Der Katastrophenschutz ist in den europäischen Staaten unterschiedlich organisiert. Doch wie können die Betroffenen über Grenzen hinweg schnell und effektiv informiert werden? Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft– und Raumfahrt (DLR) haben dafür ein einzigartiges Alarmierungssystem für die Bevölkerung entwickelt, es heißt "Alert4all".
"Alert4All" (Alarm für alle) entstand in Zusammenarbeit mit elf europäischen Partnern sowie "Euralarm", einem Netzwerk europäischer Sicherheitsindustrien. Behörden sowie Einrichtungen können europaweit miteinander vernetzt und Bürger unterwegs, im Büro oder Zuhause über verschiedene Kommunikationswege einheitlich alarmiert werden. Am 15. Oktober 2013 wurde das Alert4All-System im Testbetrieb erfolgreich demonstriert.
Informationsportal für Entscheider und Sicherheitskräfte
"Alert4All" ist als sicheres Webportal für registrierte Nutzer angelegt. Behörden, Sicherheitsverantwortliche oder Einsatzkräfte können den aktuellen Informationsstand zur Alarmierungslage in Krisenfällen in ganz Europa abrufen und sich dazu austauschen: Welche Katastrophe findet wo statt? Welche Informationen sind an die Bevölkerung gegangen?
Bei Bedarf sind dadurch erstmals Abstimmungen für eine länderübergreifende Alarmierung der Bevölkerung möglich, etwa bei einer sich ausbreitenden Hochwasserkatastrophe. Die Anwenderplattform schafft gemeinsame Schnittstellen für Entscheidungsträger in ganz Europa – während des Entscheidungsprozesses und bei der Alarmierung.
Gefahrenentwicklung in eigener Sprache
Eine Besonderheit von "Alert4All" ist, dass die Warnmeldung nur einmal im System erstellt werden muss und automatisch über sämtliche Kommunikationskanäle verbreitet wird. Die Meldung erreicht die Empfänger automatisch, ohne weitere Zwischenschritte – in den jeweiligen Landessprachen, in Schrift- oder Sprachform. Je nach Situation werden die Menschen darüber informiert, wie sich die Gefährdungslage entwickelt hat, wie zuverlässig diese Einschätzung ist und welche Schutzmaßnahmen ratsam sind.
Die ausgegebene Nachricht erscheint beispielsweise als Textnachricht auf Mobiltelefonen oder Navigationsgeräten, in Form von Textbannern quer über Fernsehbildschirmen im laufenden Programm, auf LED-Anzeigen von Bahnhöfen oder Flughäfen, oder als Sprachwarnung über Lautsprechersysteme in Gebäuden und öffentlichen Plätzen.
Die multimediale Verbreitung ist möglich, da aus den Nachrichten sehr effiziente Kommunikationsprotokolle erstellt werden. Selbst umfangreiche Informationen werden in sehr kleine Datenpakete umgewandelt und so zu den unterschiedlichen Empfangsgeräten übermittelt.
S-Band der Kommunikationssatelliten genutzt
Die Daten werden nicht nur über terrestrische Verbindungen übertragen, sondern auch via Satellit. So werden die Warnmeldungen über Satellitenfernseher verbreitet und an satellitengestützte Mobilfunkgeräte verschickt. "Oft sind terrestrische Systeme während Katastrophen nicht verfügbar, weil deren Infrastruktur beschädigt oder zerstört wurde. Satellitensysteme bleiben dagegen in aller Regel verfügbar", erklärt Projektleiterin Cristina Párraga Niebla vom DLR-Institut für Kommunikation und Navigation.
In Europa steht bei Kommunikationssatelliten außerdem ein bestimmter Frequenzbereich im S-Band zur Verfügung, der speziell für Datenübertragungen im Krisenfall reserviert ist. Die Alert4All-Protokolle sind für diesen Datenweg optimiert.
Das Kommunikationssystem wurde am DLR-Institut für Kommunikation und Navigation in Oberpfaffenhofen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Rundfunktechnik, Eutelsat und Avanti Communications entwickelt.
Scanning von sozialen Netwerken nach Emotionen
Die Kommunikation erfolgt jedoch nicht nur einseitig. Das neue Warnsystem stellt auch einen Rückkanal zur Verfügung, um Stimmungslagen in der Bevölkerung zu erfassen und darzustellen. Bei einer Alarmierung werden in den sozialen Netzwerken Beiträge zur Krisensituation über Sprachalgorithmen gefiltert und entsprechenden Emotionen zugeordnet.
Verfasser und Inhalte bleiben dabei vollständig anonym, die Benutzeroberfläche stellt ausschließlich die ausgedrückten Emotionen dar. Behörden erhalten dadurch ein Echtzeit-Stimmungsbild und können gezielt reagieren, wenn den Betroffenen offensichtlich falsche oder ungenügende Informationen vorliegen.
Alert4All kann auch in der Planungsphase eingesetzt werden. Durch ein Simulationsverfahren ist das System in der Lage, die Verbreitung von Alarmierungsnachrichten und die Reaktion der Bevölkerung vorauszuberechnen.
System modular erweiterbar und integrierbar
Bei der Entwicklung haben Párraga Niebla und ihre Kollegen großen Wert darauf gelegt, dass "Alert4All" interoperabel ist. Das Alarmierungssystem funktioniert daher nicht nur über die bekannten Kanäle. Das modulare Design des Systems erlaubt es zukünftige, noch nicht entwickelte Systeme zu integrieren. Es kann nach Bedarf ergänzt werden – beispielsweise durch Sicherheitssysteme von großen Einrichtungen wie Firmen, Schulen oder Einkaufszentren.
Dank der Kooperation mit dem Euralarm-Projekt "PEARS" (Public Emergency Alert & Response Systems in Buildings) wurde diese Erweiterung des Systems erfolgreich demonstriert. Andererseits kann es auch in bereits bestehende Alarmierungssysteme integriert werden. Diese können Kanäle von "Alert4All" nutzen, die ihnen sonst nicht zur Verfügung stehen. In Zusammenarbeit mit dem deutschen Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurde "Alert4All" mit dem sogenannten MoWaS – "Modulares WarnSystem", das deutsche System zur Warnung der Bevölkerung – erfolgreich zusammengeführt.
Nach Abschluss dieses Projektes plant das DLR für 2014 eine Fortsetzung: Im Rahmen des Forschungsprojekts "PHAROS" soll ein vollständiges Katastrophenschutz-System aufgebaut werden – vom Gefahrenmonitoring über eine Alarmierung mit dem "Alert4All"-Kommunikationssystem bis hin zum Einsatz der Hilfskräfte.
Zusammenarbeit aus Behörden, Industrie und Forschung
Das Forschungsprojekt "Alert4All" läuft von März 2011 bis Dezember 2013 und wird vom DLR koordiniert. Weitere elf Partner aus sechs verschiedenen Ländern sind an dem Projekt beteiligt – das Deutsche Rote Kreuz, British APCO, Avanti Communications, Tecnosylva, Edisoft, Universität Stuttgart, Tecnalia Research and Innovation, Swedish Defence Research Agency, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Eutelsat und das Institut für Rundfunktechnik. Das Projekt ist durch das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union teilfinanziert.