Auf dem Verkehrslandeplatz Oehna sollte im Rahmen einer Open-Air-Veranstaltung, wie schon zwei Wochenenden zuvor, „Der kleine Prinz“ als Theaterstück aufgeführt werden. Zu Beginn der Veranstaltung war mit einer Cessna F 172 ein Überflug des Flugplatzes mit an- schließender Landung geplant. Für den später verunfallten und ansonsten erfahrenen Piloten war es in dieser Veranstaltungsreihe der erste Flug.
Identifikation
- Art des Ereignisses: Unfall
- Datum: 26. August 2011
- Ort: nahe Oehna-Zellendorf
- Luftfahrzeug: Flugzeug
- Hersteller / Muster: Reims Aviation Cessna / Cessna F 172 N
- Personenschaden: eine Person tödlich verletzt
- Sachschaden: Luftfahrzeug zerstört
- Drittschaden: Flurschaden
Ereignisse und Flugverlauf
Der Pilot startete um ca. 21:12 Uhr auf der Piste 08 und kurvte danach Richtung Norden. Von dort kommend überflog er kurze Zeit später den Flugplatz und änderte im Anschluss daran den Flugweg in westliche Richtung. Nach Aussage einer sachkundigen Zeugin flog das Luftfahrzeug sehr tief, die Positionsleuchten standen plötzlich senkrecht und verschwanden aus dem Blickfeld der Beobachterin. Das Flugzeug wurde nach der eingeleiteten Suche im Bereich der Endanflugkurve zerstört aufgefunden. Der Pilot wurde tödlich verletzt.
Angaben zu Personen
Der 71-jährige Luftfahrzeugführer war seit dem 18.01.1991 Inhaber einer Lizenz für Privatpiloten, ausgestellt nach den Richtlinien der ICAO. Die Erlaubnis war bis zum 16.12.2015 gültig. Er besaß die Berechtigung als verantwortlicher Pilot auf einmotorigen Landflugzeugen (SEP land), gültig bis 15.10.2011. Die Berechtigung zur Ausbildung von Privatpiloten, die Kunstflugberechtigung, die Schleppberechtigung sowie die Nachtflugqualifikation waren in seiner Lizenz eingetragen.
Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war bis zum 17.06.2012 gültig, verbunden mit der Auflage eine Brille zu tragen und eine Ersatzbrille mitzuführen. Auf dem betroffenen Muster hatte er im Jahr 2011 laut Bordbucheintrag 04:18 Stunden Flugerfahrung. In den letzten 90 Tagen betrug seine Flugzeit laut elektronischem Flugbuch 21:14 Stunden mit 89 Landungen. Er hatte eine Gesamtflugerfahrung von 4.166 Stunden mit 19.974 Starts und Landungen.
Die Nachtflugerfahrung im Jahr 2008 betrug 02:40 Stunden mit vier Landungen. Im Jahr 2009 waren es 00:59 Stunden und neun Landungen jeweils auf einer Diamond DA-40. Am 25.08.2011, einen Tag vor dem Unfall, wurden laut elektronischem Flugbuch des Piloten drei Flüge bei Nacht mit 00:17 Stunden auf der Cessna F 172 N durchgeführt.
Daten zum Luftfahrzeug
Das Flugzeug Cessna F 172 N war ein viersitziger, einmotoriger Schulterdecker mit abgestrebten Tragflächen und festem Dreipunktfahrwerk. Es war mit einem 4-Zylinder-Lycoming-O-320-H2AD-Triebwerk mit festem Zweiblatt-Propeller ausgerüstet. Das Flugzeug war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und wurde von einem Unternehmen betrieben. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit des 1977 gebauten Flugzeuges erfolgte am 13.10.2011.
Am 11.08.2011 wurde eine 200-Stunden-Kontrolle durchgeführt. Das Luftfahrzeug hatte seit der letzten Kontrolle eine Betriebszeit von 09:28 Stunden. Die Gesamtflugzeit betrug 9.840:47 Stunden mit 24.018 Starts und Landungen. Die Auswertung des Bordbuches vom Luftfahrzeug und des Flugbuches vom Piloten hat ergeben, dass in dem Zeitraum vom 01.01.2011 bis 25.08.2011 im Bordbuch 385 Minuten weniger eingetragen waren als im Flugbuch des Piloten. Die Abflugmasse und der Schwerpunkt lagen in den zulässigen Grenzen.
Meteorologische Daten
Nach dem vom Deutschen Wetter Dienst (DWD) erstellten verkürzten Wettergutachten herrschten zum Zeitpunkt des Unfalls Sichtflugbedingungen mit Sichtweiten über 10 km und wolkenlosem Himmel. Der Wind wehte schwach aus Ost bis Nordost mit fünf bis acht Knoten. Die Temperatur lag zur Unfallzeit bei 26 °C und der Taupunkt bei 21 °C. Das QNH Schönefeld betrug 1.005 hPa und das QNH Leipzig 1.004 hPa. Der Sonnenuntergang war an diesem Tag um 20:07 Uhr. Es handelte sich um eine sehr warme und feucht-schwüle Nacht ohne Mondschein.
Funkverkehr
Es bestand Funkverbindung mit Oehna-Info auf der Frequenz 122,500 MHz.
Angaben zum Flugplatz
Der Verkehrslandeplatz Oehna (EDBO) liegt 6,5 nautische Meilen (NM) südlich der Stadt Jüterbog. Er verfügt über eine befestigte Start- und Landebahn in Richtung 08/26 (077°/257°) mit den Abmessungen 850 m x 20 m und ist zugelassen für Luftfahrzeuge bis 5.700 kg sowie für Flüge nach Sichtflugregeln bei Nacht. Die Start- und Landebahn ist mit einer Pistenrandbefeuerung (REL = Runway Edge Lights) ausgerüstet, eine Anflugbefeuerung ist nicht vorhanden. Die südliche Platzrunde für Motorflugzeuge ist mit 1.100 ft AMSL bei einer Flugplatzhöhe von 287 ft AMSL im Luftfahrthandbuch veröffentlicht. Südlich der befestigten Piste 08/26 befindet sich eine Graspiste in der gleichen Ausrichtung mit den Abmessungen 600 m x 30 m.
Flugdatenaufzeichnung
Der BFU lagen Radaraufzeichnungen der Bundeswehr vom 25.08.2011 und 26.08.2011 zur Rekonstruktion des Flugweges vor. Am 25.08.2011, einen Tag vor dem Unfall wurden zwei Flüge bei Nacht in der Zeit von 18:59 Uhr UTC bis 19:10 Uhr UTC mit dem später verunfallten Luftfahrzeug durchgeführt. Nach dem Start auf der Piste 08 drehte das Luftfahrzeug Richtung Norden und hatte dann den Flugplatz direkt mit Südkurs überflogen. Danach flog das Luftfahrzeug in den rechten Gegenanflug und rechten Queranflug zur Piste 08 und kam mit einer Endanfluggeschwindigkeit von 61 Knoten (kt) zur Landung auf der Piste 08. Die maximale Flughöhe während des Fluges betrug 1.548 ft AMSL. Im Anschluss startete das Luftfahrzeug in der gleichen Richtung, drehte nach Norden und überflog den Flugplatz von Nordwesten kommend mit anschließendem Südkurs. Die Landung erfolgte auf der Piste 26.
Die mitgeplottete Endanfluggeschwindigkeit lag bei 84 kt. Die maximale Flughöhe betrug dabei 1.148 ft AMSL. Bei diesen Flügen war der Transponder eingeschaltet und übermittelte Squawk 7.000, die Flughöhe über AMSL, sowie das Luftfahrzeug-Kennzeichen. Am 26.08.2011 konnten einzelne Positionen des Luftfahrzeuges mit Hilfe der militärischen Radaraufzeichnungen rekonstruiert werden. An diesem Abend wurde vom Sensor Tempelhof ein Primärziel, aber kein Transpondersignal erfasst. Ein Bild zeigt die Radaraufzeichnung der Primärziele Google EarthTM-Kartenservice; Bearbeitung durch die BFU.
Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Die Unfallstelle befand sich auf einem eingezäunten Kiesgrubengelände ca. 1.600 m westlich der Landebahnschwelle Piste 08 des Verkehrslandeplatzes Oehna im Bereich der Endanflugkurve. Die erste Bodenberührung war mit dem rechten Hauptfahrwerk. Das Hauptwrack lag in Richtung 230° ca. 32 m von der ersten Bodenberührung entfernt. Rechts, ca. 5 m neben der ersten Berührungsspur, befand sich eine weitere Spur vom Randbogen der rechten Tragfläche.
Das Bugfahrwerk sowie das rechte Hauptfahrwerk waren abgerissen. Links und rechts der Berührungsspur des Rumpfes waren zwei Aufschüttungen, an denen die Randbögen der Tragflächen gefunden wurden. Die Radverkleidung des rechten Hauptfahrwerkes lag ca. vier Meter hinter der rechten Aufschüttung. Beide Tragflächen waren vom Rumpf getrennt.
Die rechte Tragfläche mit der Strebe lag ca. acht Meter links hinter dem Rumpfheckteil. Die Nasenkante war über die gesamte Länge gestaucht, die Querruder und die Landeklappe waren mit der Halterung herausgerissen.
Die linke Tragfläche und Strebe lag mit gestauchter Nasenkante und herausgerissener Landeklappe mit ihrer Unterseite nach oben links vor dem Wrack.
Das Heckteil war im Bereich des Gepäckraumes abgebrochen und lag in Aufschlagrichtung vor dem Hauptwrack. Das Cockpit mit dem Triebwerk war hinter den vorderen Sitzen von der Kabine getrennt.
Die Kabine lag hinter dem Cockpit. Die hintere Sitzbank der Kabine war aus der Halterung gerissen, darauf lagen eine Kopfbedeckung und ein Headset. Das Cockpit mit dem Instrumentenbrett war gestaucht, beide Steuerhörner sowie die Steuerung waren herausgerissen.
Mehrere elektronische Bordgeräte wurden zwischen den Erdaufschüttungen und der Endlage des Triebwerkes mit dem Cockpit vorgefunden. An der Unfallstelle war das Erdreich mit Kraftstoff kontaminiert.
Ein Unfallstellenfoto der und eine schematische Darstellung der Wrackteillage als Skizze der BFU sind angefügt. Der auf den Bildern zu sehende Betonpfeiler hat nach Information des Grundstücks-Eigentümers bereits vor dem Unfall an dieser Stelle gelegen. Laut Aussage eines sachkundigen Ersthelfers am Unfallort waren diesem eine am Boden liegende leuchtende Taschenlampe und der Staurohrschutz aufgefallen.
Links neben der abgerissenen linken Tragfläche lag in ca. zwei Meter Entfernung vom abgeknickten Staurohr der Staurohrschutz vor dem Staurohr auf dem Boden.
Im Cockpit war von den automatischen Sicherungen als einzige die des Landescheinwerfers herausgesprungen. Der Schalter für den Landescheinwerfer und der für das Rolllicht standen in der Position „Off“. Die Schalter für die Positionslichter sowie das Antikollisionslicht befanden sich in der Position „On“. Der Schalter des Transponders stand in der Position „Off“.
Der Gashebel stand bei ca. 3⁄4 Vollgas, der Gemischhebel auf „voll reich“ und der Landeklappenhebel stand auf „eingefahren“, siehe Foto.
Medizinische und pathologische Angaben
Die Leiche des Piloten wurde obduziert. Es wurden keine Hinweise auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung, einen Einfluss durch Medikamente bzw. Alkohol festgestellt. Die Sektionsdiagnose ergab u.a. Zeichen schwerster stumpfer Gewalteinwirkung und ein schweres Polytrauma.
Brand
Am Triebwerk und im Bereich der Seitenruderpedale im rechten Fußraum entstand ein Brand. Dieser wurde durch einen Ersthelfer an der Unfallstelle mit Sand gelöscht. Die Brandspuren am Luftfahrzeug deuteten darauf hin, dass der Brand nach dem Aufprall entstand.
Überlebensaspekte
Aufgrund der bei dem Aufprall auf den Boden erlittenen Verletzungen war der Unfall für den Piloten nicht überlebbar.
Versuche und Forschungsergebnisse
Das Triebwerk mit dem gestauchten Cockpit wurde am Unfallort durch die BFU sichergestellt. Im Rahmen der weiteren Untersuchung wurde im Beisein der BFU das Triebwerk bei der Firma Röder Präzision komplett zerlegt. Dabei ergaben sich an den Kolben, Kolbenbolzen, Zylinder, Pleuelstangen und Lager keine Anhaltspunkte für eine Funktionsstörung. Alle Teile waren schlüssig verbunden und frei beweglich.
Weiterhin wurde die Zündanlage auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft. Die Zündmagnete sowie Verteiler waren ohne Befund.
Beurteilung
Der Pilot war für die Durchführung des Fluges ausreichend lizenziert. Bei einer sehr großen Gesamtflugerfahrung kann seine Nachtflugerfahrung der vergangenen drei Jahre als gering und auf dem betroffenen Muster mit 17 Minuten als sehr gering bezeichnet werden.
Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zugelassen und instand gehalten. Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit wurde am 13.10.2011 durchgeführt. Die Untersuchung des Triebwerkes ergab keine Anzeichen einer Funktionsstörung.
Der Pilot führte laut Flugbuch einen Tag vor der Veranstaltung ein Nachtflugtraining mit drei Platzrunden durch. Die Radaraufzeichnungen der Bundeswehr zeigten nur zwei Platzrunden bei Nacht. Für den verunfallten Piloten war es das erste Mal, dass er als aktiver Pilot an dieser Veranstaltungsreihe teilnahm.
Das Wetter war für die Durchführung eines Sichtfluges bei Nacht trotz der hohen Außentemperatur gut geeignet. Aufgrund fehlenden Mondlichts handelte es sich um eine sehr dunkle Nacht.
Zum Thema „Fliegen in der Nacht“ schreibt Gerd O. Spohd in seinem Buch „Menschliches Leistungsvermögen und dessen Grenzen in der Luftfahrt“:
Beim Fliegen in der Nacht über konturlosem Gelände kann es durch das Fehlen eines klar abgegrenzten Horizontes zu einer Fehleinschätzung der Längsneigung und Höhe kommen. Stehen keine Bezugspunkte zur Verfügung kann der Pilot die Größe von Objekten sowie die eigene Geschwindigkeit und Entfernungen sehr schlecht einschätzen. Helle Landebahnlichter und gute Sicht täuschen z.B. eine größere Nähe vor als geringere Lichtstärke der Landebahnbefeuerung. Das sogenannte „Black Hole“ Phänomen kann auftreten, wenn beim Anflug über konturlosem Gelände nur die in der Ferne sichtbaren hellen Flugplatzlichter ohne weitere Bezugspunkte zu sehen sind. Der Pilot unterliegt dann der Täuschung, dass er glaubt höher zu sein als er tatsächlich ist und unterschreitet damit möglicherweise seine Flughöhe.
Nach Auffassung der BFU flog der Pilot kurz vor oder während der Endanflugkurve ohne Referenz zum natürlichen Horizont zu langsam. Im Anschluss erfolgte ein Strömungsabriss und das Luftfahrzeug kam in eine unkontrollierte Fluglage. Durch die nicht ausgefahrenen Landeklappen wurde das vorzeitige Abreißen der Strömung an der Tragfläche begünstigt. Bedingt durch eine geringe Flughöhe im Bereich der Endanflugkurve gelang es dem Piloten nicht, den Normalflugzustand wieder herzustellen und das Luftfahrzeug prallte auf den Boden.
Die Art der Unfallstelle sowie die Verteilung der Trümmerteile lassen darauf schließen, dass das Luftfahrzeug in einem flachen Winkel, mit einer hohen Geschwindigkeit und in einer nahezu gradlinigen Bewegungsrichtung auf den Boden aufschlug. Ein solches Aufschlagbild ist u.a. beim Abfangbogen nach dem Trudeln oder auch nach einer kontrollierten Bodenberührung (CFIT) anzutreffen.
Aufgrund der vorgefundenen Lage des Staurohrbezuges an der Unfallstelle kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser sich während des Fluges auf dem Staurohr befunden hatte oder während des Aufpralls aus dem Luftfahrzeug geschleudert wurde.
Letztendlich konnte die Ursache, die zum Überziehen des Luftfahrzeuges und damit zum Flugunfall führte, nicht eindeutig geklärt werden.
Schlussfolgerungen
Der Flugunfall ist darauf zurückzuführen, dass der Pilot in der Endanflugkurve im Bereich der Überziehgeschwindigkeit die Kontrolle über das Luftfahrzeug verlor und nach einer Drehung in einer Kiesgrube auf den Boden aufschlug.
Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet, entsprechen Ortszeit. Bilder und Quelle: BFU