaltete. Bei dem Betrieb eines Sportstar war es zu einer Öffnung der Kabinenhaube im Flug gekommen. Dem Piloten war es gelungen, die Kabinenhaube zu schließen und sicher zu landen.
Zusätzliche Informationen
Haubenverschluss: Die Kabinenhaube wird nach vorne geöffnet und von zwei Dämpfern nach oben gehalten. Die Haube wird durch Ziehen des Haubenverschlusshebels nach unten vom Pilotensitz aus geschlossen. Dabei wird sie von zwei Metallführungsstiften im hinteren Bereich geführt. In der nicht verriegelten Position befindet sich der Verschlusshebel in Parallelstellung zum Haubenrahmen.
Durch Drehen des Hebels um 90° in Flugrichtung wird die Haube verriegelt. In dieser Stellung umschließt der Verschlusshaken einen Verschlusszapfen im Haubenrahmen. Der Haubenverschluss befindet sich dabei hinter dem Piloten im oberen Haubenrahmen. Der Pilot muss bei dem Schließvorgang deutlich hinter sich greifen. Der Hersteller hat bei der nachfolgenden Serie eine Kontrollleuchte im Instrumentenbrett eingebaut, damit das ordnungsgemäße Verschließen der Kabinenhaube leichter zu kontrollieren ist.
Nachuntersuchung durch die BFU: Bei der Nachuntersuchung wurden Spuren am Wrack im Bereich des Haubenverschlusses vorgefunden. Der Verschlusszapfen wies Abnutzungsspuren auf. Der Zapfenkopf war abgeschrägt. Am Verschlusshaken und Zapfenbeschlag befanden sich Schleifspuren. Der Haken war im Bereich der Spitze verformt. Im Bereich des Abdeckungsblechs der Kabinenhaube wurden Lackabtragungen und Kratzspuren festgestellt. (Die Bilder zeigen eine mögliche Fehlstellung des Vershlusshakens).
Pilotenbericht: Nach dem Flugunfall berichteten Vereinspiloten der BFU von Problemen beim Schließen der Flugzeughaube des Eurostar. In der Vergangenheit wäre die Kabinenhaube des Öfteren aufgegangen. Das Schließen und Verriegeln der Haube durch Greifen nach hinten wurde als problematisch beschrieben. Nach einem Flugunfall mit einem Eurostar im Mai 2011 (BFU 3X043-11) berichtete der Pilot ebenfalls über Probleme mit einer sich beim Start öffnenden Kabinenhaube, wobei es im Verlauf zu einer unkontrollierten Fluglage kam.
Beurteilung
Der Pilot hatte für den Flug die erforderliche Lizenz und die Berechtigungen. Seine Gesamtflugerfahrung war ausreichend. Die Flugerfahrung und der Trainingsstand auf Ultraleichtflugzeugen waren relativ gering. Der Flugschüler befand sich am Anfang seiner Ausbildung und besaß daher geringe Flugkenntnisse.
Die Spuren am gebrochenen Propeller zeigten, dass das UL mit laufendem Triebwerk auf den Boden prallte. Das Luftfahrzeug war in Deutschland zum Betrieb zugelassen. Die Abflugmasse befand sich außerhalb der zulässigen Grenzen. Die Flugsichten waren gut und schränkten den geplanten Schulungsflug nach Sicht nicht ein. Besondere Wettererscheinungen lagen nicht vor.
Die Tatsache, dass der komplette Haubenrahmen 1,5 m neben dem Wrack lag, zeigt, dass die Kabinenhaube zum Zeitpunkt des Aufpralls nicht verschlossen war. Aufgrund dieses Befundes geht die BFU davon aus, dass sich die Kabinenhaube während des Fluges geöffnet hat. Die Kontrolle des ordnungsgemäßen Schließens des Haubenverschlusses war von dem Pilotensitz aus nur mit Einschränkungen möglich. Der Haubenverschluss befand sich hinter dem Pilotensitz. Dadurch war die visuelle Kontrolle eines ordnungsgemäßen Verschließens der Haube erschwert. Der nicht sachgemäß betätigte Haubenverschluss der Kabinenhaube trug zum Öffnen der Haube bei.
Durch die im Flug geöffnete Kabinenhaube kam es zu einer verwirbelten Anströmung des Höhen- und Seitenleitwerkes und damit zur deutlichen Beeinträchtigung der Steuerführung des ULs. Die Einschränkungen in der Steuerung bei geöffneter Haube belegen die Flugversuche des Herstellers. Die Kabinenhaube im Flug zu schließen hätte Handkräfte von 10-20 kg erfordert, die die von einer Hand aufzubringen gewesen wären. Die Beschäftigung mit dem Festhalten bzw. Schließen der Haube kann den Piloten von der Steuerung des Luftfahrzeuges abgelenkt oder dessen Bedienung erschwert haben. Wegen der geringen Flughöhe blieb der Besatzung nur wenig Zeit, die Situation entsprechend zu erfassen und Maßnahmen zu ergreifen.
Die Verletzungen des Flugschülers an der Hand deuten darauf hin, dass die Flugführung in seinen Händen lag Aufgrund der geringen Flugerfahrung der Besatzung und der geringen Flughöhe geht die BFU davon aus, dass die Besatzung mit der Problemsituation überfordert war und keine geeignete Maßnahmen gefunden wurden, um den Flug sicher zu beenden.
Schlussfolgerungen
Der Flugunfall ist darauf zurückzuführen, dass sich während des Fluges eine nicht ordnungsgemäß geschlossene Kabinenhaube unbeabsichtigt öffnete und der nachfolgend eingetretene Flugzustand des ULs von der Besatzung nicht ausreichend beherrscht wurde. Die Beeinträchtigung der Steuerfähigkeit und die Ablenkung durch die geöffnete Haube trugen zum Flugunfall bei.
Die relativ unerfahrene Besatzung war mit der aufgetretenen Situation überfordert und konnte mit der verbleibenden, geringen Flughöhe nicht die erforderlichen Maßnahmen zum Schließen der Kabinenhaube vor dem Aufprall auf den Boden einleiten.
Sicherheitsempfehlungen
Die BFU hat folgende Sicherheitsempfehlungen herausgegeben:
Empfehlung Nr.: 01/2012: Das Luftsportgeräte-Büro des Deutschen Aero Club e.V. (DAeC) sollte das Bulletin des Herstellers, "Mandatory Bulletin EV-97-009 a (ZBEV-97-009a) SPORTSTAR-004 a (ZBSPORTSTAR-004a)", im Rahmen einer Lufttüchtigkeitsanweisung umsetzen.
Empfehlung Nr.: 02/2012: Das Luftsportgeräte-Büro des Deutschen Aero Club e.V. (DAeC) sollte den Musterbetreuer anweisen, in das Flug- und Betriebshandbuch, Section 3 – Notverfahren, einen Abschnitt für das Verhalten beim Fliegen mit geöffneter Kabinenhaube aufzunehmen.
Als Reaktion auf die Sicherheitsempfehlung 01/2012 hat das Luftsportgeräte-Büro des DAeC am 01.02.2012 die Lufttüchtigkeitsanweisung (LTA) Nr.: LSG 12-001 herausgegeben.
Alle Zeitangaben in Ortszeit, soweit nicht anders bezeichnet. Quelle: BFU